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„Lernen viel von den Fridays“: Verdi-Mann Dreisbusch kündigt Widerstand gegen Streik-Einschränkung an

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Von: Steffen Herrmann

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„Ungebrochen solidarisch“ ist das Motto, unter dem die DBG-Gewerkschaften in diesem Jahr zu 1.-Mai-Aktionen aufrufen. Foto: Boris roessler/dpa.
„Ungebrochen solidarisch“ ist das Motto, unter dem die DBG-Gewerkschaften in diesem Jahr zu 1.-Mai-Aktionen aufrufen. Foto: Boris roessler/dpa. © picture alliance/dpa

Die Gewerkschaften schrumpfen – und suchen Erneuerung. Bernd Dreisbusch spricht über den notwendigen Wandel der Bewegung, Klimademonstrationen als Vorbild und Gefahren für das Streikrecht.

Herr Dreisbusch, Sie organisieren die 5. Konferenz zur Gewerkschaftlichen Erneuerung mit. Das Motto ist: „Gemeinsam in die Offensive – Gewerkschaftsarbeit in Zeiten von Krise, Klima und Inflation“. Wie kann das gelingen?

Wir müssen mit der Zeit gehen. Nicht alles, was wir in der Vergangenheit gemacht haben, war schlecht. Aber wir sollten mit den gesellschaftlichen und technischen Veränderungen Schritt halten. Das heißt: Wir müssen uns breiter aufstellen und unsere Basis stärker machen. Alle sollen wissen: Ich kann da mitmachen. Hier im Ruhrgebiet sind wir sehr stark im Auftreten. Deshalb war unser erster Gedanke nach der Anfrage für die Konferenz: Wieso will die Rosa-Luxemburg-Stiftung uns erklären, wie Verdi sich zu erneuern hat? Aber es war schnell klar: Wir dürfen uns diese Chance nicht entgehen lassen. Wir können auf hohem Niveau diskutieren und viel für die eigene Arbeit mitnehmen. Denn wir überlegen schon jetzt an ganz vielen Stellen, wie wir unsere Arbeit als Gewerkschaft und als Tarifpartei verändern müssen, wie sich Gewerkschaftsarbeit verbessern lässt, mehr Mitglieder gewonnen werden können.

Inwiefern?

Die Gewerkschaft ist heute viel näher dran an den Menschen. Jedes Mitglied kann sich aktiv beteiligen, als Experte oder Expertin für die jeweilige Arbeit, mit Kontakt zu den Kolleginnen und Kollegen. Wir beziehen alle stärker mit ein, damit sie spüren, dass sie es sind, die Veränderungen für sich vorantreiben und durchsetzen. Das heißt, wenn wie vor wenigen Wochen die dritte Tarifrunde im öffentlichen Dienst scheitert, dann berichten unsere Vertreter:innen nach ihrer Rückkehr aus Potsdam auf einer Streikkonferenz von den Verhandlungen: Das sind dann der Dirk von den Stadtwerken Bochum, die Busfahrerin Conny, die Musikschullehrerin Franziska und der Kurt von der Sparkasse Recklinghausen – alles Ehrenamtliche, die ihre unmittelbaren Erfahrungen mit den Menschen teilen und diskutieren, wie es weitergeht.

Sie rücken die einfachen Mitglieder stärker in den Vordergrund.

Verdi, das sind ja vor allem unsere Mitglieder: Für die arbeiten wir und ihre Interessen stehen im Mittelpunkt dieser Arbeit. Sie bringen ihre praktische Erfahrung und ihre Forderungen ein und bestimmen damit den Kurs der Gewerkschaft. Das ist authentisch und nah am Alltag und zieht dadurch auch neue Mitglieder an, die auch mitmachen und Dinge verändern wollen.

Verdi-Mann Dreisbusch: „Wir sind nicht in Frankreich“

Es geht den Menschen näher.

