Stephan Hebel meint: Wir haben die Regierung, die wir verdienen

Die Ampelkoalition versagt katastrophal beim Klimaschutz. Aber damit repräsentiert sie die Mehrheit der Gesellschaft, die große Veränderungen fürchtet. Was sie dabei verkennt: Nur die Regierung selbst wäre in der Lage, den Menschen diese Angst zu nehmen – mit einer Politik des sozialen Ausgleichs
Im Augenblick akuter Bedrohung ist Politik oft zu erstaunlich schnellem Handeln in der Lage. Als Wladimir Putin seinen verbrecherischen Angriffskrieg gegen die Ukraine begann, dauerte es drei Tage, bis Deutschland ohne Rücksicht auf die Kosten in den Aufrüstungsmodus geschaltet hatte. Davor, auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie, warf die EU ein Tabu über den Haufen und genehmigte sich einen milliardenschweren Wiederaufbaufonds – finanziert aus gemeinsamen Krediten.
Mal unabhängig davon, wie die Entscheidungen in Sachen Krieg und Corona inhaltlich zu bewerten sind: Das Tempo war so beachtlich wie die Bereitschaft zum Abschied von zentralen Elementen der bisherigen Politik. Aber was ist mit der dritten großen Krise, der drohenden Klimakatastrophe? Hier geht es gerade so weiter, als hätten wir alle Zeit der Welt. Diese sträfliche Zögerlichkeit hat ihre Gründe, wie ein Rückblick auf die jüngste Entwicklung zeigen wird. Aber gute Gründe sind es nicht. Um es kurz vorwegzunehmen: Statt beherzt vorwärts zu gehen, übt sich der Politikbetrieb in vorauseilendem Gehorsam gegenüber einer giftigen Mischung aus Krisenängsten in der Bevölkerung und kurzfristigen Wirtschaftsinteressen.
Robert Habecks ursprüngliche Pläne sind vom Tisch
Um mit dem Positiven zu beginnen: Das Papier, das im Koalitionsausschuss der Ampelparteien vor gut einer Woche beschlossen wurde, enthält auch Beschlüsse, die den Klimaschutz voranbringen werden. Es wird in die Schiene investiert, zur Finanzierung bekommt die Lkw-Maut einen CO2-Aufschlag, und auch die forcierte Umstellung des Heizens auf erneuerbare Energien stellt einen Fortschritt dar, jedenfalls im Prinzip. Aber hier fangen die Probleme schon an: Am vergangenen Freitag schob die Koalition Details in Sachen Wärmeversorgung nach, die der Berliner Energiewissenschaftler Volker Quaschning auf Twitter wie folgt zusammenfasste: “#Ampel streicht auch im Gebäudebereich den geplanten #Klimaschutz zusammen. 30 Jahre alte Brennwert-Gasheizungen dürfen noch 22 Jahre weiterlaufen. Und wenn jemand verspricht, in 10 Jahren Wasserstoff zu liefern, sind sogar neue Gasheizungen erlaubt.“
Tatsächlich ist der ursprüngliche Plan des grünen Wirtschaftsministers Robert Habeck, fossil betriebene Heizungen nach 30 Jahren Betriebsdauer auszutauschen, wohl endgültig vom Tisch. Und tatsächlich darf weiter CO2 verblasen werden, wenn der Energieversorger einen Plan für den künftigen Umstieg auf Wasserstoff vorlegt.
Das mag alle etwas erleichtern, die zur Miete oder im Eigentum wohnen und die Kosten für den Umbau nicht ohne Grund fürchten. Aber sie sollten sich schon fragen, ob konsequenter Austausch bei großzügiger öffentlicher Förderung nicht auch für sie und die nachfolgenden Generationen der bessere Weg wäre – und warum auch im jüngsten Koalitionsbeschluss dazu kein Detail enthalten ist. Von Milliardenprogrammen mit eigens aufgestellten Schattenhaushalten (wie bei der Rüstung) ganz zu schweigen. So suggeriert die Politik den Menschen, sie seien nur durch weniger Klimaschutz vor finanzieller Überforderung zu schützen. Was für ein Irrweg!
