Geheim-Dokumente zeigen wohl Putin-Abfuhr für Wagner - und peinliche Unkenntnis im Kreml
Ersetzen Kadyrow-Truppen die Gruppe Wagner in Bachmut? Womöglich handelt es sich um einen Machtkampf. Darauf könnten auch Geheimdokumente hindeuten.
Washington, D.C./Moskau - In Moskau läuft ein Machtkampf - keine neue These. Aber eine, die nun Bestätigung durch geleakte Dokumente aus US-Besitz erfahren könnte: Die renommierte Washington Post hat nach eigenen Angaben bisher unbekannte Informationen erhalten. Sie deuten offenbar auf ein zähes Ringen des Wagner-Bosses Jewgeni Prigoschin um Einfluss im Kreml hin. Es geht dabei um den Leak um den US-Amerikaner Jack Texeira.
Der angebliche Wille zum Abzug aus Bachmut könne ein letzter Vorstoß in Prigoschins Kampf sein, mutmaßte das Blatt. Der Ausgang sei aber offen. Die neuen Dokumente könnten auch Einblick in die Reaktion des Kreml auf Prigoschins wiederholte verbale Querschläger geben - diskutiert wurde offenbar eine Diskreditierungs-Kampagne. In neuem Licht erscheinen könnte auch die kolportierte Söldner-Rochade im Ukraine-Krieg: Am Wochenende hatte Tschetschenen-Anführer Ramsan Kadyrow überdeutlich angekündigt, den Wagner-Posten bei Bachmut übernehmen zu wollen.
Prigoschin öffentlich in Misskredit bringen? US-Dokumente zeigen mutmaßliche Pläne bei Schoigu
Die Einblicke ließen darauf schließen, dass der Kreml „frustiert“ von Prigoschins harschen öffentlichen Attacken war, schreibt die Post. Prigoschin hatte im Frühjahr immer wieder öffentlich gegen den Kreml geschossen - teils behauptete er, Munitionsmangel sei für den Tod zahlreicher Söldner ursächlich. Dann erklärte er wieder, Putin habe alle Kommunikationskanäle kappen lassen.
Das russische Verteidigungsministerium habe zwischenzeitlich gar in Erwägung gezogen, den Söldner-Boss durch einen Strohmann öffentlich in Misskredit zu bringen, heißt es nun. Nötig gewesen wäre dafür nach Einschätzung des Kreml-Ressorts aber ein „Verbündeter“ mit einem Status vergleichbar dem Prigoschins, zitierte die Zeitung Erkenntnisse aus den geheimen US-Dokumenten.
Russland ahnungslos über eigene Munitons-Lieferungen?
So weit kam es bekanntermaßen nicht. „Allerdings waren sie sich letztlich unschlüssig, wie das Verteidigungsministerium einen Informationskrieg mit Prigoschin führen kann, wenn die russische Regierung Prigoschin nicht untersagt, öffentliche Statements zu machen“, heißt es darin angeblich weiter. Die Daten sollen aus abgehörter oder abgefangener Ministeriums-Kommunikation stammen. Bekannt ist, dass der Wagner-Chef weiter öffentlich auftritt - unter anderem mit der Forderung nach Erlaubnis für Kritik am russischen Militär.
Pikanterweise konnte Schoigus Ministerium offenbar nicht verifizieren, ob Prigoschins Klagen über Munitionsmangel tatsächlich zutreffen. Die Lieferungen seien nicht vom Ministerium, sondern von einer „Task-Force“ in Bachmut verteilt worden. Die US-Stellen werteten dies laut Washington Post als Eingeständnis, dass „Prigoschins Behauptungen legitim sein könnten“. Erst im Februar seien die Wagner-Forderungen zumindest teilweise nachweisbar erfüllt worden. Nach weiteren heftigen Vorwürfen von Söldner-Seite sei Prigoschin wohl zum Rapport bei Putin einbestellt worden.
Putins Strategie fatal für russischen Ukraine-Feldzug? „Wirkt schädlich“
Zuvor habe Prigoschin noch weitere Forderungen an den Kreml gestellt: Etwa die Erlaubnis, doch wieder in Gefängnissen rekrutieren zu dürfen oder die Verpflichtung von mobilisierten Soldaten oder afghanischen Kämpfern zu erlauben und zu erleichtern. Putin habe den Wagner-Chef aber auflaufen lassen, schreibt die Washington Post unter Berufung auf abgehörte Gespräche des Geheimdienstes FSB: Prigoschin soll diese Fragen mit dem Ministerium des Erzrivalen Sergej Schoigu klären.
Auch die New York Times hatte jüngst über Dokumente zu einem Putin-Prigoschin-Treffen im Februar berichtet. Damals hieß es allerdings, Putin habe zwischen Prigoschin und Schoigu schlichten wollen. Dabei war aber auch von fehlenden Seiten in den US-Aufzeichnungen die Rede - es bleibt Spielraum für Interpretationen.
Der Politikwissenschaftler Rob Lee attestierte Putin im Gespräch mit der Washington Post indes einen Hang zu einer Teile-und-Herrsche-Strategie. Auf den Schlachtfeldern des Ukraine-Krieges habe sich diese allerdings als toxisch herausgestellt, urteilte er. „Putin nutzt gerne Wettbewerb zwischen verschiedenen Fraktionen zum Machterhalt, aber für eine militärische Operation wirkt das schädlich“, sagte er.
Kadyrow als Prigoschin-Ersatz: Ukraine spottet - Berater vermutet „Bluff“
Unterdessen scheint es, als werde Kadyrows tschetschenischer Trupp tatsächlich Prigoschins Posten in Bachmut einnehmen. „Ich habe bereits die entsprechende Mitteilung an den Oberkommandeur unterzeichnet und mitgeteilt, dass Achmat-Kräfte bereit sind, die Kontrolle über die Stadt zu übernehmen und Nato- und Ukraine-Satanisten zu entfernen“, erklärte Kadyrow der Staatsagentur Tass zufolge am Samstag (6. Mai) auf Telegram. „Wir warten nur auf die Befehle“, fügte er demnach hinzu.
Aus der Ukraine kam unterdessen Spott für Russlands Gesamtbild in der mutmaßlichen Söldner-Rochade. „Es scheint, dass die Privatarmeen kämpfen, Wagner, die Kadyrowiten... Was tut Russlands Armee“, schrieb ukrainische Regierungsberater Anton Geraschtschenko auf Twitter. Tatsächlich spielen private Söldnerheere eine beachtliche Rolle in Russlands Angriff auf die Ukraine.
Einen Tag zuvor hatte Geraschtschenko Kadyrow allerdings öffentlich auch einen „Bluff“ unterstellt: Der Tschetschene werde seine Leute „nicht in den Tod schicken, wie Wagner das tut“, urteilte er. Vielmehr wolle Kadyrow „zurück auf die russische Agenda“. Das würde durchaus zu den Spekulationen über einen reinen Machtkampf passen. Der russische Kreml-Kritiker Michail Chodorkowski hatte Prigoschin und Kadyrow in einem Interview mit Merkur.de als zwei mögliche Protagonisten im Ringen um eine Nachfolge genannt.
Es ist zugleich nicht der einzige mögliche Zweifel an den Plänen: Schon zu Beginn des Krieges waren Zweifel an der Schlagkraft von Kadyrows Truppen laut geworden. Mit Blick auf einen möglichen russischen Angriff auf Georgien hatte ein Militärexperte die Tschetschenen zuletzt gar als „Typen mit Kalaschnikows in Ladas“ abqualifiziert. (fn)