Serbien vor der Abkehr von Russland?

Serbien wird sich kaum mehr vor der Übernahme der EU-Sanktionen gegen Russland drücken können.
Freudig sieht der Gast aus Belgrad seinem Antrittsbesuch bei Bundeskanzler Olaf Scholz keineswegs entgegen. „Wir haben nichts Gutes von den Gesprächen zu erwarten“, sagte Serbiens allgewaltiger Staatschef Aleksandar Vucic vor seiner Berlin-Visite an diesem Mittwoch. „Aber ich hoffe, dass sich der deutsche Kanzler anhört, was wir zu sagen haben.“
Der völlig festgefahrene „Nachbarschaftsdialog“ mit dem Kosovo sowie die von Serbien bislang abgelehnten EU-Sanktionen gegen Russland werden im Mittelpunkt der Gespräche stehen. Zwar werden auch der kosovarische Premier Albin Kurti und der EU-Sonderbeauftragte Miroslav Lajcak nach Berlin reisen. Aber neue Impulse für die Problemehe der Nachbarländer sind kaum zu erwarten. Anders sieht es in der Frage der EU-Sanktionen gegen Russland aus: Der bisher zwischen Ost und West lavierende EU-Anwärter Serbien wird sich um deren Übernahme nicht mehr lange herumdrücken können.
Steht Belgrad 54 Jahre nach dem Bruch von Jugoslawiens Staatslenker Josip Broz „Tito“ mit Sowjetdiktator Josef Stalin vor der erneuten Abkehr von Moskau? Ein offener Bruch von Vucic mit dem von ihm jahrelang hofierten Kremlchef Wladimir Putin ist kaum zu erwarten; eine mit Sachzwängen begründete Kurswende – möglicherweise auf Raten – schon. Es mehren sich die Hinweise, dass sich Serbiens Drahtseilakt zwischen Ost und West dem Ende nähert.
Seit Jahren verherrlicht Serbiens regierungsnahe Boulevardpresse Putin. Doch vergangene Woche warteten die von der regierenden SNS kontrollierten Gazetten mit einer überraschenden Kehrtwende auf. „Putin stößt das Messer in den Rücken der Serben“, titelte der „Srpski Telegraf“. „Putin spielt mit Kosovo – Weltpolitik auf unserem Rücken“, vermeldete empört der „Informer“. Der Grund: Putin hatte die „Unabhängigkeit“ der ukrainischen Provinzen Donezk und Luhansk mit der Eigenstaatlichkeit des Kosovo gerechtfertigt.
Krieg in der Ukraine: Serbien scheint sich in der Frage der Sanktionen zu bewegen
Auch die von den medialen Regierungslautsprechern verbreitete Schreckensszenarien, dass die EU die Visafreiheit bei Reisen in den Schengen-Raum aussetzen oder selbst Sanktionen gegen Serbien verhängen könnte, scheinen Belgrad als Drohkulisse zu dienen. So kann gegenüber der eigenen, eher russophilen Wahlklientel ein Abrücken vom populären Bruderstaat begründet werden. Die Schlagzeilen der Boulevardpresse wirkten wie „eine Vorbereitung der Öffentlichkeit auf die Verhängung der Sanktionen“, so der Journalist Filip Svarm von der unabhängigen Wochenzeitschrift „Vreme“.
Tatsächlich ziehen Brüssel, Washington und Berlin merklich die Daumenschrauben an. Schon bei ihrer Belgrad-Visite im März machte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock Vucic unmissverständlich klar, dass von einem EU-Anwärter die Übernahme der gemeinsamen EU-Außenpolitik erwartet werde. Der Bundestag hat die Bundesregierung Ende April in einer Resolution aufgefordert, die Zahlungen von Vor-Beitrittsmitteln an EU-Anwärter überprüfen zu lassen, die sich den Sanktionen gegen Russland verweigern.
Am Freitag will Vucic eine Rede zur Lage der Nation halten. Vermutlich dürfte er dabei seine Landsleute erneut eher auf schwierige Zeiten einstimmen als den Sanktionsvollzug vermelden. Doch auf Druck des Westens hat Serbien bei den Vereinten Nationen bereits für die Verurteilung der russischen Invasion in der Ukraine und der Aussetzung von Russlands Mitgliedschaft im Menschenrechtsrat gestimmt.
Und Vucic scheint sich auch in der Frage der Sanktionen zu bewegen. Nach einem Treffen mit dem Präsidenten berichtete der US-Senator Chris Murphy vergangene Woche, dass der ihm zugesagt habe, innerhalb von zwei Monaten „kurzfristige Schritte“ in Richtung der „richtigen Wahl“ zu machen. „Die EU, deren Mitglied Serbien werden will, lässt Vucic auch nicht mehr länger auf beiden Stühlen sitzen. Er wird sich entscheiden müssen.“