Absolut, und ich muss die Mitglieder ja auch mitnehmen, mit ihnen gemeinsam einen Kurs abstecken. Arbeitskampf ist etwas Besonderes. Häufig sagt man mir: „Mensch, macht das doch wie in Frankreich.“ Aber wir sind nicht Frankreich. Dort wird abends bekanntgegeben, dass das Renteneintrittsalter auf 64 Jahre erhöht werden soll – und am nächsten Tag legen die Menschen Paris lahm. Hier in Deutschland befassen wir uns zum gleichen Zeitpunkt noch mit der Logistik für die Busanreise oder beantragen Sondernutzungsgenehmigungen für öffentliche Plätze.

Im Ruhrgebiet haben die Menschen traditionell eine starke Bindung zu den Gewerkschaften. Aber dort, wie anderswo in Deutschland, sind die Gewerkschaften – zumindest bei den Mitgliederzahlen – in der Defensive: Seit 1994 ist die Mitgliederzahl des Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) um mehr als 40 Prozent zurückgegangen, von rund 9,8 auf 5,6 Millionen.

Vor 20, 30 Jahren hat man neben dem Ausbildungsvertrag auch die Erklärung zum Eintritt in eine Gewerkschaft unterschrieben. Das ist heute eher selten. Viele berichten, sie seien in ihrem Betrieb oder ihrer Dienststelle noch nie auf eine Gewerkschaftsmitgliedschaft angesprochen worden, sonst hätten sie sich schon längst organisiert. Da müssen wir doch aktiv werden, Angebote zu formulieren, um gemeinsam erfolgreich zu sein. Denn nur wenn wir stark sind, können wir unsere Ziele erreichen. Wenn wir zum Streik aufrufen und nichts passiert, können wir einpacken. Wir konzentrieren uns daher sehr stark auch darauf, in den Tarifauseinandersetzungen neue Mitglieder zu gewinnen.

Durchaus erfolgreich: Bundesweit 70 000 neue Mitglieder will Verdi gewonnen haben.

Bei uns im Bezirk waren es mehr als 1000 Menschen. Die sind natürlich mit einer klaren Erwartungshaltung in der aktuellen Tarifrunde für den öffentlichen Dienst dazugekommen. Und daran werden wir auch gemessen.

Bernd Dreisbusch, Verdi-Bezirksgeschäftsführer Mittleres Ruhrgebiet. Foto: Privat.
Bernd Dreisbusch, Verdi-Bezirksgeschäftsführer Mittleres Ruhrgebiet. Foto: Privat. © Privat.

Zu Person und Sache

Bernd Dreisbusch (52) ist Mitglied der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und führt von Bochum aus den Bezirk Mittleres Ruhrgebiet. Er ist Mitveranstalter der 5. Konferenz zur Gewerkschaftlichen Erneuerung.

Die Konferenz wird vom 12. bis 14. Mai in Bochum von der Rosa-Luxemburg-Stiftung veranstaltet. Die Frankfurter Rundschau ist Medienpartnerin.

Drei Tage lang diskutieren Betriebsräte, Gewerkschafterinnen und Fachleute unter dem Titel „Gemeinsam in die Offensive“ über „Gewerkschaftsarbeit in Zeiten von Krise, Klima, Inflation“. Ziele der Konferenz sind der Austausch von Erfahrungen aus der praktischen Arbeit und die Vernetzung – auch mit Blick auf Herausforderungen wie den Klimawandel.

Weitere Informationen gibt es auf bit.ly/41Dxh7P sbh

Sie haben die zurückliegenden großen Streiks im öffentlichen Dienst analysiert: 1974 legten die Beschäftigten ihre Arbeit für drei Tage nieder; 1992 waren es sogar zwölf Tage. Was lehrt die Vergangenheit?

1974 war die Welt eine andere als heute. Damals hat niemand mit einem Streik im öffentlichen Dienst gerechnet und alle DGB-Gewerkschaften haben sich gegen die ÖTV positioniert, den Vorgänger von Verdi. Sie befürchteten, der Streik schade Willy Brandt. Der dreitägige Streik war dann aber sehr erfolgreich für die ÖTV. 1992 war das anders. Der Streik war politischer, sein Ergebnis war nicht gut und er hat die Organisation auch überrollt.

