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Die sind nicht von hier, die waren’s!

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Von: Nadja Erb

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Polizeistreife im Kölner Hauptbahnhof.
Polizeistreife im Kölner Hauptbahnhof. © imago/JOKER

Ausländer sind krimineller als Deutsche? Kriminologen wissen, dass der oft gehörte Vorwurf Unsinn ist, aber Rechte halten an der Mär eisern fest.

Die Warnung vor dem Migranten als Sicherheitsrisiko ist so alt wie die Fremdenfeindlichkeit selbst. Entsprechend ist die vermeintliche Bedrohung der inneren Sicherheit Deutschlands durch kriminelle Einwanderer und Asylbewerber eines der wichtigsten Leitmotive rechter Parteien und Bewegungen. Und es gibt kaum ein anderes, das auf einen solch fruchtbaren Boden fällt: Verschiedene Studien und Umfragen aus den vergangenen Jahrzehnten zeigen ausnahmslos, dass der überwiegende Teil der Bevölkerung das Problem der „Ausländerkriminalität“ größer einschätzt als es tatsächlich ist (in einer Studie des Kriminologischen Instituts Niedersachsen von 2011 waren es 96,5 Prozent), und dass ein wesentlicher Teil sich für eine härtere Verfolgung krimineller Ausländer ausspricht oder die Frage „Sind Ausländer krimineller als Deutsche?“ mit Ja beantwortet.

Angesichts solcher Daten könnte man die fortgesetzte öffentliche Warnung vor dem „kriminellen Ausländer“ für überflüssig halten. Die Botschaft scheint schließlich angekommen zu sein. Dennoch ist das Thema bis heute fester Bestandteil in sämtlichen rechten Medien und Foren. So veröffentlichte das Internetportal „Journalistenwatch.de“ im November 2015 unter dem Titel „Kriminelle Ausländer – Die Liste des Horrors!“ 50 über drei Monate gesammelte Onlineartikel aus Zeitungen, Boulevardmedien und Nachrichtenseiten und Polizeimeldungen, aber auch vom rechten Thinktank Gatestone-Institut.

In allen geht es um angeblich oder tatsächlich von Ausländern oder Asylbewerbern begangene Straftaten. Im Anreißer zu der Aufstellung heißt es: „Kriminelle Delikte durch Ausländer und Asylbewerber in Deutschland sind nicht – wie oft behauptet – ,Einzelfälle‘, sondern ein weit verbreitetes Problem, das die Sicherheitslage hierzulande erheblich beeinträchtigt.“ Da der ethnische Hintergrund von Tätern zudem von Presse und Polizei oft verschwiegen werde, heißt es dort weiter, stellten die „aufgeführten Ereignisse“ nur die „Spitze des Eisbergs dar, die Dunkelziffer dürfte deutlich höher liegen“.

Eine ähnliche Liste führt die rechtsextreme Partei „Der Dritte Weg“ auf ihrer Internetseite mit dem Titel „Dokumentierte Ausländerkriminalität in Oberbayern“ – und auch dort der Hinweis, dass „die Dunkelziffer freilich um ein vielfaches höher“ sei.

Das Portal „Politically incorrect“-News, kurz: PI-News, veröffentlicht seit seiner Gründung nahezu täglich Meldungen von den „kriminellen Machenschaften“ der „Asylforderer“ und „Kulturbereicherer“, wie die Autoren sie nennen. Kommentator „Best“ bringt schon im Januar 2008 auf den Punkt, was bei PI common sense ist: „Kriminalität hat ganz offenkundig sehr wohl eine ethnische Dimension“.

Seit der Kölner Silvesternacht 2015 erhält zudem der Vorwurf immer größeren Raum, die Wahrheit über das Ausmaß der „Ausländerkriminalität“ werde von „Mainstream-Medien“, Behörden und Politik beharrlich verschwiegen und vertuscht. So geißelt das rechte Monatsmagazin „Compact“ im Januar den „umfassenden Täterschutz bei kriminellen Asylforderern“. Und sogar das Magazin „Focus“ widmet im Januar dem „Schweige-Kartell“ eine große Geschichte, in deren Anmoderation es heißt: „Politik und Behörden verheimlichten jahrelang das Ausmaß der Ausländerkriminalität“.

