Sturm aufs Kapitol: Fox-Moderator Carlson schneidet Videomaterial irreführend zusammen

In seiner Sendung veröffentlicht Tucker Carlson Aufnahmen der Erstürmung des Kapitols. Auch der als Schamane verkleidete Jacob Chansley ist zu sehen.
Frankfurt – Diese Einordnung des Sturms auf das Kapitol am 6. Januar 2021 schlug wenig überraschend hohe Wellen. Der für seine konservativen Ansichten bekannte US-Moderator Tucker Carlson zeigte in seiner Show am Montag- und am Dienstagabend auf dem Sender Fox News exklusive Aufnahmen der verhängnisvollen Geschehnisse und kommentierte diese ganz im Sinne des von ihm offen unterstützten früheren Präsidenten Donald Trump.
Der Talkmaster nannte die von Herausforderer Joe Biden gewonnene Präsidentschaftswahl 2020 „einen schweren Verrat an der amerikanischen Demokratie“, von dem die Demokraten mit ihrem Untersuchungsausschuss wegen der Erstürmung des Kapitols nur ablenken wollten. „Die Aufnahmen zeigen weder einen Aufstand noch einen Aufruhr im Gange“, behauptete Carlson weiter. Ohne Belege anzuführen, vermutete er zudem, Bundesagenten hätten die Gewalt vermutlich angestachelt.
Aufnahmen von Kapitol-Sturm: Laut Carlson waren Polizisten „Tour-Guide“ für Trump-Fans
In den nun veröffentlichten Szenen ist auch zu sehen, wie der wegen seiner Verkleidung als Schamane zu weltweiter Berühmtheit gelangte Jake Angeli alias Jacob Chansley von Polizisten begleitet durch die verwaisten Gänge spaziert. Einer der Uniformierten scheint ihm beweisen zu wollen, dass eine Tür verschlossen ist, bevor der Trump-Anhänger völlig unaufgeregt zurück zu fünf weiteren Polizisten geführt wird.
„Die Aufnahmen zeigen, dass die Kapitol-Polizei Jacob Chansley niemals aufgehalten hat, sie hat ihm geholfen“, sagte Carlson dazu: „Sie spielten seinen Tourguide.“ Insgesamt seien neun Polizisten mit Chansley in Berührung gekommen, „aber niemand hat versucht, ihn aufzuhalten“. In dem Video ist auch zu sehen, wie der mittlerweile 33-Jährige in der Senatskammer sagt: „Danke, himmlischer Vater, dass du den Polizisten die Inspiration gegeben hast, uns in dieses Gebäude zu lassen.“

Sturm auf das Kapitol: Schamane Chansley sitzt Haftstrafe ab
Als Reaktion auf diese Aufnahmen sagte ein Sprecher der Kapitol-Polizei dem US-Magazin Newsweek: „Bevor dieses Video entstand, hat sich eine gewalttätige Gruppe von Menschen durch mehrere Polizeiketten gekämpft und ist illegal ins US-Kapitol eingebrochen, das wegen einer gemeinsamen Sitzung des Kongresses geschlossen war.“ Der Beamte, der Chansley in den Senatssaal folgte, sei auf sich allein gestellt gewesen, habe jedoch darauf bestanden, die Eindringlinge zu bitten, das Gebäude zu verlassen, ehe er Verstärkung rief.
Chansley sitzt aktuell eine 41-monatige Haftstrafe ab. Er hatte sich schuldig bekannt, ein Kongressverfahren behindert zu haben. Fünf weitere Anklagepunkte waren fallen gelassen worden. Laut Carlson wurde er härter bestraft als viele „Gewaltverbrecher“.
Fox zeigt Aufnahmen aus Kapitol: Carlson bekannt als Anhänger von Verschwörungstheorien
Wie nun Carlson hatte auch Trump immer wieder fälschlich behauptet, nach seiner Rede unweit des Kongress-Sitzes am Tag der förmlichen Bestätigung des Biden-Siegs seien lediglich friedliche Demonstranten unterwegs gewesen. Die jetzt ausgestrahlten Aufnahmen waren nach einer viel kritisierten Entscheidung des republikanischen Vorsitzenden des Repräsentantenhauses, Kevin McCarthy, an Carlson weitergegeben worden. Es handelt sich um Zehntausende Stunden Material, aus dem der Fox-Journalist den Beitrag für seine Sendung, die im Schnitt gut drei Millionen Zuschauer hat, zusammenschneiden ließ.