1992 endete der Streik im öffentlichen Dienst mit einem Lohnplus von 5,4 Prozent. Damit waren die Mitglieder der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) alles andere als zufrieden. Die Streikenden stimmten bei der Urabstimmung gegen den Kompromiss. Die ÖTV-Führung setzte sich darüber hinweg. Die Folge: Misstrauen und Rufe nach einer kämpferischeren Haltung und mehr Basisnähe. Nun sind Sie, knapp 30 Jahre später, in einer ähnlichen Situation: Sie müssen die hohen Erwartung der Mitglieder befriedigen, auch mit Blick auf die hohe Inflation.

Klar ist: Ein Tarifvertrag ist am Ende des Tages immer ein Kompromiss. Uns ist wichtig, dass unsere Mitglieder dabei mitreden können, wie der aussehen soll. Deswegen liegt uns am Herzen, dass sich möglichst viele beteiligen, wenn es um das Aufstellen einer Forderung, eine Urabstimmung oder die Befragung zu einem Ergebnis geht. Kommandos von oben funktionieren nicht, erst recht nicht hier im Pott. Es hilft nur die breite Information.

Verdi-Mann Dreisbusch: „Werden uns mit geballter Kraft wehren“

Auf der Konferenz geht es nun auch darum, innovative Ansätze gewerkschaftlicher Praxis zu sammeln. Können Sie ein paar Beispiele nennen?

Das Ehrenamt spielt eine immer größere Rolle, die direkte Beteiligung wird wichtiger. Dadurch werden wir vielfältiger, bunter – und stärker. Ein Beispiel dafür ist die Zusammenarbeit mit „Fridays for Future“. Darüber haben wir intern heftig diskutiert.

Warum?

Zunächst gab es Kommunikationsprobleme. Für uns war die Frage: Wie kriegt man denn da mal jemanden ans Telefon? Bei „Fridays for Future“ gibt es ja keinen Vorsitzenden, der für uns ein Ansprechpartner wäre, sondern sie entscheiden im Kollektiv. Und dann schreiben die sich auch keine Briefe oder E-Mails, sondern vernetzen sich zum Beispiel über Whatsapp-Gruppen. Inzwischen funktioniert es aber ganz gut, wir sind in Kontakt. Das ist aber nur ein Thema.

Und das andere?

Es gibt nicht nur gemeinsame, sondern auch gegenläufige Interessen. Bei der Mobilität arbeiten wir gut zusammen, das passt. Auf der anderen Seite werden die Beschäftigten bei den Stadtwerken natürlich hellhörig, wenn sie erfahren, dass Verdi mit „Fridays for Future“ zusammenarbeitet. Die „Fridays“ haben mehrfach gegen Beteiligungen der Stadtwerke Bochum an irgendwelchen Kohlekraftwerken demonstriert. Und dann kriege ich schon mal die Nachricht von Mitgliedern: „Bernd, ich bin froh, dass ich einen Job habe, und ich hätte den auch gerne noch in 20 Jahren.“ Aber wir lernen auch viel von den „Fridays“: Die kriegen in einer Stadt wie Recklinghausen an einem Freitagnachmittag 300 Leute auf die Straße. Das schaffe ich außerhalb von Streikveranstaltungen nicht. Wie machen die das? Das wollen wir lernen.

Ein anderes Thema sind politische Streiks, die hierzulande verboten sind. Ist das Verbot angesichts von Klimawandel und Inflation noch angemessen?

Aktuell sind wir eher mit Forderungen nach Einschränkungen des Streikrechts konfrontiert, weil wir mit unserer Streikstrategie offenbar Wirkung erzielen. Gegen jeden Versuch, das grundrechtlich geschützte Streikrecht zu schwächen, werden wir uns mit geballter Kraft wehren: Als starke politische Kraft in diesem Land, die diese Kraft auch zeigen kann. Der Ruf nach politischen Streiks kommt in der Regel aus dem politischen Bereich, nicht aus Gewerkschaften. Interessant ist der politische Streik für kleinere Parteien, die sich durch ihn vergrößert fühlen. Politische Streiks sind kein Thema in der Sitzung der Vertrauensleute, das ist kein Thema, das die Mehrheit unserer Mitglieder anspricht. Aber: Wir treten natürlich politisch auf und sind klar positioniert, was zum Beispiel die AfD angeht.

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