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Studie untersucht Risiken: Das große Schmelzen an den Enden der Welt

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Von: Joachim Wille

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Verändert sich das Ökosystem der Meere, ist der Lebensraum nicht nur der Robben bedroht.
Verändert sich das Ökosystem der Meere, ist der Lebensraum nicht nur der Robben bedroht. © imago images/blickwinkel

Immer mehr Süßwasser fließt am Nordpol und am Südpol ins Meer, und das droht die Strömungen in den Ozeanen zu verändern – mit gravierenden Folgen.

Wer Roland Emmerichs Klima-Schocker „The Day after Tomorrow“ kennt, der hat die Katastrophen-Szenen noch im Kopf. Ein Klimatologe, Jack Hall genannt, überlebt in dem Hollywoodfilm nur knapp eine Antarktis-Expedition, während der sich eine riesige Eisscholle vom Larsen-B-Shelf-Eis löst. Dann tritt ein, was Jack Hall vorausgesagt hat: Es kommt zu einem schnellen und dramatischen Klimawandel. Eine riesige Flutwelle läuft auf New York zu, Tornados verwüsten Los Angeles, enorm große Hagelkörner prasseln auf Tokio nieder und Schnee bedeckt indische Städte. Am Ende versinkt die Erde in eine neue Eiszeit.

Die Ursache der Katastrophe in Emmerichs Fiktion: ein Kollaps des nördlichen Teils jener weltumspannenden ozeanischen Strömungen, welche die Temperaturverteilung auf der Erde maßgeblich mitsteuern. Das Szenario in dem Film von 2004 war, aus wissenschaftlicher Sicht betrachtet, Unfug. Eine neue Eiszeit ist derzeit nicht in Sicht. Die Konzentration von Treibhausgasen ist dazu viel zu hoch und die Neigung der Erdachse zur Sonne hat sich entscheidend verändert.

Das Meer im Klimawandel: Studie untersucht die Strömungsverhältnisse am Südpol

Doch die Befürchtung, die weltumspannenden Meereszirkulationen – das sogenannte globale Förderband – könnten massiv gestört werden, hat jüngst neue Nahrung bekommen. Ein Forschungsteam aus Australien und den USA veröffentlichte eine Studie im Fachmagazin Nature zu den Strömungsverhältnissen am Südpol, wo in den vergangenen Jahren eine stark beschleunigte Eisschmelze festgestellt wurde, durch die gigantische Mengen Süßwasser ins Meer fließen. Dieser Zufluss könnte den in dieser Region gelegenen südlichen „Antrieb“ für das globale Förderband bremsen.

Es gebe „besorgniserregende Anzeichen dafür, dass sich diese Strömungen verlangsamen“. Sie könnten „sogar zusammenbrechen“, schreibt das Team.

Die Folgen in diesem Fall wären: Die Tiefsee erhält keinen Sauerstoff mehr, die Lieferung von Nährstoffen an die Meeresoberfläche wird eingeschränkt und es könnte zu einer weiteren Eisschmelze kommen, da sich das Wasser in der Nähe des Schelfeises erwärmt. „Dies hätte erhebliche globale Auswirkungen auf die Ökosysteme der Ozeane, das Klima und den Anstieg des Meeresspiegels“, stellen Quian Li vom Massachusetts Institute of Technology (USA) und Matthew England von der University of New South Wales (Australien) fest.

Globales Förderband: Temperaturunterschiede sind der Motor der Strömungen

Das globale Förderband durchzieht die gesamten fünf Ozeane dieser Erde. Die Umwälzbewegung transportiert Wärme, Sauerstoff sowie Nährstoffe rund um den Globus und beeinflusst damit grundlegend das Klima, den Meeresspiegel und auch die Leistungsfähigkeit der Meeresökosysteme.

