Strafrechtler zu Klima-Razzia: „Diese Einschüchterung finde ich sehr problematisch“
Der Frankfurter Strafrechtler Fynn Wenglarczyk über die Absurdität, die „Letzte Generation“ in den Fokus zu nehmen, und die Gefahr einer Radikalisierung.
Frankfurt – Am Mittwochmorgen (24. Mai) kam es zu einer bundesweiten Razzia gegen die „Letzte Generation“. Mit dieser geht der Vorwurf einher, dass es sich bei der Gruppe um eine „kriminelle Organisation“ handeln soll. Strafrechtler Fynn Wenglarczyk gibt dazu eine Einschätzung.
Heute gab es eine Razzia gegen Mitglieder von „Letzte Generation“. Der Gruppe wird vorgeworfen, einer kriminellen Vereinigung anzugehören. Ist es aus Ihrer Sicht wahrscheinlich, dass der Vorwurf Bestand hat?
Das ist nicht ausgeschlossen, dass einige Gerichte das so sehen werden. Es gab kürzlich eine Entscheidung des Landgerichts Potsdam, bei der es um die Rechtmäßigkeit einer Hausdurchsuchung in Neuruppin ging. Das Gericht hat entschieden, dass der Anfangsverdacht einer kriminellen Vereinigung vorlag. Unter Strafrechtswissenschaftlern ist das aber umstritten.

Strafrechtler zu Klima-Razzia: „Sitzblockade können auch Straftaten sein“
Was spricht dafür?
Paragraf 129 im Strafgesetzbuch, Bildung einer kriminellen Vereinigung, setzt zunächst einmal eine Vereinigung voraus, deren Zweck oder Tätigkeit auf die Begehung von Straftaten gerichtet ist. Daran besteht eigentlich kein Zweifel, denn „Letzte Generation“ ist ein organisierter Zusammenschluss, der zivilen Ungehorsam, also zum Beispiel die Sitzblockaden im Straßenverkehr, als Protestform einsetzt. Und dass diese Sitzblockaden auch Straftaten sein können, darauf hat die Gruppe auf ihrer Webseite auch selbst hingewiesen.
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Und was spricht dagegen?
Der Tatbestand ist ausgeschlossen, wenn die Begehung von Straftaten nur eine Tätigkeit von „untergeordneter Bedeutung“ ist, wie es im Absatz 3 der Strafvorschrift heißt. Dieser Satzteil ist interpretationsfähig. Nach meiner Ansicht sind die Straftaten von untergeordneter Bedeutung, weil die Begehung von Straftaten weder Hauptzweck von „Letzte Generation“ ist noch die hauptsächliche Tätigkeit darstellt. Außerdem geht es nicht um Straftaten, die elementare Rechtsgüter wie Leben oder körperliche Unversehrtheit verletzten.
Welche Vereinigungen fallen sonst unter diesen Straftatbestand?
Es geht vor allem um organisierte Kriminalität, Rockerbanden, Hells Angels zum Beispiel, aber auch Hooligans. Von der Intention überhaupt nicht zu vergleichen und auch einigermaßen absurd, dass man überhaupt darauf kommt, die Klimaproteste in den Fokus zu nehmen. Das Vorgehen wird aber verständlich, wenn man sich anguckt, was aus der Bejahung des Anfangsverdachts folgt: Möglich sind dann eben Durchsuchungen, aber auch noch viel eingriffsintensivere Ermittlungsmaßnahmen, wie zum Beispiel Telekommunikationsüberwachung, auch wenn das erst noch richterlich angeordnet werden muss. Das Ganze hat ersichtlich den Zweck, die gesamte Organisationsstruktur von „Letzte Generation“ zu durchleuchten.
Zur Person
Fynn Wenglarczyk arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kriminalwissenschaften und Rechtsphilosophie an der Goethe-Uni Frankfurt.
Klima-Razzia bei der „Letzten Generation“ – „Extreme Abschreckung“
Welche Folgen könnte das für Menschen haben, die sich engagieren wollen?
Allein die Razzien und der Vorwurf einer „kriminellen Vereinigung“ erzeugt eine extreme Abschreckung- und Einschüchterungswirkung und zwar gerade auch für Menschen, die sich eigentlich legal zivilgesellschaftlich für den Klimaschutz engagieren wollen. Und das ist für einen Rechtsstaat schon sehr problematisch. Es ist schon zu erwarten, dass es sich Menschen jetzt zweimal überlegen, ob sie zu einer Aktion der Letzten Generation gehen oder eine Spende überweisen, obwohl die einzelne Spende, ohne Mitglied zu sein, gar nicht strafbar wäre. Für die Abschreckungswirkung kommt es gar nicht so darauf an, ob sich der Verdacht bestätigt oder rechtmäßig ist. Allein der Umstand, dass ermittelt wird, schreckt Menschen ab. Dass die Einschüchterung über das Strafbare hinausgeht, finde ich sehr problematisch.
Wann gilt man denn als „Mitglied“?
Es kommt nicht auf eine formelle Mitgliedschaft an, sondern auf eine faktische. Tatsächliches Mitglied ist man und beteiligt sich, wenn man die Gruppe auf Dauer unterstützt, das können auch dauerhafte Spenden sein.
Die Webseite der Letzten Generation war am Mittwoch offline. Das wirkt wie eine sehr harsche Reaktion.
An sich ist das eine übliche Beschlagnahme, nur eben online. Das ist grundsätzlich zulässig, wenn es sich um ein Beweismittel handelt, das für das Ermittlungsverfahren von Bedeutung ist. Problematisch ist in diesem Fall aber, dass die Webseite auch der Ausübung von Grundrechten wie der Meinungs- und Versammlungsfreiheit dient. Das wird jetzt unmöglich gemacht. Ich kann mir daher vorstellen, dass das rechtswidrig ist. Das muss aber gerichtlich geklärt werden.

Strafrechtler Wenglarczyk zur Razzia bei der „Letzten Generation“: „Verfolgung ist destruktiv“
Vor ein paar Monaten hatten Sie im Interview gesagt, dass es eskalierend wirkt, wenn der Staat die Strafen erhöht. Wie sehen Sie das inzwischen?
Ich glaube weiterhin, dass es eher destruktiv ist, mit Strafverfolgung und Verurteilungen auf Klima-Proteste zu reagieren. Vor allem der Vorwurf der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung könnte jetzt aber sogar zur Radikalisierung einiger Mitglieder führen, weil sie mit ihrem Protest in den Untergrund gedrängt werden. Das kann zu einer weiteren sozialen Isolation führen und dann eben zur Radikalisierung. Damit hätte die Politik dann ihre eigene Wahrheit geschaffen: Wenn man von einer Klima-RAF redet und deswegen derart hart strafverfolgt, wird es vielleicht wirklich irgendwann eine Klima-RAF geben.
(Das Interview führte Friederike Meier)