- 1 Kommentar
- Weitere
Nawalny
Straflager für einen Aufmüpfigen
- vonStefan Schollschließen
Das Urteil gegen den russischen Kreml-Kritiker Nawalny soll abschrecken.
Alexej Nawalny nahm es mit Humor. „Schrecklich komisch“, begann er am Samstag eines seiner Schlusswörter, „dass ich schon wieder das letzte Wort habe.“ Der Oppositionspolitiker besaß am Samstag gleich vor zwei Moskauer Gerichten das Recht des Angeklagten, als letzter vor der Urteilsverkündung zu sprechen. Vorteile hatte er davon keine: Erst bestätigte das Moskauer Stadtgericht als Berufungsinstanz die Entscheidung eines Bezirksgerichts, eine Bewährungsstrafe gegen Nawalny in über zweieinhalb Jahre Haft umzuwandeln. Dann verurteilte ihn eine Moskauer Friedensrichterin wegen Verleumdung zu einer Geldstrafe von 9500 Euro.
Ein „Doppelgericht“, so die Internetzeitung „Sobesednik“, das für Nawalny, aber auch für Russland große Folgen haben wird. Der Berufungsrichter kürzte Nawalnys Gefängnisstrafe von 32 auf gut 30 Monate – wegen eines vorher nicht angerechneten Hausarrests. Aber er machte auch die letzten Hoffnungen zunichte, die russische Justiz werde doch auf die – völkerrechtlich eigentlich bindende – Forderung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hören, Nawalny sofort freizulassen.
Eine weitere Verhärtung im Konflikt mit dem Westen um die Person Nawalnys scheint unvermeidbar. Schon heute könnten die EU-Außenminister neue Sanktionen beschließen.
Weitere Verfahren folgen
Der Oppositionsführer verschwindet nun für Jahre in einem Straflager. „Wenn jemand die Stabilität bedroht, wird er sitzen, das ist die Hauptbotschaft dieser Urteile“, sagt der Politologe Konstantin Kalatschow der Zeitung „Kommersant“. Schon spekulieren Fachleute für Menschenrechte in Moskau, ob man Nawalny in die Nachbarregion Wladimir verschicken wird oder wie den Ölmagnaten Michail Chodorkowski 2005 gar nach Ostsibirien. Allerdings mag er auch noch einige Zeit in U-Haft in der Hauptstadt bleiben, weil ihn neue Prozesse erwarten.
Das russische Ermittlungskomitee hat zwei Strafverfahren gegen Nawalny eröffnet, er soll im großen Stil Spenden für seine Antikorruptionsstiftung FBK veruntreut, außerdem mittels FBK Geldwäsche betrieben haben. Schlimmstenfalls drohen ihm 20 Jahre Freiheitsentzug.
Auch der Verleumdungsprozess gegen Nawalny sei eine Demonstration des Kremls gegenüber ganz Russland gewesen, sagt der Jurist Mark Fejgin der Frankfurter Rundschau: „Wir zwingen Euch zu schweigen. Oder das zu sagen, was wir wollen. Wir sind hier die Macht!“
Nawalny ist kein Einzelfall. Vergangenen Donnerstag wurde in Rostow am Don die Aktivistin Anastasia Schewtschenko nach zwei Jahren Hausarrest zu vier Jahren Haft auf Bewährung verurteilt: Sie hatte sich in dem liberalen Netzwerk „Offenes Russland“ engagiert, das die Obrigkeit als „nicht erwünschte Organisation“ betrachtet.
Der Druck auf die Opposition steigt, diese muss sich nun ohne Nawalny, ihren „Motor und Ideenproduzenten“, so Alexej Wenediktow, Chefredakteur von Radio Echo Moskwy, organisieren.
Nawalny zitiert die Bibel
In seinen beiden Schlussworten sprach Nawalny außer über Freiheit auch über Glück und Gerechtigkeit für Russland, bekannte sich als gläubiger Christ. Erneut drohte er den Justizvertretern im Verleumdungsprozess, sie würden in der Hölle brennen, vorher aber hoffentlich noch vor einem normalen menschlichen Richter landen.
Vor dem Berufungsgericht aber verwies er auf die Bibel und eines ihrer Gebote als seine persönliche Handlungsmaxime: „Selig sind, die hungert und dürstet nach Gerechtigkeit, denn sie sollen satt werden.“ Nawalny hat offenbar vor, zu einer moralischen Autorität wie Nelson Mandela zu werden.