Angetrieben werden die Strömungen unter anderem durch Temperaturunterschiede in den verschiedenen Meeresregionen. So kühlt sich das Wasser in den jeweiligen Regionen rund um den Nordpol und den Südpol ab, im Nordatlantik zum Beispiel vor den Küsten Nordeuropas und Grönlands. Die Dichte des Meerwassers nimmt dadurch sowie durch Verdunstungsprozesse zu, die den Salzgehalt an der Meeresoberfläche erhöhen. Die Wassermassen sinken in der Folge ab in Richtung Meeresgrund und durchziehen dann die Weltmeere.

Auftriebe in anderen Breitengraden gleichen das Absinken in der Nähe der Arktis und der Antarktis aus. So wird zum Beispiel Wasser, das sich unter der starken Sonneneinstrahlung in Äquator-Regionen erwärmt, in den oberen Meeresschichten nach Norden oder Süden transportiert.

Wichtige Rolle der Meeresströmungen: Gefahr eines Kollapses ist hoch

Auf der Nordhalbkugel am bedeutsamsten ist die „Atlantische Umwälzzirkulation“ (Amoc), zu welcher der Golfstrom gehört. Die Amoc ist quasi die „Zentralheizung“ Europas. Der Zustrom warmen Wassers aus dem Golf von Mexiko führt dazu, dass es an der Westküste des europäischen Kontinents einige Grad wärmer ist als in gleichen Breitengraden Kanadas.

Die Befürchtung, das Förderband könne aufgrund der globalen Erwärmung zusammenbrechen, gibt es seit den 1990er-Jahren; seither wird daran geforscht. Der Weltklimarat IPCC hat das Thema in seinen Berichten mehrfach behandelt, die Wahrscheinlichkeit eines kompletten Umkippens der Strömungen bis 2100 wird darin als gering bezeichnet.

Untersuchungen wie die von Li, England und Co. lassen nun aber befürchten, dass die Gefahr eines Kollapses doch größer ist. Aufgrund von Beobachtungen und neuen, detaillierteren Modellsimulationen erwarten sie, dass sich die Tiefenströme am Südpol bereits bis zur Mitte des Jahrhunderts um bis zu 40 Prozent verlangsamen könnten. „Physikalische Messungen bestätigen, dass diese Veränderungen bereits in vollem Gange sind“, schreibt das Team.

Folgen des Klimawandels: Das Süßwasser aus der Eischmelze verdünnt das Salzwasser der Meere

Für den gleichen Zeitraum sagen die Modelle auch eine Abschwächung der Amoc und damit auch des Golfstroms um bis zu 20 Prozent voraus. „Beide Veränderungen würden die Erneuerung und Umwälzung des Ozean-Inneren drastisch reduzieren“, stellt das Team fest.

Angetrieben werden die Veränderungen durch das Schmelzen der riesigen Eispanzer der Antarktis, denn das Süßwasser, das von ihnen abfließt, verdünnt das Salzwasser. Ein weiterer Faktor ist, dass sich das Wasser an der Meeresoberfläche zunehmend erwärmt, wodurch sich ein weiterer Antrieb für das Absinken abschwächt. Die Forscher:innen verweisen darauf, dass ihre Modellrechnungen im Jahr 2050 enden. Das Klima werde sich danach aber weiter erwärmen, wenn sich die Emissionen nicht stark verringerten, verbunden mit einem weiteren Abschmelzen der Eisschilde und so einer fortgesetzten Verlangsamung des Förderbandes.

Die Forscherinnen und Forscher formulieren es drastisch: Normalerweise sei es die Funktion des Förderbandes, vom Südpol her „die weiten Bereiche des tiefen Indischen, Pazifischen und Atlantischen Ozeans zu belüften“. Doch damit könnte es bald vorbei sein, warnen sie: „Noch zu unseren Lebzeiten.“

Noch in dieser Generation: Die „Zentralheizung“ Europas könnte ausfallen

Weitere Untersuchungen speziell zur nordatlantischen Zirkulation vertieften in jüngster Zeit das Verständnis dieses Teils des Förderbandes. Sie vermittelten – allerdings nur auf den ersten Blick – eine gewisse Entwarnung. Eine Studie eines Teams um Professor Mojib Latif von der Universität Kiel von 2022 führte die festgestellte Verlangsamung der Amoc in den vergangenen Jahrzehnten, die mit einer Abkühlung eines Teils des Nordatlantiks verbunden ist, in erster Linie auf natürliche Schwankungen zurück.

