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Apathie vor der Wahl: Serbien bleibt auf dem Weg zum faktischen Einparteienstaat

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Von: Thomas Roser

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Serbiens Lenker Aleksandar Vucic (M.) gießt seine Präsidentschaft in Beton.
Serbiens Lenker Aleksandar Vucic (M.) gießt seine Präsidentschaft in Beton. © REUTERS

Serbien stimmt über ein neues Parlament ab – doch viele Wählerinnen und Wähler glauben nicht mehr an eine Veränderung.

Aus Hunderten von Bildschirmen unterbricht immer wieder scheppernder Applaus den präsidialen Redefluss. „Wir werden Kroatien im nächsten Jahr überflügeln“, gelobt Serbiens allgewaltiger Staatschef Aleksandar Vucic auf der Online-Kundgebung seiner nationalpopulistischen SNS den zugeschalteten Anhängern: „Es lebe Serbien! Wenn wir hart arbeiten und kämpfen, kann uns niemand besiegen!“

Zur Wahl steht der autoritär gestrickte Landesvater eigentlich nicht. Aber dennoch ist er vor der heutigen Parlamentswahl (21.06.2020) allgegenwärtig. Alle Großkundgebungen hat seine seit acht Jahren regierende SNS wegen der wieder aufflackernden Viruskrise zwar abgesagt. Doch dafür hat der Dauerwahlkämpfer die ohnehin hohe Schlagzahl seiner Studiobesuche bei den von der Regierung kontrollierten TV-Stationen und die seiner Auftritte noch einmal kräftig erhöht.

Die größten Oppositionsparteien boykottieren die Wahl in Serbien 

Ob bei der Eröffnung von Fabriken, Besuchen von Technoparks, Baustellen oder Krankenhäusern: Auf fast allen Kanälen flimmert den Serben das Antlitz des Stimmenjägers in die Wohnstuben. Auch sonst hat der frühere Informationsminister das Wahlfeld für seine SNS bestellt. Die Boykottfront der größten Oppositionsparteien hat er mit der Absenkung der Wahlhürde von fünf auf drei Prozent erfolgreich aufgebrochen, die zersplitterte Opposition weiter zerbröselt: Alles andere als ein erneuter Erdrutschsieg der SNS scheint bei der Wahl ausgeschlossen.

Zwar treten bei den Wahlen 21 Parteien an. Aber Serbien bleibt auf dem Weg zum faktischen Einparteienstaat. Während die größten Oppositionsparteien die Wahlen boykottieren, kann die SNS laut Umfragen mit 60 Prozent, ihr Koalitionspartner SPS mit 12 Prozent rechnen.

Vier weitere Parteien können mit prognostizierten Anteilen an der Wahl zwischen drei und 4,9 Prozent noch auf den Einzug ins Parlament hoffen. Gut 15 Prozent dürften auf den aussichtslosen Rest des Kandidatenfelds entfallen – und damit unter den Tisch fallen.

Natürlich gründe sich jede Partei mit dem Ziel, an Wahlen teilzunehmen, räumt Borko Stefanovic, der Generalsekretär der oppositionellen linken SSP, ein: „Aber in unserem autoritären Staat sind die Bedingungen für freie Wahlen nicht gegeben. Acht Jahre lang Hetzjagd und Lügen, Attacken und Verhaftungen: Es ist ein Wunder, dass es noch eine echte Opposition gibt.“

Boykott der Wahl in Serbien

Der 46-Jährige weiß, wovon er spricht: Von maskierten Schlägern war der Politiker im Herbst 2018 in Krusevac mit Metallstangen krankenhausreif geprügelt worden. Die Empörung über die brutale Attacke löste landesweite Proteste unter dem Motto „Stoppt die blutigen Hemden“ aus.

Doch die Protestbewegung ist längst verpufft. Zwar gelang es den wichtigsten Oppositionskräften, das gemeinsame „Bündnis für Serbien“ (SzS) zu schmieden. Doch das von den rechtsklerikalen bis proeuropäischen Kräften reichende Boykott-Bündnis erwies sich von Anfang an als wenig heterogen. „Alle Parteien, die den Köder von Vucic geschluckt haben und an den Wahlen teilnehmen, operieren in dessen Interesse“, sagt Stefanovic: „Die Wahlbeteiligung wird die niedrigste in Serbiens moderner Geschichte sein wird: Nur mit dem Boykott lässt sich zeigen, dass der Kaiser nackt ist.“

Vucic feiert sich als Erneuerer von Serbien

Kritik an seinem autoritären Amtsstil ficht Vucic derweil kaum an. Denn fast zehn Prozent der Bevölkerung sind mittlerweile Mitglieder der SNS. Ohne Parteisegen lässt sich im SNS-Staat kaum mehr ein Job im öffentlichen Dienst ergattern. Während die zersplitterte Opposition sich von Wahl zu Wahl weiter zu zerlegen scheint, feiert sich Vucic als der Erneuerer des Landes.

Bei vielen seiner Landsleute machen sich derweil Apathie und das Gefühl der Perspektivlosigkeit breit. Die Idee des Wahlboykotts habe sie immer für verfehlt gehalten, sagt in Belgrad die Angestellte Vanda: „Wer etwas ändern will, muss an Wahlen teilnehmen.“ Doch wenn sie sehe, wer und was noch auf den Wahlzetteln stehe, zweifle sie erstmals in ihrem Leben, ob sie überhaupt noch wählen gehen solle: „Es ist alles so verrottet – und aussichtslos.“ (Von Thomas Roser)

Demonstranten werfen Staatschef Aleksandar Vucic unter anderem vor, zur Durchführung der Parlamentswahl am 21. Juni fahrlässig das Versammlungsverbot aufgehoben zu haben. Das führte zu Demonstrationen gegen die Corona-Politik in Serbien.

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