Reduziert wird kein Kohlendioxid, sondern der Druck auf Volker Wissing
Der noch größere Sündenfall ist vielfach beschrieben worden: das Aufweichen der berühmten „Sektorziele“. Sie bedeuten, dass jedes Ministerium eine feste Verpflichtung hat, den CO2-Ausstoß in seinem Bereich auf eine vorgegebene Größe zu senken. Wer dieses Ziel verfehlt, muss ein konkretes Programm zur schnellen Abhilfe vorlegen.
So steht es bisher im Klimaschutzgesetz, und Matthias Miersch, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, wurde dazu im „Handelsblatt“ am 12. März so zitiert: „Der zentrale Geist des Gesetzes ist es, ein Aufschieben auf den Sankt-Nimmerleins-Tag zu verhindern.“ Genau 16 Tage später, am 28. März, war das Gegenteil beschlossen: Wenn etwa der Verkehrsbereich auch in Zukunft seine Klimaziele verfehlt, kann das durch erfolgreiche Anstrengungen anderer Bereiche ausgeglichen werden. Was künftig noch reduziert wird, ist vor allem der Druck auf einen notorisch unwilligen Minister wie Volker Wissing (FDP).
Sind die Politikerinnen und Politiker also durchweg willige Büttel mächtiger Kräfte, die ihnen das Bremsen und Verhindern diktieren? So einfach ist es nicht.
Die Serie
FR-Autor Stephan Hebel kommentiert alle 14 Tage aktuelle politische Ereignisse. Wenn Sie Kritik, Lob oder Themenhinweise haben, schreiben Sie an stephan.hebel@fr.de. Bitte merken Sie dabei auch an, ob Sie mit einer Veröffentlichung einverstanden wären.
Am einfachsten noch bei der FDP: Ihre Führung glaubt besonders fest an das Märchen, dass die Kräfte des Marktes am Ende dem Gemeinwohl am besten dienen. Deshalb stellt diese Partei den parlamentarischen Arm derjenigen gesellschaftlichen Kräfte dar, die glauben (machen) wollen, dass sich die Orientierung an stetem Wachstum, Kostensenkung und Gewinnen mit der Bekämpfung der Klimakrise verträgt, ja sogar die stärkste Triebkraft dafür darstellt. Ignoriert wird dabei, dass die planetaren Grenzen nicht nur Gas und Öl betreffen, sondern zum Beispiel auch Wasser oder seltene Erden für den Bau von Elektroautos.
Diese marktliberale Ideologie ist auch einem rechten Sozialdemokraten wie Olaf Scholz nicht fremd, und die Grünen haben sich ihr an vielen Stellen längst angenähert. Aber es kommt noch etwas hinzu: Auch wo sie ahnen oder wissen, dass es mit einem grünen Anstrich des Gegenwartskapitalismus nicht geht, verschweigen oder verharmlosen sie die Konsequenzen.
Zukunftsangst statt Visionen - so wird das nichts mit dem Klimaschutz
Von harten Klimaschutz-Regeln etwa beim Heizen, verbunden mit gesellschaftlicher Solidarität in Form sozial gestaffelter Subventionen, lassen sie die Finger. Nicht aus Gemeinheit, sondern weil sie glauben, die meisten Menschen sonst beim Klimaschutz nicht „mitnehmen“ zu können. Das mag stimmen, wenn man die verständlichen Ängste und Abwehrreflexe zum vermeintlich unveränderbaren Ausgangspunkt politischen Handelns nimmt. Konkret: Wenn die Mehrheit Angst vor noch höheren Mieten hat, muss der Umbau der Heizsysteme eben langsamer gehen. Als kämen die Ängste nicht auch daher, dass die Umverteilung privaten Reichtums für Zwecke des sozialen Ausgleichs – sprich: Steuererhöhungen am oberen Ende oder eine gerechte Wohnungspolitik – ausbleibt.
