Stutthof: Prozess um KZ-Sekretärin in der Kritik – Zeugen könnten „erkranken oder versterben“

Der Prozess gegen die KZ-Sekretärin Irmgard F. in Itzehoe kommt nur mühsam in Gang – selbst die Entscheidung über eine Beschleunigung wurde vertagt.
Itzehoe – Ob sich Dominik Groß der Ironie seiner Worte bewusst war, war nicht zu erkennen. Von der „Effizienz der Hauptverhandlung“ sprach der Strafkammervorsitzende am Landgericht Itzehoe, von der „begrenzt zur Verfügung stehenden Zeit“. Um schließlich zu folgern: Wenn das Gericht im Prozess gegen die einstige KZ-Sekretärin Irmgard F. partout kein Eröffnungsstatement eines Opferanwalts zulassen will, dann sei daran nicht nur rechtlich nichts auszusetzen. Vielmehr: „Das trägt der besonderen Bedeutung dieses Verfahrens Rechnung.“
Beschleunigung also. Doch der Haken ist: Den gescheiterten Prozessauftakt nicht mitgerechnet, als die 96-jährige Angeklagte per Taxi aus dem Seniorenheim geflüchtet war, sind im Itzehoer Stutthof-Prozess nun bereits drei Verhandlungstage verstrichen. Und noch immer nehmen Auseinandersetzungen um die Prozessführung des Strafkammervorsitzenden mehr Raum ein als die Frage, um die es eigentlich geht: Hat Irmgard F. das Morden im Konzentrationslager Stutthof bei Danzig mit ermöglicht, indem sie von Juni 1943 bis April 1945 als Sekretärin für den Lagerkommandanten Paul Werner Hoppe arbeitete? Die Staatsanwaltschaft legt der Rentnerin Beihilfe zum Mord in mehr als 11.000 Fällen zur Last.
Bevor am Dienstag der Historiker Stefan Hördler, ein Experte für das nationalsozialistische KZ-System, sein Gutachten fortsetzen und das Verfahren damit einer Antwort näherbringen konnte, ging es erneut um das verwehrte Statement von Nebenklageanwalt Onur Özata. Der Streit hat mittlerweile so viel Zeit gekostet, dass es der von Richter Groß beschworenen „Effizienz der Hauptverhandlung“ weit mehr gedient hätte, den Anwalt einfach sprechen zu lassen. Doch Augenmaß, das ist unübersehbar geworden, gehört eher nicht zu den Stärken des Strafkammervorsitzenden.
Stutthof-Prozess: Gericht kann nur einmal pro Woche zusammenkommen
Die Kritik an seiner Verhandlungsführung riss auch am Dienstag nicht ab. Denn anders als das vorgesehen ist, will das Gericht zunächst keine Zeug:innen vernehmen, sondern erst den historischen Gutachter vollständig anhören. Und das dürfte mehrere Wochen dauern: Wegen des Alters der Angeklagten kann nur einmal pro Woche maximal zwei Stunden lang verhandelt werden.
Doch ebenso betagt sind natürlich auch die letzten Überlebenden von Stutthof. Nebenklageanwalt Christoph Rückel beantragte deshalb, die Anhörung seiner Mandant:innen nicht länger hinauszuzögern, und warnte: „Wenn ihre Vernehmung jetzt nicht stattfindet, riskiert das Gericht, dass die Zeugen erkranken oder versterben.“ Die Entscheidung darüber aber wurde erst einmal vertagt. Nach neuerlichen zeitraubenden Auseinandersetzungen, versteht sich.
Am Ende blieb nicht einmal eine Stunde für Stefan Hördlers Ausführungen zu den weiblichen Zivilangestellten im KZ-System im Allgemeinen und in Stutthof im Speziellen. Dieses „SS-Gefolge“ habe nicht anders als das männliche Wachpersonal der SS-Disziplinargerichtsbarkeit unterstanden, sagte der an der Universität Göttingen lehrende Historiker und zeigte die in Stutthof geltende Strafordnung für die SS. Demnach drohte weiblichen Zivilangestellten, denen Disziplinarverstöße zur Last gelegt wurden, im schlimmsten Fall Arrest. Dass Widerspruch gegen das Morden im Lager lebensgefährlich gewesen sein soll, wie häufig behauptet wird, lässt sich daraus nicht entnehmen.
Historiker sagt im Stutthof-Prozess aus: KZ-Sekretäre müssen Dienststelle kennen
Hördler machte deutlich, was von einer ausgebildeten Stenotypistin, wie es die Angeklagte war, in der SS-Bürokratie erwartet wurde: selbstständiges Arbeiten, Eigenverantwortung, gute Kenntnisse der Dienststelle. „Sie ist es, die auf dem Schreibtisch des Chefs Ordnung halten soll“, sagte der Sachverständige. Und selbstverständlich gehöre es zum Anforderungsprofil, die Inhalte der verarbeiteten Dokumente und getippten Briefe zu erfassen. Genau das hatte die Verteidigung beim Prozessauftakt infrage gestellt: Mitdenken gehöre nicht zu den Aufgaben einer Schreibkraft, sei womöglich „sogar eher hinderlich“.
Konkret über die Rolle von Irmgard F. äußerte sich Hördler noch nicht. Bereits klar ist jedoch: Was die Angeklagte als Zeugin in früheren Ermittlungsverfahren gesagt hat, unter anderem gegen Paul Werner Hoppe, wird er ausblenden müssen. Die Verteidigung kündigte an, der Verwertung dieser Aussagen zu widersprechen. (Joachim F. Tornau)