Melonis Asyl-Kurs: Experte fordert anderen Ansatz – „Müssen verhindern, dass Menschen in Boote steigen“
Migrations-Experte Gerald Knaus zweifelt bei IPPEN.MEDIA an Italiens neuem Seenotrettungs-Kurs. Nötig sei eine „Strategie“. Auch von Deutschland.
Berlin/München – Seit Ende Oktober ist die Postfaschistin Giorgia Meloni Italiens Regierungschefin. Nicht auf allen Feldern zeigte der Rechtsrutsch in Rom die befürchteten schwerwiegenden Konsequenzen. Aber in Sachen Migration machte sich Meloni schnell an einen ersten Aufschlag: Tagelang lagen Schiffe mit aus Seenot geretteten Menschen vor Italiens Küsten und in Häfen, der Gang an Land blieb verwehrt. Auch Drohungen für Seenotretter hatte Meloni parat.
Und nun? Der Migrationsexperte Gerald Knaus – bekannt als „Vater des EU-Türkei-Deals“ – hat auf Anfrage von Merkur.de von IPPEN.MEDIA einerseits zwar indirekt Kritik an Giorgia Melonis Kurs geübt. Er dachte allerdings weiter – und sieht auch die deutsche Bundesregierung in der Pflicht, das Sterben im Mittelmeer und den Migrations-Streit einzudämmen. Knaus forderte eine „Strategie“ von Kanzler Olaf Scholz‘ Ampel-Koalition. Als zwingenden Bestandteil einer Lösung sieht er ein schnelles „Zurückführen“ von Menschen ohne Bleibeperspektive.
Melonis Italien: Experte Knaus mahnt – „ankommende Menschen schlecht behandeln“ keine Lösung

„Es ist immer richtig, Leben zu retten. Das sollte für zivilisierte Demokratien außer Frage stehen“, stellte Knaus klar: „Doch Seenotrettung allein führt nicht dazu, dass keine Menschen mehr sterben. Das gelingt nur, wenn die Politik gleichzeitig verhindert, dass Menschen in großer Zahl in die Boote steigen.“
Dieser Artikel stammt aus dem Dezember und zählt zu jenen, die 2022 auf besonderes Interesse gestoßen sind. Deswegen präsentieren wir Ihnen diesen zum Jahresende erneut.
Die Lehre der Vergangenheit sei klar: Je mehr Menschen in kleinen Booten die Mittelmeer-Querung übernehmen, umso mehr kämen ums Leben. Das Jahr 2016 etwa habe nicht nur die meisten Rettungen gesehen, sondern sei auch das bislang tödlichste im zentralen Mittelmeer gewesen.
In zweierlei Hinsicht ließ der Migrationsexperte Kritik an Italiens Kurs durchblicken: „Menschen machen sich nicht auf den Weg, weil private Seenotretter unterwegs sind“, betonte Knaus. Auch sei „ankommende Menschen schlecht zu behandeln“ kein Schlüssel für die Problemlösung. Die These der Österreichers: Migrationswillige machten sich auf den Weg, „wenn sich herumspricht, dass man nach Italien auch ohne Schutzbedarf kommt“. Die größten Gruppen der Ankommenden der vergangenen Jahre, Nordafrikaner und Bangladeschi, hätten nur geringe Aussicht auf Asyl.
Seenotrettung: Menschen retten – aber Chancenlose auch „zurückführen“?
Wenn sich die Bundesregierung nun aktiv an der Seenotrettung beteilige, „muss sie auch weiterdenken“, forderte Knaus bei Merkur.de. „Die Strategie muss sein: Wir müssen so viele Menschen wie möglich retten. Aber wir müssen Menschen ohne Bleibeperspektive auch schnell zurückführen, damit sich in Zukunft weniger auf diesen gefährlichen Weg machen.“
Seenotrettung allein führt nicht dazu, dass keine Menschen mehr sterben. Das gelingt nur, wenn die Politik gleichzeitig verhindert, dass Menschen in großer Zahl in die Boote steigen.
Nötig seien Gespräche mit Italien und Malta über eine Strategie gegen das Sterben im zentralen Mittelmeer – ohne dabei auf Libyen zurückzugreifen. Das Land ist von schweren Konflikten erschüttert, auch Geflüchtete erleben dort humanitäre Notlagen und Gewalt. Zwei konkrete Anknüpfungspunkte nannte Knaus stattdessen:
Meloni und Italiens Migrationskurs – Zwei Vorschläge zur Verbesserung der Lage im Mittelmeer:
- „Es gibt Programme der Internationalen Organisation für Migration, die Menschen aus Libyen, die keine Flüchtlinge sind, in Länder wie Gambia zurückbringen. Menschen, deren Asylanträge zu prüfen sind, werden zum Teil nach Niger oder Ruanda geflogen, um dort Verfahren durchzuführen. Diese Programme müssen ausgebaut werden.“
- „Wir brauchen auch Abkommen mit Drittstaaten, die Menschen zurücknehmen, sobald sie von EU-Staaten im Mittelmeer gerettet wurden, als Alternative zur derzeitigen Kooperation mit Libyen. Der Koalitionsvertrag sieht dafür umfassende Abkommen mit Drittstaaten vor. Diese muss man endlich angehen, um das Sterben zu beenden.“
Schon Ende 2021 hatte Knaus in einem Beitrag für IPPEN.MEDIA Abkommen mit Drittstaaten gefordert, um erstmals „humane Grenzen“ der EU zu schaffen. Auch konkrete Inhalte für solche Abmachungen nannte der Experte damals. Knaus schrieb von einer „letzten Chance“. Ein Durchbruch ist der Ampel-Koalition seither aber nicht gelungen. Allerdings haben Bundesregierung und auch die Grünen in Bayern zuletzt Weichenstellungen für mehr Arbeitsmigration angedacht.
Mit Melonis Amtsantritt könnte sich die Ausgangslage für Verhandlungen verschlechtert haben. Meloni werde „gegenüber anderen vulnerablen Gruppen wie Migrantinnen und Migranten keine Zugeständnisse machen“, warnte die Politikwissenschaftlerin Alice Engl in einem Interview mit Merkur.de. (fn)
Gerald Knaus
Gerald Knaus ist einer der profiliertesten Forscher zum Thema Migration im deutschsprachigen Raum. Er ist Mitgründer des Thinktanks European Stability Initiative, arbeitete aber auch selbst für internationale Organisationen. Knaus gilt als „Vater“ oder „Architekt“ des bis heute für Zentraleuropa bedeutsamen EU-Türkei-Deals.