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Sein Ziel war eine gerechtere Welt

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Benjamin Ferencz (2. v. r.), damals noch keine 30 Jahre alt, als Chefankläger in Nürnberg. Imago Images (2)
Benjamin Ferencz (2. v. r.), damals noch keine 30 Jahre alt, als Chefankläger in Nürnberg. Imago Images (2) © Everett Collection/Imago

Benjamin Ferencz, der letzte Chefankläger der Nürnberger Prozesse, ist gestorben.

Eigentlich hätte Benjamin Ferencz längst den Friedensnobelpreis bekommen müssen, fand der Historiker und Journalist Philipp Gut. Frieden und Gerechtigkeit auf der Welt habe sich Ferencz zum Ziel seines Lebens gesetzt, sagte Gut vor wenigen Jahren. „Der Jahrhundertzeuge“ ist der Titel des Buches, in dem er den Juristen vorstellt, der in den USA vielen Menschen als „Mister Nuernberg“ ein Begriff ist. In Deutschland kannten den kleinen, immer untadelig und kultiviert auftretenden Amerikaner dagegen nur wenige. Ferencz war der letzte noch lebende Chefankläger der Nürnberger Prozesse. Am 7. April ist er im Alter von 103 Jahren gestorben.

In den Konzentrationslagern Dachau, Mauthausen und Buchenwald hatte er als junger Mann Berge von Leichen gesehen und Menschen, die fast verhungert und entkräftet auf den sogenannten Todesmärschen unterwegs waren. Seine Aufgabe war es, im Dienste des Militärs nach Kriegsende 1945 Beweise für die Gräueltaten der Nationalsozialisten zu sichern. Ferencz war dafür nach seinem Kriegseinsatz erneut in Deutschland.

Erst 25 Jahre war Benjamin Ferencz damals alt. Geboren worden war er 1920 im damals noch ungarischen Siebenbürgen. Als er zehn Monate alt war, emigrierten seine Eltern in die USA. Ferencz wuchs in New York auf, seine Eltern trennten sich. Die Mutter hätte ihm niemals die Elite-Ausbildung finanzieren können, die er genoss. Für Ferencz erfüllte sich der sprichwörtliche „amerikanische Traum“: Lehrerinnen und Professoren hatten das Potenzial des intelligenten jungen Mannes erkannt und ihm den Besuch einer Begabten-Highschool und dann ein Stipendium für das angesehene City College of New York ermöglicht. Seinen Abschluss machte er an der Harvard Law School.

Der „Einsatzgruppen-Prozess“ in Nürnberg war sein erster Gerichtsfall. Der Prozess war einer von zwölf sogenannten Nürnberger Nachfolge-Prozessen. Sie erreichten nicht mehr die Aufmerksamkeit, die der Hauptkriegsverbrecherprozess im Nürnberger Saal 600 erhalten hatte. Im gleichen Saal saßen 1947 insgesamt 22 hochrangige SS-Männer auf der Anklagebank, denen der inzwischen 27-jährige Staatsanwalt Ferencz mehr als eine Million Morde vorwarf.

Die Anklage lautete auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Mitgliedschaft in einer verbrecherischen Organisation. Sie seien „die grausamsten Exekutoren eines Terrors gewesen, der die dunkelsten Seiten der menschlichen Geschichte schrieb“, sagte der Chefankläger. Das Gericht unter dem Vorsitz von Michael Musmanno verhängte 14-mal die Todesstrafe. Alle Angeklagten wurden verurteilt.

Ben Ferencz und seine Ermittler hatten die Beweise geliefert. Der Völkermord sei für die Täter zur Routine geworden, stellte der Ankläger fest. Ferencz war in der Geschichte der internationalen Gerichtsbarkeit der Erste, der für solche Taten den Begriff „Genozid“ verwendete, wie Philipp Gut in seinem Buch schreibt.

Zum ersten Mal mussten sich in Nürnberg auf völkerrechtlicher Grundlage die Angeklagten für unvorstellbare Verbrechen zur Verantwortung ziehen lassen. Das internationale Strafrecht weiterzuentwickeln und auf der Basis des Völkerrechts Frieden zu schaffen, ließ Ferencz seitdem nicht mehr los.

Nach den Nürnberger Prozessen blieb er zunächst in Deutschland. Der Sohn jüdischer Eltern hatte ein Jobangebot erhalten: Für jüdische Holocaust-Überlebende sollte er Wiedergutmachung und die Rückerstattung von Vermögen erreichen. Zehn Jahre brachte er mit dieser Aufgabe zu und wirkte an der Entwicklung der Entschädigungsgesetze der Bundesrepublik mit. Mit seiner Frau Gertrude und den vier Kindern in die USA zurückgekehrt, widmete er sich dort ab den 70er-Jahren dem Aufbau einer internationalen Strafgerichtsbarkeit.

An seinem 83. Geburtstag schließlich ging für Ferencz ein Lebenstraum in Erfüllung: Am 11. März 2003 wurden die Richter des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag vereidigt. Im Rückblick stellte er fest: Dank der Weiterentwicklung der internationalen Strafgerichtsbarkeit können „die Mächtigen die Menschen nicht an der Nase herumführen, weder in den Vereinigten Staaten, noch in Deutschland, noch sonst irgendwo auf der Welt“.

Am Karfreitag nun ist Ferencz hochbetagt in Florida gestorben. Die Direktorin des United States Holocaust Memorial Museum, Sara J. Bloomfield, würdigte sein „unerschütterliches Streben nach einer friedlicheren und gerechteren Welt“, das sich über fast acht Jahrzehnte erstreckt habe: „Er schrieb in Nürnberg Geschichte und tat dies sein ganzes außergewöhnliches Leben lang.“

Jutta Olschewski und Daniel Staffen-Quandt, epd

Ferencz im Jahr 2016 in seiner Wahlheimat Florida.
Ferencz im Jahr 2016 in seiner Wahlheimat Florida. © USA Today Network/Imago

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