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SPD „verrät“ Trans-Community: Terfs diskutieren Transsexuellengesetz – Giffey bleibt stumm

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Von: Katja Thorwarth

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Im Wahlkampf trat Franziska Giffey (SPD) mit queeren Aktivist:innen auf. Eine Stellungnahme zur Veranstaltung der SPDqueer Berlin-Neukölln liefert sie jedoch nicht.
Im Wahlkampf trat Franziska Giffey (SPD) mit queeren Aktivist:innen auf. Eine Stellungnahme zur Veranstaltung der SPDqueer Berlin-Neukölln liefert sie jedoch nicht. © via www.imago-images.de

Das Transsexuellengesetz soll laut Ampel-Koalition gestrichen werden, dennoch diskutiert SPDqueer Berlin-Neukölln das TSG mit Terfs. Julia Monro im FR-Interview.

Frau Monro, erklären Sie uns doch bitte, was das Transsexuellengesetz (TSG) festlegt. 
Nach dem Transsexuellengesetz haben die antragstellenden Personen die Möglichkeit, ihren Vornamen und den Geschlechtseintrag in der Geburtsurkunde zu korrigieren und damit anschließend alle Papiere wie Personalausweis, Krankenversicherung, Bankverbindung, usw. neu ausstellen zu lassen. Operationen oder anderweitige medizinische Maßnahmen werden dort nicht geregelt. Dafür sind ärztliche Gremien verantwortlich, die entsprechende Behandlungsrichtlinien verabschieden.

Betroffene und Aktivist:innen fordern schon länger die Abschaffung des TSG. Was ist das Problem?
Als das Gesetz vor über 40 Jahren in Kraft getreten ist, war man der Auffassung, dass trans* Personen eine psychische Störung haben und nicht selbständig in der Lage sind, Entscheidungen über ihre Geschlechtszugehörigkeit zu treffen. Heute ist man schlauer und die Weltgesundheitsorganisation WHO hat „Transsexualismus“ aus der Liste der psychischen Erkrankungen gestrichen. Der Staat hat sich aber damals ein Mitbestimmungsrecht vorbehalten und hierfür eine zwingend erforderliche „Dritte Meinung“ eingebaut, um sich abzusichern. Deshalb findet nach dem TSG ein Gerichtsverfahren mit psychologischer Begutachtung statt.

Transsexuellengesetz: Trans Menschen fordern die Abschaffung

Was passiert bei solch einem Verfahren?
Dabei werden Fragen gestellt, die noch immer auf ein psychosexuelles Störungsbild aufgebaut sind. Zum Beispiel, wie häufig die Person masturbiert, ob sie sich Geschlechtsverkehr mit Tieren vorstellen kann oder beim Anblick von nackten Kindern Erregung verspürt. Auch Jugendliche erhalten solche Fragebögen. Als trans* Person fühlt man sich permanent in die psychisch kranke Ecke gestellt, mit perversem Sexualverhalten. Es geht bei trans* aber nicht um sexuelle Vorlieben, sondern darum wer man selbst ist, wie man sich selbst wahrnimmt und ausdrücken möchte. Das ist ein verfassungsgemäßes Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, welches vonseiten des Staates enorm beschnitten wird. Diese psychosexuelle Begutachtung ist absolut übergriffig, und wenn 99 Prozent aller Gutachten positiv ausfallen, dann fragt man sich, wozu man an dieser Praxis noch festhalten möchte. Immerhin kostet das den Staat ja auch noch Geld.

In Zahlen?
Das BMFSFJ hat das mal erörtert. 2015 wurde die Justizkasse mit rund einer Mio. Euro belastet – nur für die Kosten dieser psychologischen Sachverständigengutachten. Da war dann auch von Steuerersparnissen die Rede. Von einer Abschaffung würden also alle Beteiligten profitieren.

Zur Person

Julia Monro ist Aktivistin für Menschenrechte. Sie engagiert sich für die Verbesserung der Lebenssituation von trans Personen. In Deutschland hat sie mehr als 100 Verfahren zum Gesetz der sogenannten „Dritten Option“ begleitet und berät als Expertin für trans Rechte unter anderem auch die Bundesregierung.

