Politischer Aschermittwoch: Söder poltert gegen die Grünen

Beim Politischen Aschermittwoch in Passau schwört der CSU-Chef seine Partei auf die Bayern-Wahl ein.
Draußen hängt noch dichter Donaunebel über Passau, als um 8:48 Uhr die erste Maß Bier das Licht der Dreiländerhalle erblickt. Drinnen zuckt der Dirigentenstab in die Höhe. Trompeten, Hörner und Posaunen erklingen. Die Trommel wirbelt. Die CSU-Anhängerschaft füllt Wirtshaustische und Bierbänke. Es ist zu spüren, dass zwei Jahre ohne Politischen Aschermittwoch wegen Pandemie und Krieg ein Loch ins Selbstverständnis der Partei gerissen haben, das nun wieder gefüllt werden soll. Wohin man blickt: Trachtenjanker, Dirndl und viel weißes Haupthaar, so mancher Kopf darunter von nun an immer blauer.
Ein Schild in der ersten Reihe gibt die Stimmung vor: „Markus der Macher! Bravo!“, steht auf der einen Seite und auf der anderen: „Werte braucht die Union!“; „Werte“ und „Union“ sind in roter Schrift hervorgehoben. Horst Walter ist aus Braunschweig angereist und will, „dass es heute mal richtig kracht und dass Klartext geredet wird“. Stephanie Winter aus Nürnberg Lauf am Holz, dem Stimmkreis von Ministerpräsident Markus Söder höchstselbst, ist zum zweiten Mal hier. Den bayerischen Grünen erteilt sie, anders als es Söder wenig später mit harten Attacken erneut tun wird, keine Absage. Nach der Landtagswahl im Herbst müsse man sich gegebenenfalls mit allen zusammensetzen, fordert sie. Die absolute Mehrheit von früher bleibt aber der eigentliche Wunsch, die große Sehnsucht im Publikum.
Markus Söder: „Hier wird nicht gegendert“
Dann wird die Halle in tiefes CSU-Blau getaucht. Das Draufhauen beginnt. Christian Bernreiter, Bayerns Bauminister, eröffnet für den Parteichef: „Hier wird nicht um den heißen Brei herumgeredet, hier wird nicht gegendert, hier heißt es nicht ‚Politik korrekt‘, sondern ‚Politik direkt‘!“ Die Bühne ist bereitet. Söder erklimmt sie und beginnt mit voller Wucht Westernhagen zitierend „Wir sind wieder hier, in unserm Revier!“ – doch bremst dann die Euphorie zum ersten Mal: Er erinnert an den Absturz auf 37,2 Prozent bei der Landtagswahl 2018, den erzwungenen Abschied aus der Bundesregierung 2021 und räumt ein: „Da waren wir schon in einer Delle und einer Depression.“ Kurz darauf beginnen die Attacken auf die Konkurrenz.
SPRÜCHE DER ANDEREN
Traditionell geben alle Parteien am Aschermittwoch deftige Sprüche über die politische Konkurrenz zum Besten. Eine Auswahl von Ampel-Stimmen:
FDP-Chef Christian Lindner wagte Selbstironie und sagte, zu Beginn eines Landtagswahlkampfs habe meist „das Bier mehr Prozent als die Umfrageergebnisse der FDP“. Über die CSU müsse er „was Positives“ sagen – es folgte eine lange Pause, unter Gelächter des Publikums.
SPD-Chef Lars Klingbeil stichelte gegen Markus Söder: „ Das schafft auch nicht jeder, gegen Armin Laschet als Kanzlerkandidat zu scheitern.“
Die Grünen-Chefin Ricarda Lang forderte die Opposition dazu auf, staatspolitische Verantwortung zu übernehmen. Söder warf sie vor, seine politischen Positionen zu wechseln „wie andere ihre Unterhosen“. afp
Die Ampel? „Die schlechteste Bundesregierung, die Deutschland je hatte.“ Ex-Verteidigungsministerin Christine Lambrecht? „Eine Blamage.“ Wirtschaftsminister Robert Habeck? „Ludwig Erhard würde im Grab rotieren.“ Die FDP? „In der Regierung eine totale Enttäuschung.“ Berlin? „Hauptstadt der Chaoten.“
Den Klimaktivist:innen der „Letzten Generation“ schlägt er vor: „Fliegt doch alle einmal nach China, klebt euch am Platz des Himmlischen Friedens fest.“ Schwer fällt es, die schrecklichen Bilder von der tödlichen Niederschlagung studierender Proteste 1989 nicht mitzudenken. Kurz zuvor hat Söder Annalena Baerbocks Äußerung, man befinde sich mit Russland im Krieg, noch mit den Worten kommentiert: „Die Eskalation von Sprache kann schnell zur Eskalation von Gewalt führen.“ Doch das scheint nun vergessen.
Politischer Aschermittwoch: Söder schießt sich auf die Grünen ein
Alle kriegen – erwartungsgemäß – ihr Fett weg, doch zwei Dinge stechen heraus. Einerseits schießt sich Söder auf die Grünen ein. Die SPD ist in bayerischen Umfragen auf neun Prozent gefallen und spielt mehr oder minder keine Rolle mehr. „Es droht tatsächlich eine düstere Woke-Wolke unseren weiß-blauen Himmel zu verdunkeln“, unkt Söder und hat vielleicht noch den Donaunebel draußen vor Augen. Per Parforceritt spult er das CSU-Pflichtprogramm bestehend aus Winnetou, Gendersternchen und Veganismus ab und poltert unter Jubel: „Wir lassen uns von den Grünen nicht Kultur und Sprache umerziehen. Nein, nein, nein!“ Milder gibt sich Söder andererseits mit den Freien Wählern, seit 2018 der eigentlich unliebsame Koalitionspartner in München: Kumpelhaft, ja fast liebevoll nimmt er die einst Abtrünnigen und seinen Vize, Hubert Aiwanger, aufs Korn. Bei rund 40 Prozent steht Söders Partei derzeit in den Umfragen, „stabil“, wie er sagt – aber weit entfernt von früheren Werten.
Als Leitfrage für das Wahljahr ruft Söder folgerichtig aus: „Soll die Bayern-Koalition fortgesetzt werden oder gibt es eine Mini-Ampel?“ Die große Sehnsucht Alleinregierung, so demütig gibt man sich mittlerweile bei der CSU, ist nicht mehr das Ziel. Nach rund 90 Minuten Rede stellt sich trotz allen Superlativen, allem Neuschwanstein-Pomp und minutenlangen stehenden Ovationen der Eindruck ein, dass die CSU-Maß inzwischen eher halb leer ist als noch halb voll.