Schweden: Regierung droht mit Rücktritt – Nato-Beitritt in Gefahr
Schwedens Nato-Beitritt ist in Gefahr. Die Regierung in Stockholm droht nach einer Abstimmung mit dem Rücktritt. Hoffnung gibt es dennoch.
Stockholm – Bis zum Nato-Gipfel in Madrid Ende Juni sind es noch drei Wochen. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hatte angekündigt, bis dahin die Streitigkeiten mit der Türkei beigelegen wollen. Nun befindet sich Schweden allerdings in einem innenpolitischen Konflikt, an dessen Ende sogar der Rücktritt der sozialdemokratischen Minderheitsregierung am Dienstag (7. Juni) stehen könnte. Das berichtet unter anderem die Süddeutsche Zeitung.
Ausgelöst wurde die Krise durch den Vorstoß der oppositionellen, rechtspopulistischen Schwedendemokraten (SD), die am vergangenen Donnerstag (2. Juni) ein Misstrauensvotum gegen Schwedens Justiz- und Innenminister Morgan Johansson ankündigten, so die SZ. Es ist demnach ein politisches Manöver, das die SD offenbar drei Monate vor der Wahl nutzt, um die Aufmerksamkeit auf die steigende Bandenkriminalität in schwedischen Städte zu lenken – ein Thema, das in letzter Zeit durch den Ukraine-Krieg und die Nato-Beitrittsdebatte in den Hintergrund gedrängt wurde.
Kritik an Justizminister: Fraktionsvorsitzender bezeichnet Schweden als „Gangsterland“
Der SD-Fraktionsvorsitzende Henrik Vinge nannte Schweden im Parlament ein „Gangsterland“ und griff den Justizminister scharf an. Nun sind solche Manöver der Schwedendemokraten nichts Neues. Was Premierministerin Magdalena Andersson wütend machte, war die Tatsache, dass die bürgerliche und liberale Opposition ankündigte, am Dienstag gemeinsam mit den Schwedendemokraten zu stimmen. Daraufhin kündigte die Ministerpräsidentin ihrerseits an, dass ihre gesamte Regierung geschlossen zurücktreten werde, falls die Abstimmung gegen die Ministerin erfolgreich sei.

Eine Übergangsregierung könnte jedoch Folgen für die Nato-Ambitionen haben: Schweden müsste diese möglicherweise sogar vorerst auf Eis legen. Eine provisorische Übergangsregierung, die dann bis zu den Parlamentswahlen im September die Amtsgeschäfte übernehmen würde, hat in Schweden traditionell wenig Befugnisse.
Schweden: Eine Stimme könnte Ausschlag geben
Was die Situation so spannend macht, ist die Tatsache, dass ein einziger Abgeordneter den Ausschlag geben könnte. Schwedendemokraten, Moderate, Christdemokraten und Liberale haben zusammen 174 Abgeordnete, die dem Minister das Misstrauen aussprechen wollen. Für die Entlassung Johanssons wären jedoch 175 Stimmen erforderlich. Die unabhängige Abgeordnete Amineh Kakabavehe könnte dabei eine entscheidende Rolle spielen. Kakabaveh war einst Abgeordnete der Linkspartei, bevor sie die Partei verließ. Sie ist kurdischer Abstammung und setzt sie sich für die Rechte der Kurden ein, sowohl in Schweden als auch in ihren Heimatländern. Selbst als Magdalena Andersson im November zur Premierministerin gewählt wurde, war sie auf Kakabavehs Stimme angewiesen. Im Gegenzug hatte Andersson versprochen, sich auch in der Türkei und Syrien für die Sache der Kurden einzusetzen.
Wie Amineh Kakabaveh am Dienstag abstimmen wird, war am Montag noch unklar. Sie zeigte sich enttäuscht von den Sozialdemokraten, die „ihre Versprechen nicht erfüllt“ hätten. Schweden dürfe „Erdogan und der Türkei nicht nachgeben“, sagte sie am Montag (06. Juni). Wenn Andersson ihr das nicht garantiere, werde sie gegen den Minister stimmen, sagte sie. Am Nachmittag traf sie sich erneut zu Verhandlungen mit den Sozialdemokraten. Sollte Kakabaveh nicht einlenken, sahen Beobachter am Montag einen letzten Ausweg für die Regierung: Minister Johansson könnte selbst zurücktreten und damit die Abstimmung für ungültig erklären. (Ares Abasi)