Die Ampel will das TSG noch vor der Sommerpause abschaffen ...
Nach meinen Informationen soll bis zur Sommerpause lediglich ein neuer Entwurf vorliegen. Bis es dann tatsächlich abgeschafft wird, das wird dann wohl leider noch eine Weile dauern. Parlamentarische Prozesse sind sehr lang und brauchen viel Abstimmung unter anderem mit trans* Organisationen. Bis zur Sommerpause soll aber ein Eckpunktepapier präsentiert werden, die entsprechenden Referate der Ministerien arbeiten bereits daran. Erst später kommt es dann ins Kabinett und zur Abstimmung im Bundestag mit entsprechenden Stellungnahmen der jeweiligen Ausschüsse. Bis zur Sommerpause halte ich das deshalb nicht für realistisch. Ich vermute eher, zum Herbst hin wird es final. Ob es dann noch sofort in Kraft treten wird oder erst zum kommenden Jahresbeginn, das wird dann auch noch zu diskutieren sein.

Transsexuellengesetz: SPDqueer Berlin-Neuköln läd Terfs zu TSG-Veranstaltung ein

Aber es handelt sich um ein Versprechen der Bundesregierung.
Fakt ist, dass wir sehnsüchtig darauf warten, dass die neue Bundesregierung ihre Versprechen einhält und sich nicht durch Falschinformationen von reaktionären Gruppen blenden lässt. Aktuell höre ich immer wieder, wie Abgeordnete sich belästigt fühlen, dass Menschen aus der „Gender Critical“-Bewegung versuchen, sie in die Irre zu führen, und sie regelrecht belagern. Bundestagsabgeordnete brauchen da manchmal echt ein dickes Fell und tun mir tatsächlich manchmal leid. Allen voran Tessa Ganserer, was sie dort aushalten muss, davor ziehe ich echt meinen Hut.

Julia Monro.
Julia Monro. © privat

Warum sind feministische Gruppen, wie etwa Emma-Redakteurinnen gegen eine Abschaffung des TSG?
Die EMMA hat sich im Dezember 2019 sehr intensiv dem Thema trans* gewidmet und damit eine Debatte angestoßen. Anschließend haben sie selbst darüber berichtet, wie erfolgreich dieses Dossier gewesen ist, und sich regelrecht damit gebrüstet, wie viele Kommentare es bei Facebook gab und man sogar in den Twitter-Trends aufgetaucht sei. Als Magazin ist es natürlich klug, hier weiter ins Wespennest zu stechen, damit man im Gespräch bleibt. Menschlich finde ich es persönlich eine Schweinerei, wie man das Leid von Menschen so für den eigenen Profit ausschlachtet.

Monro zu Terfs: Mit Angst kann man immer gute Stimmung machen

Was sind die Argumente der Gegnerinnen?
Inhaltlich wird mit Desinformationen und populistischen Mitteln gearbeitet. Queer.de hat das mal schön aufgearbeitet. Es werden Einzelfälle hochstilisiert und dann wird laut „Gefahr“ gebrüllt. Mit Angst kann man immer gute Stimmung machen. Das war in der Kirche mit dem Fegefeuer so, und heute sehen wir das ja bei der AfD mit den Geflüchteten. Dazu bedient man sich einiger Inhalte, stellt sie in falschen Zusammenhang und bringt die Kinder ins Spiel (wie bei den Corona-Spaziergänger:innen, „Kinder in die erste Reihe“), usw. So entsteht dann bspw. „Kinderfalle Trans-Gesetz“ und ähnliches, wo Kinder sich angeblich gegen den Willen der Eltern schon mit 14 Jahren operieren können, etc. Dabei hat das neue Selbstbestimmungsgesetz rein gar nichts mit medizinischen Maßnahmen zu tun. Es regelt genau wie das TSG die Änderung von Vornamen und Personenstand und soll das bisherige entwürdigende Gerichtsverfahren vereinfachen. Punkt.

Was sind denn die konkreten Kritikpunkte und von wem kommen sie?
Nach meiner Wahrnehmung kommt die größte Kritik aus einer kleinen Gruppe radikaler Feministinnen, die aber leider ziemlich laut sind. Dabei muss man unterscheiden zwischen Radikalfeminismus und trans exklusivem Radikalfeminismus, also den sogenannten TERFs. Diese wollen trans Frauen nicht als Frauen akzeptieren und lehnen sie in ihrem feministischen Kampf ab. Da wird dann regelmäßig behauptet, es seien lediglich verkleidete Männer, die in Frauenräume eindringen wollen. Zum Beispiel Umkleidekabinen, WCs oder auch Vorstandsposten etc. Dabei wird aber offenbar immer wieder vergessen, dass für das „Eindringen“ in eine Toilette keine Passkontrolle erforderlich ist. Also, was hat das geplante Selbstbestimmungsgesetz damit zu tun? Und in Vorstandsgremien bestünde ja ebenso auch die Möglichkeit, dass Frauen sich zu Männern erklären können. Also wenn man Angst vor Missbrauch des Gesetzes hat, warum dann immer nur in eine Richtung? Immer zulasten von Frauen als Opfer?

