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Sexualrecht entzweit Regierung

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Von: Martin Dahms

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Vorbereitungen für eine Frauentagsdemo in Sevilla. M. J. López/dpa
Vorbereitungen für eine Frauentagsdemo in Sevilla. M. J. López/dpa © M. J. López/dpa

Spanisches Parlament reformiert Reform / Podemos reibt sich an Koalitionspartner

Es war ein einmaliges Bild im spanischen Parlament: Auf der blauen Bank in der ersten Reihe, wo sonst die Regierungsmitglieder Platz nehmen, saßen einsam zwei Ministerinnen und sonst niemand. Ministerpräsident Pedro Sánchez war nicht gekommen, auch nicht die Justizministerin und weiter kein sozialistischer Parteikollege des Regierungschefs.

Es war die Feigheit vor einer Debatte, die diese Regierung auseinanderreißen könnte oder schon auseinandergerissen hat, auch wenn sie offiziell weiter besteht: die Debatte um die Reform der letztjährigen Reform des Sexualstrafrechts, die schließlich Dienstagabend mit selten großer Mehrheit auf den weiteren Instanzenweg gebracht wurde, mit 231 Ja-Stimmen gegen 56 Nein-Stimmen bei 58 Enthaltungen. Unter den Reformgegner:innen ist auch der kleinere Koalitionspartner Unidas Podemos. Das machte diese Abstimmung am Dienstagabend sehr wichtig.

Der Ton von Unidas Podemos in dieser Debatte war brutal. Die Partei verteidigte ihr Gesetz – die Reform des Sexualstrafrechts vom vergangenen Mai, eine Initiative der Gleichstellungsministerin Irene Montero – wie eine Löwin. Nach dem Willen der Parlamentsmehrheit soll das Gesetz aber noch ein weiteres Mal reformiert werden, weil es unbeabsichtigte Folgen hatte: 721 verurteilten Sexualstraftätern wurde seit der vorherigen Reform das Strafmaß herabgesetzt, 74 von ihnen wurden vorzeitig auf freien Fuß gesetzt.

Die meisten Spanier:innen empfinden das als einen Skandal, auch Unidas Podemos, die dafür aber nicht ihr eigenes Gesetz verantwortlich macht, sondern „eine Handvoll Faschisten, die zum Schweigen und zur Schuld“ zurückkehren wollten.

Der Kern der Reform des Sexualstrafrechts im vergangenen Jahr war, die Unterscheidung abzuschaffen zwischen Missbrauchsfällen ohne Gewaltandrohung oder -anwendung und sexueller Aggression.

Entscheidend sollte fortan allein die beider- oder mehrseitige Einwilligung zum Sex sein. Fehlt die, gilt seit jener Reform jeder sexuelle Akt als Aggression. Die Nivellierung der bis dahin unterschiedlichen Tatbestände führte in der Rechtspraxis zu Herabsetzung der Strafen. Deswegen will die große Parlamentsmehrheit wieder zwischen Angriffen mit und ohne Gewalt unterscheiden, auch wenn beide als „Aggression“ tituliert werden sollen. Das reicht Unidas Podemos nicht.

Podemos-Sprecherin Lucía Muñoz stellte am Dienstag die von ihrer Partei befürchteten Folgen der Reform der Reform so dar: Die Sozialist:innen täten sich mit der Rechten zusammen, „damit wir wieder gefragt werden, ob wir auch die Beine gut geschlossen hielten“, „damit es wieder normal wird, dass unsere Freunde uns penetrieren, während wir schlafen“, „damit wir wieder gefragt werden, wie oft wir ,Nein‘ gesagt haben“. Diese derbe Offenheit verfehlte ihre Wirkung nicht: Die Sozialist:innen zeigten sich über die Anwürfe der Koalitionspartnerin sichtlich verärgert.

Der Streit ums Sexualstrafrecht sät zusätzlichen Zwietracht unter den feministischen Organisationen Spaniens, die dort außergewöhnlich stark sind.

Am Abend des Internationalen Frauentages waren in Madrid wie im Vorjahr wieder zwei Demonstrationszüge angemeldet. Sie unterschieden sich vornehmlich in ihrer Haltung zum kürzlich verabschiedeten Transsexuellengesetz, das den Wechsel des amtlichen Geschlechtes ohne Prüfung der Gründe ermöglicht. Gegnerinnen des Gesetzes nennen das „die Abschaffung der Frau“. Die meisten Spanier:innen, ob feministisch gesinnt oder nicht, verfolgen diese Debatten mit einiger Verwirrung.

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