Carlson ist dafür bekannt, Verschwörungstheorien und offensichtliche Falschmeldungen zu verbreiten, etwa zur Einwanderung, zur Corona-Pandemie oder zum Ukraine-Krieg. So hetzt der 53-Jährige gegen Minderheiten und übernimmt russische Propaganda.
Kritik am Fox-Beitrag zum Kapitol-Sturm: „Beschämendste Stunde im TV“
Kritik setzte es für den Trump-Anhänger vom Chef der Kapitol-Polizei. Tom Manger nannte den Zusammenschnitt irreführend und bemängelte in einem internen Memo, das US-Medien vorlag: „Die Sendung wählte zweckdienlich die ruhigeren Momente unserer 41.000 Stunden Videomaterial aus.“ Noch deutlicher wurde Chuck Schumer. Der demokratische Mehrheitsführer im Senat nannte Carlsons Show eine „der beschämendsten Stunden, die wir je im Fernsehen gesehen haben“.
So weit, so erwartbar. Doch sogar Republikaner gingen mit dem Beitrag ins Gericht. Mitch McConnell, Minderheitsführer im Senat, wertete es als „Fehler“, dass die Erstürmung des Kapitols auf diese Weise dargestellt wurde: „Meiner Meinung nach beschreibt der Chef der Kapitol-Polizei korrekt, was die meisten von uns am 6. Januar aus erster Hand miterlebt haben.“ Als „absurd“ und „Unsinn“ bewertete der republikanische Senator Mitt Romney den Zusammenschnitt. Selbstredend gab es aber auch viel Lob von den Republikanern aus dem Repräsentantenhaus.
Video: Trump könnte wegen Kapitol-Sturm zivilrechtlich belangt werden
Folgen des Sturms auf das Kapitol: Untersuchungsausschuss empfiehlt Ermittlungen gegen Trump
McCarthy, der die Zusammenarbeit seiner Partei mit dem Untersuchungsausschuss in der Parlamentskammer zur Kapitol-Attacke sabotiert hatte, verteidigte erneut seine Weitergabe des Videomaterials an Carlson. Im Abschlussbericht war Trump eine maßgebliche Verantwortung für die Eskalation zugewiesen worden. Zudem empfahl das Gremium eine strafrechtliche Verfolgung des 76-Jährigen in mehreren Anklagepunkten. Da dies jedoch rechtlich nicht bindend ist, bleibt offen, ob das Justizministerium gegen den Unternehmer ermitteln wird.
Bei den Unruhen am 6. Januar 2021 hatte Trump seine aus dem ganzen Land angereisten Anhänger in seiner Rede mit der vielfach widerlegten Behauptung aufgewiegelt, bei der Präsidentschaftswahl sei er durch massiven Wahlbetrug um seine zweite Amtszeit gebracht worden. An jenem Tag verloren fünf Menschen infolge der Krawalle ihr Leben, darunter ein Polizist.
Jüngst hatte Rupert Murdoch, Eigentümer von Fox News, zugegeben, dass einige Moderatoren des Senders bewusst Lügen über die Präsidentschaftswahl 2020 verbreitet haben. Dies ist Gerichtsdokumenten zu entnehmen, die eidesstattliche Aussagen des Medienmoguls von Anfang Februar wiedergeben. Daraus geht auch hervor, dass Carlson und andere Fox-Moderatoren Angst hatten, in der Zuschauergunst zu sinken, sollten sie Trumps Mär vom Wahlbetrug nicht unterstützen. Murdochs Aussage ist Teil eines Verleumdungsprozesses, den der Wahlmaschinenhersteller Dominion gegen Fox News angestrengt hatte. (mg, dpa)