1. Startseite
  2. Politik

Null bis 123 Tage Arbeitskampf: Dieses Land ist Streik-Weltmeister

Erstellt:

Von: Max Müller

Kommentare

Deutschland ist keine Streik-Nation. Internationale Daten zeigen, welche Länder am häufigsten die Arbeit niederlegen. In einem Land wird praktisch nie gestreikt.

Köln – Man muss lange zurückschauen, bis ins Jahr 1992, um einen Vergleich zum Streik am Montag zu finden. Vor knapp 31 Jahren, am 27. April, begann ein flächendeckender Arbeitskampf. 9,5 Prozent mehr Lohn forderten die Gewerkschaften damals. Elf Tage dauerte der Streik, etwa 400.000 Bedienstete des öffentlichen Dienstes, Post- und Bahnangestellte legten die Arbeit nieder. Busse, Bahnen und Flieger fielen aus. Die Post drohte gar damit, das Kabelnetz lahmzulegen – zahlreiche Fernseher hätten kein TV-Bild mehr empfangen.

Streik-Weltmeister Frankreich: Demonstranten besetzen den Place de la Republique in Paris.
Streik-Weltmeister Frankreich: Demonstranten besetzen den Place de la Republique in Paris. © Ludovic Marin/dpa

Dass die Erinnerungen an große Streiks in Deutschland viel stärker verblassen als anderswo, hat einen einfachen Grund: Es wird hierzulande sehr wenig gestreikt. Besonders deutlich wird das im internationalen Vergleich. Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln hat in einer Studie für die Jahre 2007 bis 2016 ausgewertet, wie oft in bestimmten Ländern gestreikt wird. Dabei schauten sich die Wissenschaftler an, wie viele Tage 1.000 Arbeitnehmer pro Jahr streiken.

Streik-Statistik: In Frankreich wird am häufigsten gestreikt, in Japan nie

LandStreiktage je 1.000 Arbeitnehmer im Jahr (2007-2016)
Frankreich123
Dänemark118
Kanada87
Belgien79
Spanien59
Norwegen54
Finnland40
Irland32
Vereinigtes Königreich24
Portugal17
Australien14
Neuseeland9
Niederlande8
Deutschland7
USA6
Ungarn5
Schweden5
Polen5
Österreich2
Schweiz1
Japan0

Die Forscher weisen jedoch darauf hin, dass es einige Ungenauigkeiten gibt, da sich die Daten schwer vergleichen lassen. In den USA werden beispielsweise nur Streiks erfasst, bei denen mindestens 1.000 Arbeitnehmer beteiligt sind und die wenigstens eine Schicht (oder einen Arbeitstag) dauern. Auch der Wert aus Spanien unterschätzt die tatsächliche Anzahl wohl, weil große Generalstreiks nicht erfasst wurden. In Frankreich werden unabhängig voneinander Daten für den privaten und für den öffentlichen Sektor veröffentlicht, weswegen teilweise doppelt gezählt wurde.

Verzerrung durch Streikjahr 2015: Deutschland steht im unteren Mittelfeld

Dennoch lassen sich einige grundlegende Tendenzen ableiten. Frankreich ist der Spitzenreiter im Streiktage-Ranking. Allerdings räumt das IW ein, dass es keine Daten aus Griechenland und Italien gibt – Länder, in denen „traditionell oft gestreikt wird“ und die vermutlich ebenfalls oben dabei wären. Praktisch nie wird in Japan (0,2 Tage) gestreikt. Deutschland steht in dieser Statistik im unteren Mittelfeld und ist aufgrund der gewählten Zeitspanne wohl sogar etwas zu hoch bewertet. Denn: Das Streik-Ausnahmejahr 2015 zählt in diese Statistik rein. Damals gab es große Streiks von Erzieherinnen und Erziehern in Kitas und bei der Post. Dazu bestimmte Claus Weselsky, Vorsitzender der Gewerkschaft deutscher Lokführer, mit seinen Forderungen nach höheren Löhnen wochenlang die Schlagzeilen. Die Ausfalltage summierten sich 2015 auf mehr als eine Million. Das entspricht 31 Ausfalltagen je 1.000 Arbeitnehmer – und ist deutlich mehr als in den sonstigen Jahren.

Dass in Frankreich so oft gestreikt wird, hat auch mit der dort geltenden Rechtslage zu tun, erklärt Michael Fuhlrott, Fachanwalt für Arbeitsrecht. „Das Streikrecht ist je nach Land ganz verschieden ausgestaltet. In einigen Ländern wie etwa Frankreich oder Italien hat das Streikrecht ausdrücklichen Verfassungsrang und ist als Recht des Einzelnen in der Verfassung geregelt. Gerade Frankreich steht zudem in einer Historie besonders intensiv geführter Arbeitskämpfe, die Deutschland bislang so nicht kennt.“

Radikalere Gewerkschaften in Frankreich

Dabei spielen die Gewerkschaften eine wichtige Rolle, wie Politikwissenschaftler und Frankreich-Experte Johannes Maria Becker erklärt: „In Frankreich sind Proteste weniger vorhersehbar als bei uns. Das liegt unter anderem an den Gewerkschaften, die viel radikaler agieren. Es gibt dort politische Richtungsgewerkschaften, zum Beispiel eine sozialdemokratisch orientierte, eine kommunistisch orientierte und sogar eine zuweilen trotzkistisch maoistisch agierende Gewerkschaft.“

Davon sind deutsche Gewerkschaften weit entfernt. Bis Ostern wollen sie dem Vernehmen nach nicht mehr streiken. Übrigens: Beim letzten großen Streik 1992 akzeptierten beide Seiten das Ergebnis einer Schlichtung. Die Löhne stiegen um 5,4 Prozent, dazu gab es eine Einmalzahlung von 600 bis 700 Mark und das Urlaubsgeld wurde um 200 Mark erhöht.

Auch interessant

Kommentare