Wie Schwedens Regierung es geschafft hat, seiner Bevölkerung das Rauchen fast vollständig abzugewöhnen
Rauchfrei bis 2040: Das ist das Ziel der EU-Länder, und Schweden legt im Eiltempo vor. Dabei setzt die Gesundheitspolitik auf drei Eckpfeiler.
Stockholm/Frankfurt - Rauchen gilt als eine der kausalen Ursachen, die zu einer Krebserkrankung führen. Während Schweden es wohl 2023 noch schafft, als erstes Land weltweit „rauchfrei“ zu werden, ist Deutschland davon noch meilenweit entfernt.
EU-Ziel 17 Jahre vor allen anderen: Schweden als erstes Land „rauchfrei“?
Konsumieren weniger als fünf Prozent der Population Tabak, lässt sich von einer „rauchfreien“ Gesellschaft sprechen. Diesen Wert strebt die ganze EU an - und zwar bis zum Jahr 2040. Doch außer Schweden ist noch kein Land der Europäischen Union in Reichweite des Ziels. Wie hat das skandinavische Land es also geschafft?
Ein Bericht von Gesundheitsexperten schafft Klarheit und liefert Zahlen, von denen andere EU-Staaten aktuell nur träumen können. Vorgestellt wurde der Bericht mit dem Titel „The Swedisch Experience: A roadmap for a smoke-free society“ Mitte Mai auf einem internationalen Forschungsseminar in Stockholm. Zu den Autoren zählen: Dr. Andreas Milton (ehemaliger Vorsitzender der schwedischen Ärztekammer, des schwedischen Roten Kreuzes und des Weltärztebundes), Prof. Karl Fagerström (Dozent und Experte für Suchtforschung und Tabakentwöhnung), Dr. Delon Human (Arzt mit Spezialisierung auf Fragen des globalen Gesundheitswesens).

Schwedische Regierung greift durch: Rauchverbote im Überblick
Ein Eckpfeiler des schwedischen Wegs ist die Einführung von Rauchverboten an bestimmten Orten:
- Seit 2005 ist in Schweden das Rauchen in Restaurants, Gaststätten und Bars grundsätzlich verboten.
- Seit 2019 dürfen Schweden auch nicht mehr vor Kneipen rauchen. Das ausgeweitete Rauchverbot umfasste ebenfalls öffentliche Spielplätze, Bushaltestellen und Bahnsteige. Das Gesetz umfasste zudem E-Zigaretten.
Schwedens Modell gegen das Rauchen: Akzeptanz rauchfreier Produkte als weniger schädliche Alternativen
Ein weiterer Teil des schwedischen Modells sind die Empfehlungen des WHO-Rahmenübereinkommens zur Eindämmung des Tabakkonsums (FCTC) - worunter etwa die Verringerung von Tabakangebot und -nachfrage fällt. Als ein zusätzlich wichtiges Element beschreiben die Autoren des Berichts die Akzeptanz rauchfreier Produkte als weniger schädliche Alternativen.
In einer Pressemitteilung erklärte Dr. Delon Human: „Es geht darum, die Bekämpfung des Tabakkonsums mit der Schadensminimierung zu verbinden. Es existieren keine risikofreien Tabakerzeugnisse, E-Zigaretten sind jedoch 95 Prozent weniger schädlich im Vergleich zu Zigaretten. Es ist deutlich besser für einen Raucher, von normalen Zigaretten auf E-Zigaretten oder Nikotinbeutel umzusteigen, als weiter zu rauchen.“
„Schweden hat eine sehr erfolgreiche Tabakstrategie, die exportiert werden sollte“, sagte Prof. Fagerström. Er fügte an: „Es wäre für die Welt von großem Nutzen, wenn mehr Länder nach schwedischem Vorbild Maßnahmen ergreifen würden, die Tabakangebot und -nachfrage reduzieren und gleichzeitig differenzierte Steuersätze beinhalten, die den Rauchern finanzielle Anreize bieten, von Zigaretten auf weniger schädliche Alternativen umzusteigen.“
Tabakkonsum in Deutschland: Die Fakten
Hierzulande sind im Jahr 2018 etwa 85.000 Menschen infolge des Rauchens an Krebs erkrankt. Rund 127.000 Menschen sind an den gesundheitlichen Folgen des Rauchens gestorben. Das entspricht 13,3 Prozent aller Todesfälle in Deutschland, wie aus dem Tabak-Atlas 2020 vom Deutschen Krebsforschungszentrum in der Helmholzt Gemeinschaft (DKFZ) hervorgeht.
Weitere Zahlen, die daraus hervorgehen, sind: Etwa jeder vierte Erwachsene hierzulande raucht. In der Altersgruppe der 15- bis 24-Jährigen raucht fast jeder Fünfte. Das Bundesministerium für Gesundheit schreibt, dass Rauchen „das größte vermeidbare Gesundheitsrisiko“ ist.
Alternative zum Rauchen: Snus in Schweden beliebt und legal - im Rest der EU verboten
Eine dieser Alternativen, die in Schweden sehr beliebt ist, ist Snus. Dabei handelt es sich zwar um ein rauchfreies Tabakprodukt. Als „nikotinfrei“ können sich die Schweden mit dieser Alternative - ähnlich wie bei E-Zigaretten - nicht betiteln. 2022 löste es eine unerwartete „Swexit“-Debatte aus. Der Vertrieb des Lutschtabaks ist in der EU - Schweden ausgenommen - verboten. Denn: Als Schweden in den 1990er-Jahren der EU beitrat, handelte die Regierung eine Sonderregelung für Snus aus.
Gegenüber dem Spiegel ordnete der Frankfurter Suchtforscher Heino Stöver ein: Mit dem Zugang zu alternativen Nikotinprodukten - wie E-Zigaretten oder Snus - sei Schweden „die Diversifikation der Rauchentwöhnungsstrategien“ gelungen. Das belegen auch die aussagekräftigsten Zahlen des Experten-Berichts:
- Demnach hat Schweden den geringsten Anteil an tabakbedingten Krankheiten in der EU.
- Hinzu kommt eine um 41 Prozent niedrigere Krebsinzidenz im Vergleich zu anderen europäischen Ländern.
- Der Prozentsatz der Raucher in Schweden ist demnach innerhalb von 15 Jahren von 15 Prozent auf 5,6 Prozent der Bevölkerung gesunken.
Die Gesundheitspolitik in Deutschland oder anderen EU-Ländern sei „zu eindimensional“, also zu stark auf die vollkommene Abstinenz ausgerichtet, so Stöver. Die enormen Vorteile von Schwedens Strategie sprechen jedenfalls für sich. Fraglich bleibt jedoch, ob sich Deutschland und der Rest der EU ein Beispiel daran nimmt - oder nicht. (mbr/SID)