Transsexuellengesetz: „SPD hat sich in puncto trans* Rechte nicht mit Ruhm bekleckert

Eine unberechtigte Sorge, sagen Sie?
Zum einen sind diese Sorgen nicht berechtigt, da sie in anderen Ländern mit Selbstbestimmung so nicht eingetroffen sind, zum anderen finde ich es extrem schwierig, sich selbst immer so massiv in der Opferrolle zu inszenieren. Natürlich sind Frauen heute nach wie vor in vielen Dingen nicht gleichberechtigt gegenüber Männern. Aber trans* zu sein, ist keine Laune, niemand tut sich diese Diskriminierungen freiwillig an und will dadurch irgendwem etwas „wegnehmen“. Ein weiterer Punkt ist die Behauptung, dass man angeblich ab 14 Jahren sein „Geschlecht“ ändern darf. Juristisch wird jedoch vom Geschlechtseintrag oder vom Personenstand gesprochen. Aber nicht vom medizinischen Geschlecht. Diese Dinge werden immer in einen Topf geworfen und so Fehlinformationen verbreitet. Das Selbstbestimmungsgesetz regelt keine medizinischen Maßnahmen. Hierfür sind lange abklärende Gespräche in Psychotherapie und Chirurgie erforderlich, bevor es zu einer Operation kommt. Dass man heute den Personenstand ändert und morgen auf dem OP-Tisch liegt, das ist und bleibt ein Märchen.

Dennoch hat Ramin Rachel von der SPD in Berlin mit solchen Vertreterinnen eine Abstimmung zum TSG organisiert. Wie ordnen Sie das ein?
Die SPD hat sich in der Vergangenheit in puncto trans* Rechte nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Ich verstehe deshalb sehr gut die Sorgen und Ängste der trans* Community, ein weiteres Mal von der SPD „verraten“ zu werden. Ich kenne ein paar Details, wie es zu dem besagten Treffen in Berlin gekommen ist. Da gibt es schon eine längere Historie, wo einzelne Personen, die sich pro trans* engagiert haben, weggemobbt wurden, usw. Man arbeitet also schon kontinuierlich seit einiger Zeit gegen die trans* Community. Der jetzige Austausch mit sogenannten TERFs ist also nicht das erste Treffen, und es ist auch demokratisch legitim.

SPD Berlin kommentiert Veranstaltung mit Terfs nicht

Fällt das nicht unter Meinungsfreiheit?
Wir leben natürlich in einer Demokratie und alle haben das Recht, ihre Meinung in demokratischen Prozessen einfließen zu lassen. Das beinhaltet aber auch, dass man so ein Treffen entsprechend kritisieren darf. Und es wirft natürlich die Frage auf, wenn die SPD auf der einen Seite einen Koalitionsvertrag verabschiedet hat, die SPD Berlin auch einen offiziellen Beschluss dazu erarbeitet hat, was macht es dann mit der Glaubwürdigkeit der Partei, wenn einzelne dagegen verstoßen und in die völlig entgegengesetzte Richtung laufen? Bundeskanzler Olaf Scholz hat es zur Wahl öffentlich bei ZDF „Klartext“ angekündigt, das TSG abzuschaffen. Da braucht es meiner Meinung nach ein offizielles Statement, ob dieses Versprechen nach wie vor Gültigkeit hat. 

Die SPD Berlin kommentiert „Einzelaktionen oder Einzelmeinungen“ auf Landesebene nicht. Ist das klug in dieser Situation?
Also eine Distanzierung sieht für mich anders aus. Man kann sich natürlich – mal wieder – der Verantwortung entziehen und nichts sagen. Aber man könnte ja auch endlich mal „klare Kante“ zeigen wie das vom Bundeskanzler im ZDF gefordert wurde! Da wünsche ich mir insbesondere von Hakan Demir und von Franziska Giffey eine ganz klare Äußerung, wie man zu den dortigen Ereignissen steht. Ich finde, das ist die SPD der trans* Community mehr als schuldig, um ihnen die Sorgen vor einer weiteren Enttäuschung zu nehmen. Wenn ich selber für die Öffentlichkeitsarbeit der SPD verantwortlich wäre, dann würde ich jedenfalls dringend dazu raten, sich dazu sehr konkret zu äußern, um entsprechend Vertrauen zu schaffen. (Interview: Katja Thorwarth)

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