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„Sowjetisch-imperiale Köpfe haben das Sagen“ im Ukraine-Krieg

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Von: Viktor Funk

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Der Politologe Felix Riefer spricht im FR-Interview über Russlands Vorstellung von der Welt, den Einfluss alter Geheimdienstler auf die Außenpolitik und die Blindheit des Westens.

Herr Riefer, in Deutschland tobt jetzt eine laute Debatte darüber, wer was bei Russland falsch eingeschätzt hat. Sie forschen zur russischen Außenpolitik unter Putin, was genau hat der Westen übersehen?

In Deutschland und im Westen war man geneigt, auf Russland so zu schauen, als gebe es dort zwei Lager im Kreml, ein liberales und ein konservatives. Diese Vereinfachung ist durchaus bis zur Präsidentschaft von Dmitri Medwedew auch von der Forschung geteilt worden. Retrospektiv muss man sagen, dass diese Vereinfachung die tatsächlichen Machtverhältnisse in Russland nicht wiedergab. Ich habe untersucht, welche Institute in Russland die internationalen Beziehungen analysieren, also welche Thinktanks die entscheidende Rolle spielen. In den Instituten, die dem Kreml zuarbeiten, haben sowjetisch-imperial geprägte Köpfe das Sagen.

Was bedeutet das?

Im westlichen Verständnis analysieren solche Thinktanks politische Prozesse, sie tragen bestimmte Themen in die Öffentlichkeit. So wirken sie auf den politischen Diskurs, vereinfacht gesagt. In Russland dagegen werden die großen Einrichtungen dieser Art vom Staat kontrolliert. Sie sind an den Kreml angebunden und werden von ihm gesteuert. Einerseits will und braucht der Kreml Beratungen von ihnen, aber vor allem dienen sie der Verbreitung und Festigung zuvor bestimmter Positionen. Der Beratungsprozess dient der Festigung der Gefolgschaft und Loyalität bei den Funktionseliten.

Parade in Moskau: „Und das heißt, dass man sich das nehmen kann, was man für seins hält, also die Ukraine und grundsätzlich den postsowjetischen Raum kontrollieren will. “
Parade in Moskau: „Und das heißt, dass man sich das nehmen kann, was man für seins hält, also die Ukraine und grundsätzlich den postsowjetischen Raum kontrollieren will. “ © ITAR-TASS/Imago Images

Heißt es, sie bringen keine neuen Ideen in die Machtzentrale ein oder liefern keine adäquaten Analysen?

Das Erarbeiten von Papieren und Einspeisen von Ideen, eine echte Konkurrenz zwischen den Thinktanks – das gab es in den 90er Jahren. Aber darunter waren auch Kader alter Schulen, zum Beispiel im Rat für Außen- und Verteidigungspolitik (SWOP). Darin fanden sich die entmachteten Eliten aus den Sicherheitsapparaten wieder. Sergej Karaganow war einer davon, er ist im Westen bekannt. Er hat SWOP mit dem damaligen Analyse-Chef des KGB und anderen Geheimdienstlern gegründet. Sie haben damals ihre Positionspapiere in die Jelzin-Regierung eingebracht. Und wenn wir uns die heute anschauen, dann sieht man, dass die heutige Außenpolitik schon damals formuliert wurde.

Ukraine-Krieg: Moskau will den postsowjetischen Raum kontrollieren

Damals waren diese Leute aber nicht an der Macht?

Sie haben wie klassische westliche Denkfabriken gehandelt, mit dem Unterschied, dass sie ihre sowjetische Prägung und Verbindungen behielten. So hat sich das sowjetisch-imperiale Denken konserviert. Und das heißt, dass man sich das nehmen kann, was man für seins hält, also die Ukraine und grundsätzlich den postsowjetischen Raum kontrollieren will.

Wie wirken die Positionen eines Thinktanks auf die russische Außenpolitik?

Dieses Denken, oder diese Prägung, ist weit verbreitet und sie wird vor allem konserviert und vermittelt in den Institutionen, in denen für den auswärtigen Dienst ausgebildet wird. Das macht die Uni des Außenministeriums, MGIMO. Die schmiedet drei Viertel der russischen diplomatischen Elite. Und aus diesen Kadern schöpft die Präsidialadministration ihr Personal. Eine wichtige Figur ist Juri Uschakow, er ist Putins Assistent für Fragen der Außenpolitik und USA-Experte. In der Präsidialadministration ist er für die auswärtige Politik verantwortlich. Er hat Einfluss auf die außenpolitischen Prozesse.

Zur Person

Felix Riefer ist Politikwissenschaftler aus Bonn. Er hat zu Russlands Außenpolitik unter Putin 2000–2018 promoviert. Er studierte Politikwissenschaften, Regionalstudien Ost- und Mittel-europas und Sozialwissenschaften an der Universität zu Köln und an der Sciences Po – Paris School of International Affairs (PSIA). Schwerpunkte seiner Arbeit sind Russland, der postsowjetische Raum und die Forschung zu russlanddeutschen (Spät)-Aussiedlern. Riefer ist Beiratsmitglied des Lew-Kopelew-Forum. (FR)

Haben also diese sowjetisch-imperialen Denkfabriken die eher liberalen, reformorientierten Gruppen, die es noch unter Medwedew gab, verdrängt?

