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Schwanger im „Dschungel“ gelandet

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Von: Pitt von Bebenburg

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In Zelten mussten Geflüchtete auf der griechischen Insel Samos unterkommen.
In Zelten mussten Geflüchtete auf der griechischen Insel Samos unterkommen. © dpa

Ghanaerin wurde in Flüchtlingslager auf Samos unmenschlich behandelt. Europäischer Gerichtshof verurteilt Griechenland, der Frau eine Entschädigung zu zahlen.

Griechenland ist wegen der unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung einer schwangeren Frau im Flüchtlingslager auf der Insel Samos verurteilt worden – vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Das Land muss der Betroffenen 5000 Euro Entschädigung bezahlen.

Die Frau aus Ghana, Jahrgang 1990, war im sechsten Monat schwanger, als sie im August 2019 mit ihrem Mann nach Samos kam. Vorher hatte sie schon zwei Fehlgeburten erlitten.

Trotzdem wurde sie nicht in das völlig überfüllte Lager auf Samos aufgenommen. Stattdessen musste die Schwangere in einem Zelt im „Dschungel“ hausen, provisorischen Unterkünften, die im Wald um das Lager entstanden waren. Dort gab es keinerlei Toiletten oder sanitären Anlagen. Selbst im Lager, das mit mehr als 4000 Menschen völlig überbelegt war, standen nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks nur 35 Toiletten zur Verfügung, von denen nicht alle funktionierten.

Die Frau habe bis zum Einsetzen der Wehen im Zelt leben müssen, schilderte Lea Roesner der Frankfurter Rundschau. Sie gehört zum Unterstützungsteam der „Refugee Law Clinic Berlin“. Die Ghanaerin habe erst nach der Geburt ihrer Tochter die Insel verlassen können. Das Kind trage den Namen Matilda, benannt nach einer Helferin auf Samos.

Unterstützt wurde die Klage der jungen Frau von der Refugee Law Clinic, der Organisation „I Have Rights“ auf Samos und der Stiftung Pro Asyl. Sie haben nach eigenen Angaben bereits drei weitere Klagen eingereicht für besonders gefährdete Personen, die auf Samos unmenschlich behandelt worden seien.

Die griechische Menschenrechtskommission stattete dem Lager im Januar 2020 einen Besuch ab und stellte fest, dass das Aufnahmesystem „kollabiert“ sei. Häufig hätten sich Krankheiten verbreitet, weil es an medizinischer Versorgung mangelte. Unter den Bewohnerinnen und Bewohnern seien allein 330 unbegleitete Kinder gewesen.

Die griechische Regierung argumentierte, dass die Frau aus Ghana trotz der schwierigen Bedingungen genug zu essen bekommen und auch Zugang zu einem Arzt gehabt habe. Damit gab sich der EGMR nicht zufrieden.

Erst vor drei Wochen hatte der Gerichtshof auch die Haftbedingungen in einem Aufnahmelager auf der italienischen Insel Lampedusa für unmenschlich und entwürdigend erklärt. Vier Menschen aus Tunesien erhielten jeweils 8500 Euro Entschädigung zugesprochen.

Konsequenzen angemahnt

Im Fall der Ghanaerin stellte das Gericht einstimmig einen Verstoß gegen Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention fest, der unmenschliche oder erniedrigende Behandlung untersagt. Die Urteile haben jedoch – außer der Entschädigungszahlung – keine unmittelbaren politischen Folgen. Das damalige Camp auf Samos wurde mittlerweile aufgelöst und durch ein stärker von der Außenwelt abgeschottetes Lager ersetzt.

Die Athener Anwältin der Ghanaerin, Yiota Massouridou, machte die Europäische Union (EU) mitverantwortlich für die Missstände an ihren Außengrenzen. „Seit 2016 treibt die Europäische Union die Externalisierung ihrer Migrationspolitik voran, indem sie Asylsuchende aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit in abgelegene, unzugängliche Räume an und außerhalb ihrer Grenzen verlegt, um sich ihren menschenrechtlichen Verpflichtungen zu entziehen“, kommentierte Massouridou. Statt diese „unmenschlichen Einrichtungen“ zu schließen, habe die EU 276 Millionen Euro in den Bau neuer „Hotspots“ auf den griechischen Inseln investiert, auch auf Samos.

Die Organisation „Pro Asyl“ forderte Griechenland und die EU auf, Konsequenzen aus den Urteilen zu ziehen. „Menschenrechtsverletzungen müssen unterbunden werden“, sagte der europapolitische Sprecher von Pro Asyl, Karl Kopp. Er forderte die EU-Kommission dazu auf, Griechenland zu sanktionieren, um die Missstände zügig abzustellen. Nur dann könne die EU „ihre eigenen Werte einlösen“.

Aktenzeichen: 55363/19

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