Söder liegt schon auf der Lauer

Die Revolution fällt aus, doch die Gegner von CSU-Chef Horst Seehofer können warten - er soll jetzt erst einmal in Berlin die Regierungsbildung vorantreiben. Derweil träufelt Markus Söder Gift.
Erst ist es nur Großhabersdorf. Ein kleiner Ort ein paar Kilometer westlich von Nürnberg. Fachwerkhäuser, 4000 Einwohner. Am Tag nach der Bundestagswahl veröffentlicht der CSU-Ortsverband Großhabersdorf eine Erklärung: „Horst Seehofer hat als Parteivorsitzender das historisch katastrophale Abschneiden der CSU bei der Bundestagswahl persönlich zu verantworten.“ Sie zählen Fehler auf, zweifeln die Durchsetzungsfähigkeit Seehofers an. Es ist eine Rücktrittsaufforderung. Von ein paar CSU-Kommunalpolitikern nur, ein paar Hanseln, so könnte man das auf bayerisch abtun.
Aber es bleibt nicht bei den Hanseln. Oder anders: Es kommen jeden Tag ein paar andere dazu. Am Mittwoch ist es so, dass die bayerische Landtagsfraktion in München nicht vor allem über das Wahlergebnis diskutiert, sondern über Seehofer. Er sei gelassen, sagt der. Aber etwas ist anders: Das Lachen, das seine Worte bisher zuverlässig begleitet hat, dieses Lachen ist weg.
Er hat seinen Leuten noch vor einem halben Jahr gesagt: „Ihr könnt mich nach der Wahl köpfen.“ So zumindest wurde es aus internen Sitzungen berichtet. Nun ist die Wahl vorbei und die CSU ist auf 39 Prozent gekommen. Im Vergleich zu anderen Parteien, zur CDU, zur SPD, ist das viel. Die CSU aber ist an absolute Mehrheiten gewöhnt und hält schon ein Unterschreiten der 50-Prozent-Marke für eine Beleidigung. Nun hat sie zehn Prozentpunkte verloren im Vergleich zur letzten Bundestagswahl, deutlich mehr als andere. Und die AfD ist in Bayern stärker geworden als in anderen westdeutschen Bundesländern, ausgerechnet in dem Land, dessen früherer Ministerpräsident Franz Josef Strauß den Merksatz geprägt hat, rechts der Union dürfe nur noch die Wand sein, aber keine andere Partei. Und in einem Jahr ist die nächste bayerische Landtagswahl.
Kein Bestandteil der CSU-DNA
Das Ergebnis „gehört nicht zur DNA der CSU“, beschwert sich Edmund Stoiber noch am Wahlabend. Er war auch mal Parteichef und Ministerpräsident. Sein Sturz ist nun genau zehn Jahre her, mit ihm hat die CSU mal 60 Prozent geholt. Als Stoiber gehen musste, weil man ihm Unglaubwürdigkeit vorwarf, war es auch noch ein Jahr hin bis zur Landtagswahl. Nicht Großhabersdorf hatte damals zuerst Zweifel an Stoiber angemeldet, sondern eine Landrätin aus dem nicht weit davon entfernten Fürth namens Gabriele Pauli. Die hat erst keiner so richtig ernst genommen. Nach einem guten Monat war Stoiber weg.
Ein bisschen anders liegt die Sache diesmal schon. Das liegt zum einen daran, dass Seehofer ein wenig geschmeidiger ist als sein Vorvorgänger. Der Hauptunterschied allerdings ist, dass der aktuelle bayerische Ministerpräsident dieses Mal einen klaren Gegner hat: Markus Söder, den bayerischen Finanzminister.
Der läuft sich seit Jahren warm für das höchste bayerische Amt. Am Dienstagmorgen meldet sich Söder im ZDF-Frühstücksfernsehen. Er warnt vor Hauruckentscheidungen, vergisst aber nicht zu erwähnen: „Ich habe meine Meinung immer relativ konstant gehabt und musste die nicht ändern.“ Er hat Seehofer nicht erwähnt, aber es ist ja dokumentiert, dass der Angela Merkel zunächst scharf angegriffen und im Bundestagswahlkampf dann wieder gelobt hat.
Söder träufelt Gift
Am Nachmittag ist Söder im Bayerischen Rundfunk zu vernehmen: „Horst Seehofer hat immer gesagt, die Bundestagswahl sei die wichtigste, denn damit würde die Grundlage für die Bayern-Wahl gelegt. Das macht mir jetzt im Nachhinein große Sorgen“, sagt er da.
Es ist vermutlich kein nicht allzu großer Zufall, dass die, die jetzt Seehofers Rückzug fordern, aus dem Umfeld Söders stammen. Seehofer versucht die Debatte zunächst wegzupusten. Am Dienstag, als Söder sein Gift ins Frühstücksfernsehen träufelt, hat Seehofer den Konkurrenten in Bayern alleine lassen müssen. Er muss nach Berlin. Die neuen Bundestagsabgeordneten kommen zum ersten Mal seit der Wahl zusammen, es sind ein paar weniger als beim letzten Mal. Sie sind bedrückt, in den Unions-Fraktionssitzungen waren sie immer die stärksten bisher. Nun klopfen ihnen CDU-Kollegen mitleidig auf die Schulter und sagen Sätze wie: „Jetzt sind ja sogar wir Niedersachsen mal besser als ihr.“
Seehofer hält eine Pressekonferenz in der Bayerischen Landesvertretung, links hinter ihm steht eine Büste von Strauß. Seehofer sieht müde aus. Das Handy liegt vor ihm, immer im Blick. Es scheint ihm angebracht in diesen Zeiten. Er sagt, er sei sehr einverstanden, dass Fragen gestellt würden. „Ist doch ganz logisch.“ Aber die Debatte müsse „in anständiger Weise“ geführt werden, und zwar auf dem Parteitag im November. Irgendwann während der Pressekonferenz zieht Seehofer das Handy an sich und beginnt zu lesen. An diesem Nachmittag positioniert sich das erste Kabinettsmitglied gegen ihn: Albert Füracker fordert einen „geordneten personellen Übergang“. Er ist Staatssekretär in Söders Finanzministerium. Und außerdem Bezirkschef der CSU Oberpfalz.