Verdrängt ist nett formuliert. Das große Ende der liberalen Denkfabriken oder überhaupt der NGO-Vielfalt in Russland kam 2014. Dabei hatten sie nur wenige Jahre, sich zu entfalten, so etwa 1992 bis 2003. Damals wurde mit dem Fall Jukos nicht nur die Entwicklung der Wirtschaft und Zivilgesellschalt, sondern auch die Freiheit der Denkfabriken abgewürgt. 2014 schließlich lieferte RISI, das Russländische Institut für Strategische Studien, einen Bericht, in dem die Arbeit ausländischer Stiftungen oder die Förderung russischer liberaler NGO mit ausländischem Geld als Propaganda des Westens definiert wurde.

Man bewegt sich im Bereich von Verschwörungen

Felix Riefer

Zwischen 2009 und 2017 wurde RISI vom ehemaligen KGB-Mann Leonid Reschetnikow geleitet. Das Institut ist direkt der Präsidialadministration untergeordnet und liefert Strategiepapiere. Unter Reschetnikow wurde die nationalistisch-konservative Ausrichtung Russlands pseudo-intellektuell unterfüttert. Das Institut arbeitete auch eng mit dem neurechten Politologen Alexander Dugin zusammen. Dugin war bis Sommer 2014 Professor an der wichtigsten Hochschule des Landes, der Lomonossow-Universität und rief öffentlich zum Morden in der Ukraine auf.

Jetzt sehen wir, dass die russischen Truppen in der Ukraine nicht so vorankommen, wie sie wollen. Eine These ist, dass die Fehleinschätzung dieses Krieges im Kreml auch deswegen geschah, weil man falsch oder schlecht informiert wurde. Lieferten die Berater nur das, was Putin hören wollte, hatte er eine realistische Einschätzung der Lage in der Ukraine?

Die haben eigentlich die gleichen Fehler gemacht wie 2014. Und das liegt daran, dass man eine ehrliche Analyse des postsowjetischen Raums offensichtlich als nicht relevant betrachtet. Man bewegt sich eher im Bereich von Verschwörungen. Jetzt sehen wir nach kurzer Zeit des Krieges, dass zwei Generäle unter Hausarrest gestellt wurden, dann der Leiter der 5. Abteilung des FSB, die für die Ukraine zuständig ist, außerdem wurde noch der stellvertretende Kommandant der Nationalgarde zum Rücktritt gezwungen und dann ins Lefortowo-Gefängnis gesteckt. Und am 9. April wurde die Befehlskette umorganisiert, jetzt hat General Alexander Dwornikow das Kommando, er ist schon aus dem Syrien- und dem Zweiten Tschetschenien-Krieg für seine Effektivität und Grausamkeit bekannt.

Was kann der Westen daraus folgern?

Moskau stellt den Einmarsch in die Ukraine nicht in Frage. Diese Umorganisation zeigt eher, dass es um operative Fähigkeiten geht, um die Durchsetzung der eigenen Vorstellungen. Wir wünschen uns, dass der Kreml die Fehler einsieht. Aber das ist ein Trugschluss.

Felix Riefer.
Felix Riefer. © Privat

Warum denken Sie das?

Die russische Regierung handelt nicht auf der Grundlage einer Analyse, sondern auf der Grundlage einer Weltvorstellung. Und im Rahmen dieser Vorstellung gehört die Ukraine einfach Russland. Und wer das nicht so sieht, der ist ein Nazi. Das sagen sie genauso primitiv. Manchmal denke ich, dass man das im Westen nicht verstehen will, weil wir uns das nicht vorstellen können.

Der Kreml hat den Ukraine-Krieg aus Überzeugung gestartet

Es gibt auch in Deutschland jetzt die Debatte darüber, was Deutschland selbst falsch gemacht hat. Ist das nicht naiv zu glauben, dass wir mit bestimmtem Handeln Putin vom Krieg abgehalten hätten?

Der Kreml hat den Krieg aufgrund bestimmter Überzeugungen gestartet. Der erwähnte Karaganow hat gerade erst in einem großen Interview gesagt, dass die russische Elite sich in einem existentiellen Kampf gegen den Westen sieht. Dabei ist es Moskau, das einen Vernichtungskrieg gegen die Ukraine führt. Der Kreml stellt das kontrafaktisch als einen Verteidigungskrieg dar. Gut möglich, dass sie das selbst glauben. Das ist wichtig. Wenn der Westen das versteht, dass es um mehr als um die Ukraine geht, dann kann er besser handeln.

Und wie?

Wir müssen die Rahmenbedingungen ändern. Das Handeln Moskaus muss auf mehr Widerstand stoßen: wirtschaftlicher Widerstand, aber auch militärischer. Wir müssen die Ukraine befähigen, so viel Widerstand zu leisten, dass sich die russischen Streitkräfte abwenden. Vielleicht gibt es dann echte Verhandlungen. Bisher ist der Druck dafür zu niedrig.

Was ist mit China? Russland wendet sich Peking zu. Ist China der Schlüssel, um den Krieg zu beenden?

In einem sehr optimalen Szenario könnte China kurzfristig helfen, vielleicht den Krieg zum Stehen zu bringen. Aber wir befinden uns auch mit China in einem Systemkonflikt. China taugt perspektivisch nicht zum Verbündeten. Uns muss klar sein, dass die Grenzen, die wir Russland setzen, die setzen wir auch China oder dem Iran. Die autoritären Regime schauen sich derzeit ganz genau an, was in der Ukraine passiert. (Interview: Viktor Funk)

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