Sikorski gerät in Polen unter Druck

Geheime Abhörprotokolle belasten Polens Außenminister Sikorski: Nach rassistischen Äußerungen und Kritik an den USA wächst der Druck auf den Politiker. Ministerpräsident Tusk schließt Entlassungen von Ministern aufgrund "verbrecherischer Abhörmethoden" aus.
Seit mehr als einer Woche werden Polens Regierung und Öffentlichkeit von einer Abhöraffäre in Bann geschlagen. In deren Verlauf wurden geheime und teils brisante Mitschnitte von Gesprächen einiger Regierungsmitglieder veröffentlicht. Nun gerät auch Außenminister Radoslaw Sikorski, der sich in der Ukraine-Krise international profilieren konnte und inzwischen als möglicher Kandidat für den Posten des EU-Außenbeauftragten gilt, in den Strudel der Affäre.
Am Montag veröffentlichte das Nachrichtenmagazin „Wprost“ geheim in einem Warschauer Restaurant aufgezeichnete Gesprächsmitschnitte zwischen Sikorski und Ex-Finanzminister Jacek Rostowski. Sikorski sagt darin, dass „die polnisch-amerikanische Allianz nutzlos und sogar schädlich ist, weil sie Polen ein falsches Gefühl von Sicherheit vermittelt. Kompletter Bullshit. Wir geraten mit Deutschland und Russland in Konflikt und denken, dass alles super ist.“ Außerdem bezeichnete er die Politik von Premier Tusk als „fehlerhaft“ und lästerte auch über den britischen Premier David Cameron.
Sikorski reagierte am Montag höchst verärgert auf die Veröffentlichung. „Die Regierung ist von einer organisierten Verbrechergruppe attackiert worden. Ich hoffe, dass die Justiz diese Personen und vor allem die Hintermänner ausfindig macht und bestraft“, sagte er am Rande eines EU-Außenministertreffens in Luxemburg. Zum Inhalt der Protokolle wolle er sich im Ausland nicht äußern, so der 51-Jährige.
Opposition will Misstrauensvotum
Der Druck auf ihn wächst jedoch, auch weil in dem Gespräch rassistische Äußerungen fielen. „Das Problem in Polen ist, dass wir einen zu flachen Stolz und eine zu geringe Selbsteinschätzung haben. So ein Negertum.“ Tomasz Nalecz, einflussreicher Berater von Präsident Bronislaw Komorowski, der selbst der regierenden Bürgerplattform (PO) entstammt, legte Sikorski einen Rücktritt nahe. „Er sollte sich die Frage stellen, wie sich an seiner Stelle ein Außenminister eines zivilisierten und in der Welt geachteten Landes verhalten würde.“
Sikorskis USA-kritische Meinung überrascht auf den ersten Blick. Denn bislang galt Polens Starpolitiker als durchaus USA-freundlich. Von 2001 bis 2005 war er Direktor der New Atlantic Initiative beim neokonservativen US-Think-Tank American Enterprise Institute (AEI), mit dem verteidigungspolitische Falken verbunden sind. Seit 2007 Außenminister und Mitglied der liberal-konservativen PO von Premier Donald Tusk, hat sich Sikorski inzwischen aber an deutsche Positionen angenähert. „Sikorski ist Pragmatiker und hat in den letzten Jahren eine Evolution weg von proamerikanischen hin zu proeuropäischen, vor allem prodeutschen Positionen durchlaufen“, sagt der Politologe Michal Sutowski vom Institut für Höhere Studien in Warschau.
Durch Sikorskis Mitschnitte weitet sich die Abhöraffäre in der polnischen Regierung weiter aus. Bereits vor gut einer Woche wurden Protokolle zwischen Innenminister Sienkiewicz und Notenbankchef Marek Belka sowie weitere Politiker-Gespräche publik. Für zusätzliche Aufregung sorgt, dass am vergangenen Mittwoch Einheiten der Agentur der inneren Sicherheit (ABW) auf Anordnung der Staatsanwaltschaft die Redaktion von „Wprost“ aufsuchten und die Herausgabe der Originaldatenträger verlangten. Es kam zu Handgreiflichkeiten, denn die Redaktion verweigerte die Herausgabe unter Berufung auf den Informantenschutz. Die Aktion wurde live im Fernsehen übertragen und schlägt weiterhin hohe Wellen, denn etliche Medien haben sich mit den „Wprost“-Kollegen solidarisiert.
Premier Tusk sagte am Montag: „Die Abhöraktion hat zum Ziel, den Staat in einer sehr ernsten Situation zu lähmen, die in der Ukraine herrscht.“ Er schloss Entlassungen von Ministern aufgrund „verbrecherischer Abhörmethoden“ aus. Inzwischen denken jedoch nicht nur Beobachter und Opposition, sondern auch die Regierung laut über mögliche vorgezogene Neuwahlen nach.
Die oppositionelle Recht und Gerechtigkeit (PiS) will die Regierung mit einem Misstrauensvotum stürzen und sondiert mit den kleineren Parteien. Bei einer solchen Abstimmung wäre Tusk auf geschlossene Reihen auch bei seinem Koalitionspartner, der Bauernpartei PSL, angewiesen. Deren Vertreter hatten sich in den letzten Tagen zum Teil distanziert gegenüber dem größeren Partner gezeigt.