Die Botschaft, die sich aus diesen und unzähligen anderen Beiträgen zusammensetzt, ist klar: Deutschlands Sicherheitsproblem Nr. 1 sind die Ausländer, denn die sind nicht nur wesentlich krimineller als Deutsche (weshalb man über deren Straftaten nicht berichten muss), dieser Umstand wird obendrein auch noch von Staat und staatstreuen Medien verheimlicht.

Ein „absurder“ Vorwurf, befindet der Kriminologe Christian Walburg. „Gerade bei Gewaltkriminalität kann von Vertuschen und Verschweigen keine Rede sein“, sagt der Forscher vom Institut für Kriminalwissenschaften an der Uni Münster. Vielmehr seien auch die Mainstream-Medien, vor allem der Boulevard, mit ihrer teils überzogenen Berichterstattung mitverantwortlich für das vorherrschende Stereotyp vom kriminellen Ausländer. Der „Fall Mehmet“ sei dafür ein gutes Beispiel. Die Berichte über den jugendlichen Serienstraftäter mit türkischem Pass hatten Ende der 90er Jahre eine Debatte über Jugendkriminalität ausgelöst.

Aber ist „der Ausländer“ denn nun krimineller als „der Deutsche“? „Nein“, sagt Thomas Bliesener, Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen. Im Gespräch mit der FR verweist er auf die Schwächen der gängigen Kriminalitätsstatistik. „Migranten sind nicht gravierend auffälliger als einheimische Deutsche, geringfügig jedoch schon“, verdeutlicht Bliesener. „Dabei muss man allerdings berücksichtigen, dass sie sich in ihrer Sozialstruktur und in ihrer demografischen Struktur von einheimischen Deutschen unterscheiden. Migranten sind jünger und auch eher männlich. Und wir wissen, dass gerade junge Männer die Hauptgruppe bei den Delinquenten sind, auch unter Deutschen.“ Wenn man solche und andere Effekte berücksichtige, seien die Kriminalitätswerte „identisch“.

Der Münsteraner Walburg macht noch auf ein anderes Problem in punkto „Ausländerkriminalität“ aufmerksam: “‚Die Ausländer‘ gibt es gar nicht.“ Es gebe Arbeitsmigranten der ersten Generation, Flüchtlinge, Jugendliche mit Migrationshintergrund, dazu seien kultureller, religiöser, sozialer Hintergrund, auch in Abhängigkeit vom Herkunftsland, völlig verschieden. „Das ist eine höchst heterogene Gruppe“, konstatiert Walburg. Entsprechend unterschiedlich seien auch die Erkenntnisse zur Kriminalität. Der Kriminologe Dirk Baier vom Forschungsinstitut Niedersachsen kommt in seinem 2015 in der Fachzeitschrift „Die Polizei“ veröffentlichten Aufsatz „Migration und Kriminalität“ zu dem Ergebnis, dass „die Kriminalitätsbelastung“ verschiedener Ausländergruppen „erheblich variiert“: „Flüchtlinge aus Kriegsgebieten scheinen stärker mit kriminellem Verhalten in Erscheinung zu treten als andere Gruppen“.

Ein detaillierterer Blick auf einzelne Ausländergruppen bestätigt diese Einschätzung. Hier einige Beispiele:

Arbeitsmigranten: Seit längerem weiß man, dass Angehörige der ersten Generation erwachsener Einwanderer im Schnitt geringere Kriminalitätsraten aufweisen als Deutsche. Forscher gehen davon aus, dass diese Gruppe eine hohe Motivation auszeichnet, es in dem neuen Land zu schaffen und die durch Migration gewonnene Aufstiegsperspektive nicht aufs Spiel zu setzen. Im Zweiten Periodischen Sicherheitsbericht der Bundesregierung heißt es dazu: „Inwieweit Zuwanderer als Täter und Opfer erkennbar werden, hängt weitgehend vom unterschiedlich sicheren Aufenthaltsstatus ab, der Lebensperspektiven, Integration und Kriminalität beeinflusst.“

