Söders Krönung

Der CSU-Parteitag kürt den Parteichef einstimmig zum Kandidaten für die Bayern-Wahl – und beschließt ein neues Grundsatzprogramm.
Kurz nach Mittag war er gekrönt. Markus zum Zweiten: Bayerns Landesfürst Söder führt seine CSU als Spitzenkandidat nach 2018 einmal mehr in die Landtagswahl. Eine Krone gab es genau genommen zwar nicht an diesem Samstag in Nürnberg, dafür aber die kollektive Unterstützung des Parteitags. Keine Enthaltung, keine Gegenstimme: Markus Söder, der nicht immer unumstritten war auf seinem Weg an die Spitze der Christsozialen, kann mittlerweile auf volle Rückendeckung zählen.
Nach minutenlangem Applaus stapfte der fränkische Hüne also noch einmal auf die weiß-blaue Bühne – und schien plötzlich sprachlos: „Äh, ja“, stammelte er und ergänzte dann fast zurückhaltend: „Ich bedanke mich wirklich sehr bei euch.“ Demut sollte das wohl ausstrahlen. Unvergessen sind schließlich die Rückschläge von 2018, als man in Bayern plötzlich einen Partner zum Regieren brauchte, und 2021, als im Bund die Regierungsbeteiligung verloren ging.
Zuvor hatte der 56-Jährige fast 100 Minuten lang emotional zur Partei geredet und gewohnt angriffslustig den Wahlkampf ausgerufen – als „Marathon mit Volldampf“. Genau fünf Monate und mutmaßlich Dutzende Bierzeltreden sind es noch bis zum 8. Oktober. Dann wählt Bayern seinen Landtag neu und entscheidet damit auch über das Amt des Ministerpräsidenten.
Für die Politologin Ursula Münch, Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing, ist nach der Kür klar, dass die CSU „höchst gelassen in diesen Wahlkampf gehen“ kann. Das sagte sie der Frankfurter Rundschau vor Ort. In Umfragen liegt die Partei bei gut 40 Prozent – klar über den traumatischen 37,2 Prozent von 2018. Die Grünen werden auf Platz zwei mit 16 bis 18 Prozent eingestuft. SPD, AfD und die Koalitionspartner der CSU, die Freien Wähler, folgen mit rund zehn Prozent.
Klare Verhältnisse scheinen fürs Erste auch in Sachen Kanzlerkandidatur der Union zu herrschen, am Samstag sagte Söder: „Einmal Berlin reicht. Meine, unsere Lebensaufgabe ist Bayern.“
Der Traum Berlin ist geplatzt – die Hauptstadt oder vielmehr die Arbeit der Bundesregierung stellte Söder denn auch als Alptraum dar. „Die Ampel spaltet Deutschland“, sagte er etwa zum Streit in der Migrationspolitik. Ein Treffen im Kanzleramt soll am Mittwoch den Konflikt um die finanzielle Last der Unterbringung Geflüchteter lösen. Die Koalition aus SPD, Grünen und FDP, so Söders Vorwurf, lasse die Kommunen „am ausgestreckten Arm verhungern“. Zudem werde die Ampel mit „einer Reihe von Fehlentscheidungen“ zum „größten Armutsrisiko der jüngeren deutschen Geschichte“, sagte er und warnte mit Blick auf die Klimapolitik: „Das Wohlstands-Eis schmilzt schneller als das Eis der Gletscher.“
Auch im Fall des grünen Staatssekretärs Patrick Graichen legte Söder nach. Der Mitarbeiter von Wirtschaftsminister Robert Habeck habe die Vereinbarkeit von Familie und Beruf deutlich falsch verstanden, witzelte Söder zunächst – und polterte dann: „Das ist nichts anderes als grüne Korruption!“ Politologin Münch kritisierte diese Attacke: „Korruption kann ich nicht erkennen.“ Die grüne Parteiführung wollte auf FR-Anfrage zum Vorwurf nicht Stellung nehmen.
Söder münzte die Thematik derweil auf Bayern. An die Grünen im Münchner Landtag wandte er sich mit fast wütender Stimme: „Wenn ihr noch einmal das Wort Filz in den Mund nehmt! Löst eure eigenen Probleme, statt den anderen Ratschläge zu geben!“ Erst am Freitag hatten dort Grüne, SPD und FDP ihren Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses zur bayerischen Maskenaffäre vorgelegt. Demzufolge waren CSU-Kontakte bei der Materialbeschaffung zu Beginn der Pandemie verantwortlich für Millionenverluste. Die bayerische Landesregierung streitet das ab.
Im Trubel der Kandidatenkür ging am Samstag fast unter, dass die CSU das neue Grundsatzprogramm mit dem Titel „Für ein neues Miteinander“ beschloss. Darin werden Münch zufolge neue, liberalere Töne angeschlagen. Im Text heißt es etwa: „Menschen dürfen anders sein. Menschen müssen sich für ihr Sosein nicht rechtfertigen.“ Neu ist andererseits aber ein erweiterter Extremismus-Begriff: „Die offene Gesellschaft ist bedroht. Wir treten deshalb jeder Form von Extremismus, egal von rechts, links oder religiös motiviert entschieden entgegen. Eine neue Erscheinung ist der linke Kulturkampf in Form von Identitätspolitik, Wokeness und Cancel Culture“, steht im Programm.
Auch Söder schlug erneut in diese Kerbe: „Wir sind gegen Wokeness und für die Liberalitas Bavariae.“ Letzteres ist das von der CSU immer wieder beschworene politische Schlagwort, das für ein von Freiheit geprägtes bayerisches Lebensgefühl stehen soll. Im Grundsatzprogramm von 2017 kam es nicht vor, nun erlebt es ein Comeback. Es wird als Gegenmodell zur Klimapolitik der Grünen stilisiert. Und das mit Erfolg, wie Politologin Ursula Münch analysierte: „Da schwimmt man auf einer Welle mit, die man auch selbst befeuert.“ Das komme bei vielen gut an – auch jenseits der CSU-Kernklientel.
Söder gab derweil erneut das Ziel einer Koalition mit den Freien Wählern aus. Würde er die Partnerwahl offenlassen, sagte Münch, könnte er sich nicht so klar an den anderen Parteien abarbeiten. Die kommenden Monate dürften es also in sich haben.