1. Startseite
  2. Politik

Marine Le Pen mit Charme-Offensive – und guter Chance auf den Sieg

Erstellt:

Von: Stefan Brändle

Kommentare

Die Rechtspopulistin Marine Le Pen drängt in die nationalistische Mitte und rückt vor der Wahl Amtsinhaber Emmanuel Macron auf die Pelle.

Paris - Vor gut zehn Jahren, als sie ihren Vater Jean-Marie Le Pen aus der Partei warf, die er selber gegründet hatte, nannte man sie noch „die blonde Bestie“. Auch die Immigrant:innen wollte sie aus dem Land werfen, zusammen mit der EU und der Nato. Einführen, genauer: Wiedereinführen wollte sie nur die Todesstrafe.

Jetzt wandelt Marine Le Pen, oder auch „Marine“, wie sie ihre Fans in Frankreich nur noch nennen, mit strahlendem Lächeln und staatsmännischer Pose über den hübschen Markt des südfranzösischen Städtchens Pertuis. Ein Selfie hier, ein Küsschen dort: Die Provence ist ein Heimspiel für die Rechte bei der Präsidentschaftswahl in Frankreich. „Ich habe das Volk hinter mir“, lacht die Frau, die ihren Nachnamen vergessen machen will. „Ich werde Präsidentin sein.“

Stichwahl in Frankreich: Le Pen will „kein Schreckgespenst mehr“ sein

Irgendwo skandieren ein paar schwarzgekleidete Junge, Faschist:innen hätten hier nichts zu suchen. Ein Paar mit einer Ukraine-Fahne schreit gegen Le Pens Affinität für Russlands Präsidenten Wladimir Putin an. Und eine ältere Marktfahrerin mit Kopftuch wirft der Starbesucherin vor, sie verletze Frankreichs sakrosanktes Prinzip der „égalité“, wenn sie Immigrant:innen wie ihr Sozialrechte vorenthalten will. Le Pen erwidert lächelnd: „Ich kämpfe für alle Franzosen.“ Schon schwebt sie weiter auf ihrer Wolke, zum nächsten Selfie, der nächsten „bise“ (Küsschen). Der Pariser Sender BFM, der den Marktbesuch live überträgt, kommentiert anerkennend: „Sie ist populär. Sie macht hier keine Angst, sie ist kein Schreckgespenst mehr.“

Marine Le Pen kurz vor der Stichwahl in Frankreich und kurz nach dem TV-Duell mit Präsident Emmanuel Macron.
Marine Le Pen kurz vor der Stichwahl in Frankreich und kurz nach dem TV-Duell mit Präsident Emmanuel Macron. © Ludovic Marin/AFP

Vor einem Stand mit dem Schriftzug „ein Kleid 8 Euro, zwei 15 Euro“ verspricht Marine Le Pen „mehr Kaufkraft“. Das ist ihr Trumpf vor der Stichwahl in Frankreich. Seitdem alles teurer geworden ist, erhöht die Chefin des „Rassemblement National“ (RN) ihre Wahlversprechen geradezu inflationär. Im ersten Wahlgang Mitte April ist Le Pen mit 23,2 Prozent in die Stichwahl gegen den Amtsträger Emmanuel Macron eingezogen; für die Stichwahl nähert sie sich laut Umfragen der 50-Prozent-Schwelle.

Stichwahl in Frankreich: Beim Stichwort Macron lacht Marine Le Pen nur

Beim Stichwort Macron lacht die Populistin nur. „Schieben wir ihm einen Riegel!“, fordert sie im Umdrehung des linken Slogans, am Sonntag geschlossen gegen Marine Le Pen zu stimmen. Die 53-Jährige, die nun zum dritten Mal für die Präsidentschaft kandidiert, spielt die sichere, die coole Siegerin. Sie, die früher gegen alles polterte und schimpfte, wirft nun Macron vor, er werde aggressiv und verliere die Nerven.

Marine, die nicht mehr Le Pen genannt werden will, weil das irgendwie rechtsextrem klingt, gibt sich geläutert und gelassen. Ihr Schritt ist einstudiert langsamer geworden, ihre Reibeisenstimme weicher und etwas heller. Im weichen Licht einer Salonlampe erzählt sie TV-Interviewern von ihren sieben Bengalkatzen. Oder von dem Bombenattentat gegen ihren Vater, bei dem sie als Achtjährige einige Glassplitter abbekommen hatte.

Stichwahl in Frankreich: Marine Le Pen bestellt den Garten, Ingrid die Küche

Auch ihr Privatleben breitet Marine Le Pen heute gerne aus, was für Frankreich sehr unüblich ist. Die Villa ihres Vaters Jean-Marie Le Pen im Pariser Nobelvorort Saint-Cloud verließ sie im Jahr 2014, nachdem sein Dobermann eine ihrer Hauskatzen verspeist hatte. Nach drei Ehen und Lebenspartnerschaften, aus denen sie drei Kinder mitnahm, lebt sie heute mit einer Frau zusammen, die sie seit ihrer frühesten Kindheit kennt. Marine bestellt den Garten, Ingrid die Küche. Die Wohngemeinschaft funktioniere besser als mit Männern, bekennt die menschlich gewordene Präsidentschaftskandidatin: „Man schnauzt sich nicht ständig an.“

Bereitwillig spricht sie sogar von ihrem anderen Trauma, dem verpatzten TV-Streitgespräch gegen Emmanuel Macron im Jahre 2017. „Man wird besser, wenn man gelitten hat, gestürzt ist und sich Vorwürfe macht, weil man enttäuscht hat“, sagt Marine herzergreifend.

