Stichwahl in Zypern: Aufbruch versus Apathie

Die Präsidentenwahl auf Zypern am Sonntag dürfte den Friedensprozess auf der Insel beeinflussen - ein Kandidat gilt als Falke, der andere eher als Schmied von Kompromissen.
Die Stichwahl zum neuen Präsidenten im griechischen Süden der geteilten Mittelmeerinsel Zypern an diesem Sonntag wird spannend, nachdem in der ersten Runde kein Kandidat die absolute Stimmenmehrheit erringen konnte. Mit dem früheren Diplomaten Andreas Mavroyiannis hat ein Außenseiter plötzlich gute Chancen, das wichtigste Staatsamt zu erringen. Der aktuelle Amtsinhaber Nikos Anastasiades von der konservativen Regierungspartei Disy kann nach zwei fünfjährigen Regierungszeiten nicht mehr antreten. In der Republik Zypern bestellt und bestimmt der direkt vom Volk gewählte Präsident die Regierung.
Mit Mavroyiannis und dem ehemaligen Außenminister Nikos Christodoulidis treten zwei konservative Bewerber in dem EU-Mitgliedsland gegeneinander an, die jahrelang für Anastasiades gearbeitet haben und beide nicht den Parteien angehören, von denen sie nominiert wurden.
Das frühere Disy-Mitglied Christodoulidis (49) wird von einem Oppositionsbündnis nationalistischer und sozialdemokratischer Parteien unterstützt, während der 66-jährige gelernte Rechtsanwalt Mavroyiannis Kandidat der linkspopulistischen Akel-Partei ist. Seit dem vergangenen ersten Wahlsonntag ist das Rennen, das schon als gelaufen galt, wieder absolut offen.
Ex-Außenminister Christodoulidis, der seit Monaten in allen Umfragen teils weit in Führung lag, konnte mit 32,4 Prozent nur einen knappen Vorsprung vor dem Zweitplatzierten Mavroyiannis halten, der überraschend 29,7 Prozent erreichte. Verlierer war der Disy-Chef Averof Neophytou (61), der als Dritter mit 26,2 Prozent durchs Ziel ging. „Mavroyiannis hatte niemand ernsthaft auf dem Schirm“, sagt der Politikwissenschaftler Hubert Faustmann, Leiter der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung in der Inselhauptstadt Nikosia. „Aber jetzt sieht es so aus, als ob er neuer Präsident werden könnte. Er hat das Momentum auf seiner Seite.“
Sollte Mavroyiannis gewinnen, dürfte wieder Bewegung in den eingefrorenen Friedensprozess auf der Insel kommen. Zypern ist seit 1974 geteilt, als die türkische Armee nach einem griechisch geführten Staatsstreich das nördliche Drittel der Insel besetzte. Ganz Zypern gehört zwar seit 2004 der EU an, doch sind die Unionsgesetze im Norden „ausgesetzt“, eine von den Vereinten Nationen überwachte Pufferzone trennt die Inselteile. Seit die letzten Vereinigungsverhandlungen 2017 scheiterten, hat sich die Teilung verstetigt. Inzwischen haben sich die international nur von der Türkei anerkannte Türkische Republik Nordzypern und Ankara auf eine Zweistaatenlösung festgelegt und treiben die Integration des Inselnordens in die Türkei voran.
Noch nie sei die Lage im Hinblick auf eine Wiedervereinigung so desolat gewesen, sagt Professor Faustmann. „Es herrschen Resignation und Apathie.“ Da Christodoulidis ein ausgewiesener Falke in der Zypernfrage ist, sei der Lösungsprozess „mit ihm als Präsidenten tot“. Dagegen trete Mavroyiannis, der als ehemaliger Verhandlungsführer bei den Zypern-Gesprächen auch noch als Hardliner galt, jetzt „moderat auf, schon weil er als Präsident mit Akel zusammenarbeiten muss“. Somit eröffne die Präsidentschaftswahl wieder die Chance auf ernsthafte Vereinigungsgespräche.
Im Wahlkampf spielte die Zypernfrage bisher kaum eine Rolle, da viele der 561 033 Wahlberechtigten keine Lösung des Problems mehr erwarten. Die wichtigsten Themen waren die angeschlagene (Tourismus-)Wirtschaft, die gestiegenen Lebenshaltungskosten, die endemische Korruption und die irreguläre Migration. „Bei diesen Fragen gibt es kaum Unterschiede zwischen den Kandidaten“, sagt Hubert Faustmann.
Auch im Auftreten sind sich die Kandidaten nicht unähnlich. Christodoulidis konnte lange von seinem Schwiegersohn-Image zehren, vermag wortreich nichts Bedeutsames zu sagen und wurde als Ex-Außenminister nicht mit Korruptionsskandalen identifiziert, obwohl er die skandalöse Vergabe „goldener EU-Pässe“ mitverantwortete. Andreas Mavroyiannis hat ein umgängliches Wesen, gilt als nicht korrupt, aber auch als farbloser Technokrat. Seine Achillesferse ist die Wirtschaft. Da viele Menschen auf Zypern die Linkspartei als Gift für die Wirtschaft ansehen, hat Mavroyiannis zu ihrer Beruhigung einen konservativen Ökonomen als Finanzminister designiert.
„Es kommt vor allem auf den inneren Charakter an“, meint die 70-jährige Nitsa Tersefanou, die einen Tante-Emma-Laden in der Hafenstadt Larnaka betreibt. Sie sei Disy-Anhängerin und habe zunächst für den Drittplatzierten Neophytou gestimmt, erzählt sie. „Aber jetzt wähle ich Mavroyiannis. Christodoulidis hat unsere Partei betrogen. Ihm kann man nicht trauen.“ Die Ladenbesitzerin nimmt Christodoulidis zudem übel, dass er zu hohe Hürden für Friedensgespräche mit dem Norden aufstelle und zu russlandfreundlich sei. Dagegen ist Mavroyiannis ein westlich orientierter, kompromissbereiter Politiker.
Da er keine Chance besaß, die Präsidentschaftskandidatur gegen den Disy-Parteichef Neophytou zu erringen, hatte sich Christodoulidis den kleinen Oppositionsparteien angedient und auf ihrem Ticket Neophytou Stimmen abgezogen. Nun spekuliert er darauf, dass ihn Disy-Anhänger wählen, zumal er vom Präsidenten Anastasiades unterstützt wird. Doch da könnte er sich täuschen. Auf einem tumultuösen Parteitag am Montag beschlossen die Disy-Mitglieder mit großer Mehrheit, keine Wahlempfehlung abzugeben. Die Regierungspartei ist in der Frage tief gespalten. „Das heißt, ein Wahlsieg von Mavroyiannis ist absolut möglich“, sagt Professor Faustmann.
