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Regierungsbildung in Österreich: Sebastian Kurz muss sich bewegen

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Von: Adelheid Wölfl

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Eiszeit zwischen Ex-Partnern: Norbert Hofers (r.) Partei, die FPÖ, will nicht mehr mit der ÖVP von Sebastian Kurz koalieren.
Eiszeit zwischen Ex-Partnern: Norbert Hofers (r.) Partei, die FPÖ, will nicht mehr mit der ÖVP von Sebastian Kurz koalieren. © rtr

ÖVP und Grüne sind das wahrscheinlichste Duo für die neue Regierung. Dabei sind sie inhaltlich sehr weit voneinander entfernt - eine Analyse.

Sie erschien mit einer schwarzen Bluse und einem wiesengrünen Sakko am Wahlsonntag im Fernsehen: Die langjährige Generalsekretärin der ÖVP, Maria Rauch-Kallat setzte damit ein Zeichen, in welche Richtung es gehen soll. Denn schwarz steht noch immer für die ÖVP, obwohl die Partei seit Sebastian Kurz Türkis benutzt. Das Grün in ihrem Outfit steht für eine Koalition mit der Öko-Partei, die am Sonntag mehr als zehn Prozentpunkte dazu gewann.

Es gibt viele in der konservativen ÖVP, die mittlerweile so denken wie Rauch-Kallat, auch wenn nur ein Fünftel der konservativen Wähler so eine Koalition wollen. Insbesondere die FPÖ-Wähler, die diesmal zur ÖVP gewandert sind, haben tiefsitzende Antipathien gegen die linken Grünen. Ähnlich verhält es sich umgekehrt. Für die SPÖ-Wähler, die diesmal Grün wählten, ist Kurz alles andere als ein Sympathieträger. Sie werfen ihm vor, ausschließlich an Macht interessiert zu sein und Zukunftsfragen wie den Klimaschutz zu vernachlässigen.

Kurz behauptet, erst mit der SPÖ verhandeln zu wollen

Trotzdem scheint der Wahlsieger Kurz, der seine Partei auf 37 Prozent brachte, wenig andere Optionen zu haben als mit den Grünen eine Koalition zu bilden. Kurz hat angekündigt, zunächst mit der SPÖ zu verhandeln, doch dies dürfte nicht ernst gemeint sein, weil bei den Sozialdemokraten die Zeichen auf Opposition stehen und die beiden partout nicht miteinander können.

Die FPÖ legte sich überraschenderweise darauf fest, nicht mehr mit regieren zu wollen. Die Ernsthaftigkeit und Geschlossenheit der Ansagen deuten daraufhin, dass die Freiheitlichen es ernst meinen. Und das ist auch nachzuvollziehen, denn mit einer derart geschwächten FPÖ – sie verlor zehn Prozentpunkte – hätte die nun noch mächtigere ÖVP ein leichtes Spiel. Abgesehen davon stecken sie wegen den Skandalen rund um ihren Ex-Chef Heinz Christian Strache in einer schweren Krise. Die Rechtspopulisten wissen aber auch, dass sie immer dann am stärksten wurden, wenn sie nicht auf der Regierungsbank saßen.

Die FPÖ verliert - in Wien und anderswo

Diesmal hat die FPÖ vor allem in Wien verloren – im Stadtteil Favoriten musste sie ein Minus von über elf Prozentpunkten verbuchen. Favoriten ist einer der Arbeiterbezirke von Wien – dort spielt sich seit fast drei Jahrzehnten ein Kampf zwischen der SPÖ und der FPÖ ab. Viele Arbeiter wählen nun schon seit langer Zeit blau. Doch diesmal blieben viele zu Hause – die FPÖ konnte nur 54 Prozent ihrer Wähler von 2017 halten.