Jugendliche: In einem Gutachten für den Mediendienst Integration hat der Kriminologe Walburg 2014 den Forschungsstand zum Thema „Jugendliche und Migration“ zusammengetragen und Dutzende Studien erfasst. Auch da ergibt sich ein differenziertes Bild: Während sich Jugendliche mit wie ohne Migrationshintergrund bei Kleinkriminalität wie Sachbeschädigung und Diebstahl kaum unterscheiden, sind bei Gewalttaten Jugendliche mit Migrationshintergrund stärker vertreten. Auch stammen vergleichsweise viele Wiederholungstäter aus Zuwandererfamilien. Allerdings sei entgegen dem öffentlichen Eindruck die Zahl der von Jugendlichen mit Migrationshintergrund begangenen Straftaten gesunken, auch und vor allem im Bereich der Gewaltdelikte. Bildung nivelliert Unterschiede bei der Gewaltbereitschaft demnach zusätzlich.

Muslime: Was den Einfluss des Islam auf die Kriminalität angeht, sind sich die Experten uneins. Dass sich höhere Anteile von Gewalttätern bei allen größeren Herkunftsgruppen finden, ist für Walburg ein Beleg dafür, dass es keinen Zusammenhang zwischen Kriminalität und einer bestimmten Religionszugehörigkeit gibt. Dagegen spreche auch, dass bestimmte Teilgruppen, etwa Mädchen aus muslimisch geprägten Einwandererfamilien, deutlich seltener straffällig werden als nichtmuslimische Jugendliche. Dagegen schreibt Kriminologe Dirk Baier, dass „mit zunehmender muslimischer Religiosität das Gewaltverhalten“ steigt. Baier stützt sich dabei wie Walburg auf verschiedene Studien und Befragungen, etwa von Schülern. Er weist in diesem Zusammenhang auf bestimmte, die Gewalt legitimierende Männlichkeitsnormen hin, die „eine verstärkte Rückbesinnung“ erfahren.

Asylbewerber: Verschiedene Statistiken, etwa die im Februar veröffentlichte „Lageübersicht Nr. 3“ des Bundeskriminalamtes oder die im Dezember veröffentlichten Zahlen des sächsischen Innenministeriums, kommen zu dem Schluss, dass der großen Zahl von Flüchtlingen in den ersten neun Monaten 2015 ein moderater Anstieg bei von ihnen begangenen Straftaten gegenüber steht. „Die weitaus überwiegende Mehrheit der Asylsuchenden begeht keine Straftaten“, betont das BKA. Vielmehr sei eine kleine Zahl von Intensivtätern für die meisten Taten verantwortlich. Zwei Drittel der erfassten Taten sind Bagatelldelikte wie Ladendiebstahl oder Schwarzfahren. Die Bundesregierung stuft solche Taten als „Reflex der eingeschränkten Lebensbedingungen“ von Asylsuchenden ein. Und noch eine Zahl: Bei den 28 vom BKA erfassten Taten mit Todesopfern, waren 27 Getötete selbst Zuwanderer.

All diese Zahlen und Daten, Studien und Forschungen zur sogenannten Ausländerkriminalität zeigen zwei Dinge: Kriminalität lässt sich erstens nicht primär durch Herkunft erklären. Und das Thema an sich ist zweitens viel zu komplex für eindimensionale Verurteilungen. So sehr die Bevölkerung gerade beim Thema Sicherheit nach klaren Schuldzuweisungen und schnellen Problemlösungen verlangt – es gibt sie nicht.

Dass es angesichts dessen umso unredlicher ist, mit den Ängsten der Menschen zu spielen, kümmert die Rechten nicht. Nach Veröffentlichung des BKA-Lageberichts titelte der Kopp-Verlag „275 000 Asylbewerber als Straftäter überführt“, um im ersten Satz anzuschließen mit: „Das Ausmaß der Flüchtlingskriminalität sprengt jegliche Befürchtungen.“ Und bei „PI-News“ trägt ein im März 2016 mit Blick auf die Polizeistatistik verfasster Text die Überschrift: „6000 Prozent mehr Asylanten-Kriminalität in 2014“. Müßig zu erwähnen, dass sich beide Zahlen in den Datenwerken der Sicherheitsbehörden so nicht wiederfinden.

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