Zur Person
NameMarine Le Pen
Alter53 Jahre (geboren am 05. August 1968)
GeburtsortNeuilly-sur-Seine, Frankreich
ParteiRassemblement National
AmtAbgeordnete der Konstituante in Frankreich seit 2017
EhepartnerEric Lorio (2002-2006), Franck Chauffroy (1997-2000)

Stichwahl in Frankreich: Le Pen will nicht mehr aus der EU austreten

Ihre neue Rolle beherrscht sie, ihre Auftritte zähmt sie bis zur Selbstaufgabe. Auch politisch: Den „Frexit“ hat sie nicht mehr im Programm, die Nato will sie nur noch kommandomäßig verlassen. Das Kopftuchverbot auf offener Straße bezeichnet sie nun als „komplex“, das heißt undurchführbar. Auch die Todesstrafe will sie den Franzosen nicht mehr zur Volksabstimmung unterbreiten.

Gegen Immigrant:innen will Marine Le Pen weiter radikal vorgehen: Französische Staatsangehörige sollen bei der Arbeitssuche und Sozialrechten eine „préférence nationale“ haben; nur noch ein Viertel der ausländischen Väter soll ihre Familien nachziehen können. Über solche unschönen Dinge spricht Marine aber nicht gerne. Braucht sie auch gar nicht: Alle Franzosen wissen von früher, dass Le Pen so viel bedeutet wie Anti-Immigration. Auch ein hübscher Vorname ändert daran nichts.

Präsidentschaftswahl in Frankreich: Marine Le Pen ist immer noch rechtsextrem

Marine hat an sich gearbeitet, systematisch und seit Jahren. Unlängst beklagte sich die einstige Rabaukin der französischen Politik zum Beispiel in einem weihevollen Brief, dass Emmanuel Macron die Eliteverwaltungsschule ENA aufgelöst habe. Als wäre er der Staatsfeind, sie die Hüterin der Institutionen.

Nur einmal in jüngster Zeit fiel der republikanische Firnis von der RN-Chefin ab: Spontan applaudierte sie pensionierten Generälen, die in einem Brandbrief zum „Staatsstreich“ gegen die „Banlieue-Horden“ aufgerufen hatten. Und dieser Appell erfolgte nicht von ungefähr zum 60. Jahrestag eines rechten Putschversuchs im Algerienkrieg. Da zeigte sich, welchen Wähler:innen die Chefin des Le Pen-Familienclans wirklich verbunden ist: Nicht so sehr den Arbeiter:innen, Gelbwesten oder Arbeitslosen, wie sie behauptet, sondern den rechtsextremen Nostalgiker:innen der „Algérie française“ in Südfrankreich.

Wahl in Frankreich: Die Leute wollen weder Marine Le Pen noch Emmanuel Macron

Trotzdem macht Le Pens „Entdämonisierung“ und „Banalisierung“, wie der Pariser Politjargon lautet, rapide Fortschritte. Die Zahl der Menschen, die einen Wahlsieg der Ex-Anwältin als „Gefahr für Frankreich“ beschwören, ist in wenigen Jahren von 80 auf unter 50 Prozent gesunken. Ihr Wahlanteil kann deshalb über 50 Prozent steigen.

Das ist nicht nur der Verdienst von „Marine“. „Die Leute haben vielleicht nicht unbedingt Lust, für Le Pen zu stimmen“, twitterte der christlich-soziale Politiker Jean Lagarde, der dem amtierenden Staatschef eigentlich nahestehen sollte. „Sicher ist, dass sie Emmanuel Macron nicht mehr wollen.“ Die beiden früheren Präsidenten Nicolas Sarkozy und François Hollande kamen auch nicht über ein Mandat hinaus. „Ob rechts oder links, Sie haben alles versucht“, wandte sich Le Pen kürzlich an ihre Wähler:innen. „Versuchen Sie einmal eine nationale Bewegung, eine, die weise ist, vernünftig und luzid.“

Plötzlich will sie für alle da sein: Marine Le Pen (2. v. l.) am Obststand in Paris.
Plötzlich will sie für alle da sein: Marine Le Pen (2. v. l.) am Obststand in Paris. © afp

Stichwahl in Frankreich: Marine Le Pen kämpft so allein wie ihr Rivale Emmanuel Macron

Und vor allem sehr isoliert. Le Pen kämpft so allein wie ihr Rivale Macron. Ihren Vater hat sie verstoßen, ihre Nichte Marion ist zum Rechtsaußen Eric Zemmour übergelaufen. Für eine Regierungsbildung fehlen ihr Leute. Vom rechten Flügel der konservativen Republikaner und von souveränistischen Linken wie Arnaud Montebourg hat sie Absagen erhalten. Mit Rechtsaußen wie Nicolas Dupont-Aignan oder Zemmour hat sie Streit. Nahestehende wie Thierry Mariani kommen wegen ihrem „Putinismus“ nicht in Frage.

Außerdem ist zweifelhaft, dass Le Pens Partei „Rassemblement National“ (RN) im Juni die Parlamentswahlen gewinnt. Dann müsste die Präsidentin einen ihr nicht genehmen Premierminister der siegreichen Partei ernennen, also eine „cohabitation“ eingehen. Wie das gutgehen soll, weiß niemand. Egal: Wir sehen weiter, wenn wir im Elysée sind, sagt die Frau, die keinen Nachnamen mehr haben will. (Stefan Brändle)

Auch interessant

Kommentare