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Statt Aprikosen gibt es Prügel

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Von: Maria Sterkl

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Ein bewaffneter israelischer Siedler in der Nähe von Nablus im palästinensischen Westjordanland.
Ein bewaffneter israelischer Siedler in der Nähe von Nablus im palästinensischen Westjordanland. © Ilia Yefimovich/dpa

Burqa im Westjordanland steht unter israelischer Besatzung. Rechtlich gesehen ist es palästinensisches Land, faktisch kümmert das keinen / Von Maria Sterkl

Wenn die Bauern und Bäuerinnen von Burqa ihre Plantagen am Hügel über ihrem Dorf besuchen, parken sie ihre Autos nicht. Oben angekommen, wenden sie die Fahrzeuge um 180 Grad und bleiben auf der Fahrbahn stehen, um schnell wieder wegfahren können. „Das ist für den Fall, dass sie uns angreifen“, erklärt einer von ihnen. Die Kleingrundbesitzer:innen verhalten sich so, als würden sie etwas Verbotenes tun, wenn sie jenes Stück Land besuchen, das schon ihre Großeltern bewirtschaftet haben. Doch ihr Besuch auf dem Hügel ist völlig legal, niemand bestreitet, dass sie die Grundeigentümer:innen sind. Den jungen israelischen Siedlern, die immer wieder angelaufen kommen, um sie mit Steinen zu bewerfen und mit Baseballschlägern zu verprügeln, ist das Gesetz jedoch egal. Sie machen sich ihr eigenes Recht. Nur selten werden sie dafür bestraft.

Auf den ersten Blick ist Burqa ein idyllisches Dorf. Nahe Nablus, im Norden des palästinensischen Westjordanlandes, gelegen, steht es seit 55 Jahren unter militärischer Besatzung durch Israel. An einen Hügel gebaut, mit viel Grün durchzogen, erinnert Burqa fast an eine kleine Landkommune in der Toskana. Oliven wachsen hier, aber auch für Aprikosen und Mandeln ist die Gegend rund um Burqa bekannt. Flüsse halten das Land fruchtbar. Auf einer palästinensischen Tourismuswebsite wird Burqa als Ort der Erholung angepriesen. In Wahrheit ist die Gegend rund um Burqa ein Pulverfass. Die neue ultrarechte israelische Regierung unter Benjamin Netanjahu könnte es zum Explodieren bringen.

„Meine Eltern hatten eine Plantage mit Obst- und Mandelbäumen, sie verkauften die Ernte am Markt in Nablus“, erzählt der 64-jährige Najwad Amer. Eines Tages kamen israelische Siedler mit Bulldozern. Sie fällten die Bäume und bauten Häuser. Sie erklärten das Land, das den Familien von Burqa gehört, zu ihrem Eigentum. Sie gründeten eine Siedlung, nannten sie Homesh und errichteten einen Grenzzaun. Die Armee beschützte die Siedlung. Najwad Amers Eltern und die anderen Grundbesitzer:innen konnten das Land, das ihnen gehörte, nur noch aus der Ferne sehen. Es brachte ihnen kein Geld mehr ein.

Jahrzehnte später kam die Überraschung: Das israelische Parlament entschied im Jahr 2005, dass Homesh und drei weitere israelische Siedlungen im Westjordanland geräumt werden. Es war das Jahr, in dem auch alle israelischen Siedlungen im Gazastreifen zerstört wurden. Von nun an, so bestimmte es das Gesetz, sollten Israelis den Hügel nur noch mit spezieller Erlaubnis der Armee betreten dürfen. Die Bauern und Bäuerinnen aus Burqa kehrten auf den Hügel zurück, beseitigten die Trümmer der abgerissenen Siedlerhäuser und machten sich wieder an die Arbeit. „Meine Familie hat 200 Bäume gepflanzt“, erzählt Amer. Die Freude währte nur kurz: Sieben Monate später kehrten einige der Siedler zurück. Sie errichteten eine Thoraschule. Offiziell können die Menschen aus Burqa ihr Land zwar wieder betreten. „Das sind aber sehr extreme, aggressive Leute. Sie greifen uns an, sie kreieren eine Atmosphäre der Angst.“

Immer wieder erkämpften israelische und palästinensische Menschenrechtsorganisationen beim Höchstgericht den Beschluss, dass die Siedler den Hügel verlassen müssen. Doch jedes Mal kehrten diese wieder zurück. Als die ultrarechten Parteien in Israel die Wahlen gewannen, fühlten sich die Siedler offenbar bestärkt. Sie stellten neue Karawan-Behausungen auf dem Hügel über Burqa auf. Zwar ist es immer noch illegal, den Hügel zu besiedeln, aber niemand hinderte sie daran. Das Höchstgericht forderte die Regierung zur Erklärung auf, warum Homesh nicht geräumt wurde. Doch die neue Regierung unter Beteiligung rechtsextremer Parteien hat längst neue Pläne: Sie will die illegale Siedlung über Burqa schon bald „rückwirkend legalisieren“. Die Hartnäckigkeit der Siedlerlobby hat sich bezahlt gemacht.

Für Najwad Amer und die anderen Grundbesitzer:innen bedeutet das, dass sie alle Hoffnung verlieren, jemals wieder einen Schritt auf ihr Land setzen zu können. „Sie werden jetzt wieder Häuser bauen“, sagt Amer. Da es rund um jede Siedlung eine Bannmeile gibt, die von Palästinensern nicht betreten werden darf, würden weitere Grundbesitzer enteignet werden, befürchtet er. Vor allem aber macht den Menschen in Burqa Angst, dass sie noch häufiger gewaltsamen Attacken ausgesetzt sein werden. „Bis jetzt haben die israelischen Soldaten die Siedler manchmal in die Schranken gewiesen“, sagt Amer. Unter der neuen ultrarechten Regierung, so befürchtet er, könnte sich das ändern.

Gewaltsame Übergriffe von Siedlern auf Palästinenser:innen nahmen in den vergangenen Jahren stark zu. Im Jahr 2022 gab es einen neuen Rekord: Insgesamt 755-mal wurden laut der UN-Agentur OCHA Attacken auf Palästinenser:innen und ihren Besitz dokumentiert. Fast 600-mal wurde Sachschaden dokumentiert, in 161 Fällen kam es zu Körperverletzungen. Auch die terroristischen Anschläge von Palästinenser:innen auf Israelis nehmen zu. Im vergangenen Jahr kamen bei Attentaten im Westjordanland und in israelischen Städten 29 Israelis ums Leben. Sicherheitsexpert:innen befürchten, dass es im neuen Jahr einen weiteren Anstieg der Gewalt geben wird.

Neben Homesh werden nun auch rund siebzig andere illegale Siedlungen im Westjordanland legalisiert. Eine dieser Siedlungen ist nur wenige Kilometer von Homesh entfernt. Najwad Amer hat Angst um seine Familie. Diesmal geht es nicht nur um Obstbäume. „Ich fürchte, dass die Siedler uns irgendwann zwingen werden, gleich ganz von hier wegzuziehen.“

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