Schottlands Wahl zwischen zwei Übeln

Nach Nicola Sturgeons Abgang streiten vor allem zwei SNP-Abgeordnete um ihre Nachfolge: ein glückloses Einwandererkind und eine reaktionäre Evangelikale.
Gut eine Woche nach ihrer Rücktrittsankündigung als schottische Ministerpräsidentin werden die Gründe für Nicola Sturgeons abrupte Entscheidung zunehmend deutlicher. Zu Tage treten politische Fehlentscheidungen und bedenkliche Entwicklungen, die der erfahrenen Politikerin das Regieren zunehmend schwierig gemacht haben. Offenbart hat sich vor allem ihr ärgstes Versäumnis: Weil die 52-Jährige die parteipolitische Erbfolge ungeklärt ließ, hebt in der Scottish National Party nun ein heftiges Hauen und Stechen an.
Als am Freitag zur Mittagsstunde die Anmeldefrist verstrich, stand fest: Drei Abgeordnete des Edinburgher Parlaments gehen ins vier Wochen währende Rennen um den Vorsitz der SNP, der bisheriger Praxis zufolge den Job als „First Minister“ mit sich bringt. Als neuer Favorit gilt Gesundheitsminister Humza Yousaf. Der 37-jährige Sohn eines pakistanischen Einwanderers studierte Politik und gehört dem Parlament bereits seit 2011 an.
Schottlands konservative und sozialdemokratische Oppositionelle attackieren den Minister als „unnütz“ – das Wort „useless“ wird selbst in der SNP zur Verballhornung von Yousafs Namen benutzt. Tatsächlich steht das Gesundheitssystem NHS mindestens genauso schlecht da wie in England und Wales; auch in früheren Regierungsjobs hat sich Yousaf nicht mit Ruhm bekleckert.
Auf dem „Kontinuitätskandidaten“, der gern im Schottenrock und einem südasiatisch inspirierten Jackett posiert, ruht die Gunst der Parteispitze um Sturgeon und deren Ehemann Peter Murrell. Der ist seit 24 Jahren SNP-Generalsekretär – ein „Interessenkonflikt“, wie die zweite Kandidatin Ash Regan findet. Gegen Murrell läuft wegen einer zunächst verheimlichten Parteispende von umgerechnet 121 960 Euro ein Ermittlungsverfahren – möglicherweise ist das auch ein Grund für Sturgeons abrupten Rücktritt.
Regan verspricht Veränderung – nicht zuletzt eine Abkehr von dem wegen seiner großen Toleranz höchst umstrittenen Transsexuellen-Gesetz, das zu Sturgeons Fall beigetragen hat. Regan war als Justiz-Staatssekretärin zurückgetreten, um im Parlament gegen die Regierungsvorlage stimmen zu können. Das Gesetz wurde im Januar vom britischen Premier Rishi Sunak blockiert, was Umfragen zufolge in Schottland auf Zustimmung stößt.
Sturgeon sah sich mit dem Fall eines verurteilten Vergewaltigers konfrontiert, der gemäß der vom SNP-Gesetz gutgeheißenen Selbsteinstufung kurzzeitig in ein Frauengefängnis eingewiesen wurde. Das liegt der dritten Kandidatin, Finanzministerin Kate Forbes, ganz besonders quer. Sie gilt als größtes Talent in der Regierungsarbeit, aber ihr Weltbild zieht heftige Kritik auf sich: Das Mitglied einer evangelikalen Freikirche hält Sex außerhalb der Ehe genauso wie Abtreibungen für falsch. Auch soll die heute 32-Jährige 2014 im Parlament gegen die Ehe für alle gestimmt haben. Selbstverständlich werde sie aber die geltenden Gesetze verteidigen, beteuert sie: „Ich glaube fest an die angeborene Würde jedes Menschen.“
Sturgeon kritisiert Forbes als rückständig gegenüber der „progressiven Mehrheitsmeinung“. Sie hat aber auch in ihren 16 Jahren in Regierungsverantwortung dafür gesorgt, die SNP von altbacken auf progressiv umzutrimmen.