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Das Minus hat die Partei hauptsächlich Strache zu verdanken. Die FPÖ-Wähler haben ihrem ehemaligen Idol angekreidet, dass er Spesen für private Zwecke abgerechnet haben soll – ein Leibwächter und eine Assistentin haben in den letzten Tagen ausgepackt. Strache soll über ein Spesenkonto von 10 000 Euro pro Monat verfügt haben, während bei den Anhängern der Rechtspopulisten die 25 Euro Mitgliedsgebühr eingetrieben wurde. Selbst Philippa Strache, die Ehefrau des gescheiterten Obmanns und Ex-Vizekanzlers muss noch um ihren Einzug ins Parlament bangen. Alle erwarten sich nun ein großes Aufräumen in der FPÖ – Strache könnte wegen des Spesenskandals aus seiner eigenen Partei ausgeschlossen werden, die er im letzten Jahrzehnt so groß gemacht hat.

Keiner verhandelt so hart wie die ÖVP

Die dritte Koalition, die rechnerisch möglich wäre, wäre eben Türkis-Grün – was viele durchaus charmant finden, könnten doch die Bedürfnisse von Alt und Jung, von Land und Stadt, von Konservativ und Progressiv vereint werden. Doch gleichzeitig sind sich auch alle einig, dass es wohl lange und intensive Gespräche brauchen wird, um das zu ermöglichen.

Denn es gibt wohl keine Partei, die härter verhandeln kann als die ÖVP. Die Leute rund um Kurz sind eine professionelle, loyale Truppe, die das Maximum herausholen und für Emotionen keinen Raum lassen wird.

Ganz anders sind die Grünen aufgestellt – sie ziehen gerade erst wieder ins Parlament ein, haben noch keine Büros, keine Mitarbeiter, kein eingespieltes Team. Sie sind auf die Verhandlungen kaum vorbereitet.

Tiefe Gräben zwischen ÖVP und Grüne

Das Hauptproblem ist aber: Die Parteiprogramme der Türkisen und Grünen stimmen nur zu 20 Prozent überein. Die Grünen fordern ein umfassendes Klimaschutz-Paket. Es geht um die Belastung fossiler Brennstoffe und Belohnung erneuerbare Energien. So sollen Anreize geschaffen werden, um die Wirtschaft von ökologischen Maßnahmen profitierten zu lassen. Die langjährige Grünenpolitikerin Ulrike Lunacek betont: „Es geht jetzt um eine Umkehr von Kurz von einer rechtspopulistischen Politik hin zu einer Politik der Mitte.“

Auch der Politologe Peter Filzmaier sieht große Herausforderungen, aber auch Einigungsmöglichkeiten: „Denkbar ist natürlich ein günstiges österreichweites „Öffi-Ticket“ – also ein Pauschalticket für alle öffentlichen Verkehrsmittel – wie es das in Tirol als Vorzeigeprojekt schon gibt.“ Das sei eine Forderung der Grünen, mit der die ÖVP gut leben könne, weil auch ihre Zielgruppe Pendler begünstige. „Doch das reicht natürlich nicht. Eine CO2-Steuer ist das größere Problem, weil das die Wirtschaftsinteressen der ÖVP betrifft.“

Sebastian Kurz: Wahlgeschenke für Senioren und ein Kurs nach Rechts

Tatsächlich hat Kurz die ÖVP so weit nach rechts geführt, dass es kaum Überschneidungen mit den Grünen gibt. Der 33-Jährige vertrat im Wahlkampf eher die Interessen der Seniorinnen und Senioren als die seiner eigenen Generation. Das hat vor allem damit zu tun, dass aus dem älteren Spektrum viele Wählerstimmen zu holen sind. So wurden die Pensionen vor der Wahl noch kräftig erhöht – was die Jungen eigentlich belastet. Für den Wahlausgang ging seine Strategie auf, im rechten Teil der Spektrum zu fischen – für die Koalitionsverhandlungen mit den Grünen ist das allerdings nicht die beste Voraussetzung.