Seehofers Schulterschluss mit der CDU
Seehofer reagiert: Es sei „schon eigenartig“, dass sich ein Kabinettsmitglied so äußere. Ungewöhnlich ist das in der Tat.
Ungewöhnlich ist auch, wie schnell Seehofer in diesen Tagen den Schulterschluss mit der CDU sucht. Fast wirkt es, als suche er vor dem Ärger daheim Schutz im Kanzleramt. Womöglich ist es aber auch so, dass der Ärger daheim ihm nutzt, den Ärger mit dem Kanzleramt schnell beizulegen.
Angela Merkel, so ist die klare Lesart der CSU und Seehofers, sei schuld an dem Wahlergebnis, auch an dem in Bayern. In der CDU kursiert die umgekehrte Variante: In Ländern wie Sachsen und Bayern, die Merkel besonders massiv kritisiert hätten, seien die Unions-Verluste und die AfD-Gewinne besonders groß. Am Wahlabend fordert Seehofer: „Wir müssen die rechte Flanke schließen.“ Die Obergrenze für Flüchtlinge, über die sich Merkel und Seehofer gestritten haben, wird wieder zum Thema, an dem eine Regierungsbildung scheitern könnte. Und in dieser Lage trifft sich Seehofer mit Merkel.
Über Monate hat er sie beschimpft und ihr gedroht. Nun kommt er aus dem Kanzleramt und beginnt zu schwärmen: „Vernünftige Atmosphäre. Kein Streit, keine Vorwürfe. So stelle ich mir das vor.“ Er spricht auch in der Unions-Bundestagsfraktion und CDU-Politiker, die dem Auftritt mit einigem Bangen entgegengesehen haben, befinden hinterher überrascht. „Er hat vor allem die Gemeinsamkeiten betont.“ Es ist zu vermuten, dass Merkel und Seehofer sich längst auf einen Kompromiss geeinigt haben. Auffällig ist auch, dass Seehofer nun die Forderung nach einer Rentenreform nach oben zieht – und dass die CDU ihm diesen Raum lässt und damit die Möglichkeit, Durchsetzungsfähigkeit zu demonstrieren. Merkel will eine Regierung bilden, sie hat kein Interesse daran, dass die CSU sich intern zerlegt.
Aber da ist ja die Sache noch nicht ausgestanden. Am Mittwoch trifft sich die CSU-Landtagsfraktion, schon am frühen Morgen um halb 9. Der Sitzungsbeginn ist vorverlegt worden. Es gebe viel Gesprächsbedarf, heißt es. „Die Landtagsfraktion übernimmt mal wieder die Drecksarbeit“, sagt ein Bundestagsabgeordneter. Noch vor Sitzungsbeginn kommt die erste Kritik an Seehofer, wieder per Frühstücksfernsehen. Ex-Parteichef Huber hält Seehofer vor, Rede- und Denkverbote auszusprechen, indem er die Personaldebatte auf den Parteitag vertage.
Der Parteichef schiebt sich wenig später durch Kameras in den Sitzungssaal im Landtag. Er geht zum Gegenangriff über: „Wie sollen wir in Berlin kraftvoll auftreten, wenn das so begleitet wird“, kritisiert er. Und faucht: „Der Schaden ist schon entstanden, der ist nimmer auszuradieren.“ So ähnlich sagt er es auch drinnen in der Fraktion. Er bekommt deutlichen Applaus. Die Revolution fällt aus, zumindest an diesem Tag.
Parteichef geht zum Gegenangriff über
Söder sagt, er freue sich, dass viele ihm eine wichtige Rolle in der Partei zuschrieben. Er hat schon lange gewartet, vielleicht befürchtet er, dass sich sein Zeitfenster auch wieder schließen kann. Er ist dieses Jahr 50 geworden, mittlerweile ist er keine Nachwuchskraft mehr. Andere, wie Daniel Günther in Schleswig-Holstein, sind schon jünger Ministerpräsident geworden. Und Seehofer hat im Wahlkampf Karl-Theodor zu Guttenberg reaktiviert. Der gescheiterte Politik-Popstar ist auf seinen Veranstaltungen gefeiert worden. Steigt er wieder richtig ein in die Politik, kann er Söders Ambitionen gefährlich werden.
Seehofer soll nun erst mal verhandeln: Wenn Söder Ministerpräsident werden will, kann auch er eigentlich kein Interesse daran haben, dass die Regierungsbildung in Berlin scheitert. Seehofer könne auf dem Parteitag ruhig als Vorsitzender kandidieren, sagen die, die einen Wechsel fordern. Die Entscheidung über den Spitzenkandidaten für die Landtagswahl sei dann noch mal eine ganz andere.
Der Parteitag findet übrigens in Nürnberg statt, in der Stadt nahe Großhabersdorf.