Die Expert:innen verwiesen allerdings auch darauf, dass die aktuellen Klimamodelle alle eine deutliche Abschwächung der Strömung bis 2100 um bis zu 45 Prozent voraussagten, falls die Menschheit die Erwärmung weiter vorantrieben. Das sei dann nach heutigem Wissensstand schon nahe an dem Kipppunkt, an dem Amoc und Golfstrom instabil werden. Es bleibe die Frage, „wann der Klimawandel die Kontrolle über die Amoc übernimmt“, so Jing Sun, Co-Autorin der Studie. „Dann verliefe die Entwicklung nur noch in Richtung Abschwächung und Risiken könnten deutlich zunehmen.“

Nicht wirklich beruhigend ist in diesem Zusammenhang auch eine an der Universität Bern durchgeführte Studie, die kürzlich in Nature Geoscience erschien. Zentrale Aussage: Die Amoc reagierte in der Vergangenheit weniger empfindlich auf Klimaveränderungen als gedacht. So sei es am Ende der letzten Eiszeit nicht, wie bisher angenommen, zu einem vollständigen Kollaps der Förderströme im Atlantik gekommen.

Die Folgen der Polkappenschmelze

Die Verlangsamung der antarktischen Umwälzung hätte gravierende Konsequenzen:

Nährstoffreiches Meerwasser strömt nicht mehr an die Oberfläche, was der Fischerei schadet.

Die Tiefsee wird nicht mehr mit Sauerstoff versorgt, mit gravierenden Auswirkungen auf die dortige Lebewelt.

Dem Eis der Antarktis wird mehr Wärme zugeführt, insbesondere in der West-Antarktis, dem Gebiet mit dem größten Eismassenverlust in den vergangenen Jahrzehnten. Dies würde den globalen Meeresspiegelanstieg beschleunigen.

Die Fähigkeit der Ozeane, CO2 aufzunehmen, sinkt, so dass sich mehr davon in der Atmosphäre ansammelt. Das verstärkt die globale Erwärmung.

Tropische Niederschlagsgebiete könnten um etwa tausend Kilometer nach Norden verschoben werden. jw

Klimawandel und die Weltmeere: Auch sich verändernde Winde beeinflussen die Strömungen

Die Berner Untersuchung deutet also darauf hin, dass das aktuelle Abschmelzen von Grönlandeis die atlantische Zirkulation in der näheren Zukunft nicht so stark beeinflussen könnte wie befürchtet. Andererseits, so Studien-Hauptautor Frerk Pöppelmeier, könnten andere Faktoren, die zu einem großen Eintrag von Süßwasser in den Atlantik führen und die Zirkulation beeinträchtigen, eine wichtige Rolle spielen, so etwa das gleichzeitig stark schmelzende Meereis, sich verändernde Winde und ein intensiverer Wasserkreislauf.

Pöppelmeier betont: Noch seien die Prozesse, die zu einem Kipppunkt der nordatlantischen Zirkulation führten, nicht vollständig verstanden. Klar sei jedoch, dass sich die aktuellen Verhältnisse grundlegend von jenen am Ende der letzten Eiszeit unterschieden. Vor allem laufe die gegenwärtige, menschgemachte Veränderung viel schneller ab. „Die Einflüsse des Menschen haben die Erde in einen Zustand versetzt, der in der bekannten Vergangenheit noch nie existiert hat“, so der Geowissenschaftler. Die Hinweise zur Abschwächung der Amoc seit vorindustrieller Zeit müssten ernst genommen werden, sie könne sich einem Kipppunkt nähern. (Joachim Wille)

Transparenzhinweis: In einer früheren Version dieses Textes hieß es, dass der Golfstrom die Westküste des nordamerikanischen Kontinents erwärme. Richtig ist natürlich, dass der Golfstrom den Westen Europas erwärmt. Wir haben den Fehler korrigiert.

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