Für eine Zusammenarbeit spricht aber, dass gerade die junge Generation Türkis-Grün gewählt hat. 27 Prozent der bis zu 29-Jährigen wählten die Grünen und genau gleich viele wählten die Konservativen. Die ÖVP hat auf dem Land deutlich besser abgeschnitten als in den großen Städten – aber sie konnte auch im urbanen Raum zulegen. Und Kurz punktete auch bei den Jungen.

FPÖ-Chef Norbert Hofer arbeitet an der Zeit nach Strache

In Österreich stehen zudem drei Landtagswahlen vor der Tür, in Vorarlberg, Burgenland und in der Steiermark. Letztere findet am 20. November statt. Deshalb ist damit zu rechnen, dass es vorher keine Koalition auf Bundesebene geben wird und Kurz sich mit den Sondierungen Zeit lässt. Dieses Spielen auf Zeit könnte auch den Spielraum von Kurz vergrößern. Denn wenn es FPÖ-Chef Norbert Hofer in einigen Wochen schaffen würde, seine Partei neu aufzustellen und mit der Ära Strache und ihren Skandalen abzuschließen, könnte Kurz durchaus wieder weich werden und die Blauen neuerlich in die Koalition locken. Entscheidend ist für ihn, dass die Koalition diesmal halten wird.

„Das Nein der FPÖ ist nicht unbedingt endgültig, wie 2002 gezeigt hat“, erinnert auch Filzmaier daran, dass die Freiheitlichen schon einmal einer Neuauflage der Koalition zustimmten, nachdem sie abgestürzt waren. In den vergangenen Tagen brachte der Bald-Schon-Wieder-Kanzler Kurz auch eine mögliche Minderheitsregierung ins Spiel, was allerdings eine äußerst instabile Variante wäre, falls er überhaupt jemals dafür Unterstützung bekommen wird.

Wie viel Macht er hat, kann man allerdings auch aus den Wahlgrafiken ablesen. Seit Sonntag ist Österreich bis auf die Hauptstadt Wien ganz in Kurz’sches Türkis gefärbt. In fast allen Gemeinden liegt die ÖVP vorne – was sie vor allem ihrem „Zugpferd“ zu verdanken hat. Interessant ist allerdings, dass sieben der 23 Bezirke in Wien – so wie vor ein paar Jahren – nun wieder eine grüne Mehrheit haben. In Wien-Neubau kamen die Grünen auf über 36 Prozent. In der zweitgrößten Stadt in Österreich, im steirischen Graz, holte die ÖVP 28,9 Prozent der Stimmen, die Grünen kamen sogar auf Platz zwei mit über 25 Prozent. Das zeigt einmal mehr, dass das gebildete, urbane Publikum anders wählt als die Österreicher im ländlichen Raum. Klimaschutz und die Werte einer offenen Gesellschaft – wie europäisches Bewusstsein, ein menschlicher Umgang mit Migranten und Transparenz im Umgang mit öffentlichen Gütern – stehen für sie im Vordergrund.

Selbst die Städter wählen ÖVP

Ähnlich wie die Grazer wählten die Innsbrucker, im konservativen Tirol stimmten die Städter zu fast 30 Prozent für die ÖVP, aber rund 22 Prozent machten ihr Kreuz bei der Öko-Partei. In Innsbruck leben viele Studenten und der Umweltschutz spielt wegen des Autoverkehrs Richtung Italien schon lange eine wichtige Rolle.

In der Arbeiterstadt Linz kam die SPÖ zwar noch auf Platz eins mit fast 30 Prozent, verlor allerdings mehr als sieben Prozentpunkte. Die Grünen bekamen dort aber mehr als 18 Prozent. Sogar in Klagenfurt – der Hauptstadt von Kärnten, das immer schon ganz anders tickte als der Rest von Österreich – wählten mehr als 13 Prozent die Grünen.

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