Damit repräsentiert die Ampelregierung leider ziemlich perfekt die gesellschaftliche Mehrheit, zu deren Skepsis gegenüber größeren Veränderungen sie zugleich selber beiträgt. Es entsteht ein Teufelskreis: Von Visionen, wie die Zukunftsangst nicht bedient, sondern gerade durch echte Transformation bekämpft werden könnte, ist in der etablierten Politik so gut wie nichts (mehr) zu hören. Und dieselbe Politik beruft sich dann darauf, dass mit Visionen kein Blumentopf zu gewinnen sei. Denjenigen in der Gesellschaft, die mehr wollen, wird nichts anderes übrig bleiben, als den Parteien durch unermüdlichen Protest und durch Mut zur Vision Beine zu machen.
Teil 2: Es klebe der Widerstand
Tauchen wir kurz ein in die wunderbare Welt der „Welt“ (in diesem Falle: “…am Sonntag“). „Exklusiv“ präsentierte sie jetzt eine Recherche, die Dürren, Überschwemmungen und Stürme gegenüber den wahren Geißeln der Menschheit als leicht erträgliche Unannehmlichkeiten entlarvte: Wenn sich Aktivistinnen und Aktivisten an Straßen kleben, und wenn die Polizei sie vom Teer wieder löst, dann – Achtung! – kostet das Geld. Akribisch wurde aufgelistet, wie viele Polizeiarbeitsstunden in welchem Bundesland für das Freiräumen von Straßen notwendig waren und was die Selbstklebenden anschließend bezahlen mussten.

Allen, für die die Störung des Grundrechts auf CO2-Ausstoß das schlimmste denkbare Verbrechen darstellt, dürfte dieses investigative Meisterstück ein inneres Fest gewesen sein. Allen anderen könnte zu denken geben, was die „Letzte Generation“ ihren Aktivist:innen dazu sagt. Zwar wird finanzielle Hilfe aus Spendengeld versprochen, aber: „Am Ende entscheidet ihr euch dafür, die Konsequenzen für den zivilen Ungehorsam in Kauf zu nehmen.“
Die „Letzte Generation“, so ist das zu verstehen, mag auf wirksame Aktionen setzen, die auch mal rechtliche Grenzen überschreiten. Aber sie hat „das System“, also den Staat, der die Beteiligten zur Verantwortung zieht, im tiefsten Grunde akzeptiert. Mutig sind die Einzelnen, die die Folgen für sich selbst in Kauf zu nehmen bereit sind. Lächerlich diejenigen, die daraus eine Staatsaffäre machen.
Hebel antwortet
FR-Leser Bernd Knierim ist noch einmal auf meinen Beitrag zum Ukraine-Krieg eingegangen, der vor vier Wochen erschien („Keine simplen Gleichungen“, FR vom 7. März). Unter anderem bezieht sich Knierim auf den Haftbefehl gegen Wladimir Putin und schreibt: „Die Mächtigen in den USA – gleich, ob Demokraten oder Republikaner – verweigern sich dem Völkerrecht – und das schon seit Anfang des Jahrtausends.“ So habe es sich beim Irakkrieg um einen „massiven Völkerrechtsbruch“ gehandelt.

Sie, lieber Herr Knierim, finden demgegenüber meine Hinweise auf „Fehler“ des Westens zu „defensiv“, ja sogar „eher entlastend“. Es wird Sie nicht wundern, dass ich das anders sehe.
Mir geht es in der Debatte (und ging es in dem betreffenden Text) darum, eine Polarisierung zu vermeiden, bei der ein aktueller Völkerrechtsbruch gegen andere, vorangegangene Völkerrechtsbrüche aufgerechnet oder auch nur dieser Eindruck erweckt wird. Ich teile Ihre scharfe Kritik am völkerrechtswidrigen Irakkrieg und der Nichtanerkennung des Internationalen Strafgerichtshofs (auch) durch die USA. Aber wie ich schon bei vielen Gelegenheiten die USA kritisiert habe, ohne dies jedes Mal durch Hinweise auf expansionistische Bestrebungen Russlands indirekt zu relativieren, so möchte ich es auch jetzt gegenüber dem Putin-Regime halten. Ist das wirklich zu viel verlangt?