1. Startseite
  2. Politik

„Scholz folgt nur seinem Amtseid“

Erstellt:

Von: Claus-Jürgen Göpfert

Kommentare

2001 im Bundestag, da wollten sie alle an den Mann am Pult glauben: Putin, den Erneuerer.
2001 im Bundestag, da wollten sie alle an den Mann am Pult glauben: Putin, den Erneuerer. © picture-alliance / ZB

Die SPD-Linke Heidemarie Wieczorek-Zeul zu den Folgen des Ukraine-Krieges, einer neuen Europäischen Föderation und wann Waffen Menschenrechte schützen können

Frau Wieczorek-Zeul, vor 21 Jahren waren Sie als Mitglied der Bundesregierung Zeugin der Rede des russischen Präsidenten Wladimir Putin im Deutschen Bundestag. Am 25. September 2001 warb Putin dort in deutscher Sprache für eine politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der EU. Er wollte eine neue Sicherheitsarchitektur in Europa und versprach, demokratische Rechte und Freiheiten in Russland einzuhalten. Haben Sie ihm geglaubt?

Ja. Ich denke, alle, die damals im Bundestag zugehört haben, waren positiv überrascht. Die Grundfrage ist: Wieso hat sich Putins Position seither so drastisch verändert bis zum Angriffskrieg auf die Ukraine? Mir ist wichtig, noch einmal daran zu erinnern, dass die Entspannungspolitik der Bundeskanzler Brandt und Schmidt in den 70er Jahren zuvor ein Erfolg war. Sie hat zur Aussöhnung mit Russland und Polen geführt und sie hat die Voraussetzungen zum Ende des Ost-West-Konflikts geschaffen. Auf dieses Ergebnis muss man heute noch stolz sein. Es gibt keinen Grund, sich für die Entspannungspolitik zu entschuldigen. Ich bin dagegen, jetzt die Geschichte umzuschreiben, wie es von konservativer Seite versucht wird.

Warum aber hat sich die russische Politik so gewandelt?

Es gibt offenbar ein imperiales Interesse Putins. Er will die Grenzen in Europa im Sinne seiner allrusssischen Phantasien verschieben. Das dürfen wir nicht hinnehmen.

Aber warum ist es nach 2001 nicht gelungen, in Europa eine neue Sicherheitsarchitektur unter Einbeziehung Russlands zu schaffen?

Die westliche Politik hat sich nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 stark auf die Folgen fixiert. Dazu gehörte das Vorgehen gegen Al-Kaida und die Taliban in Afghanistan. Vor allem der völkerrechtswidrige Krieg, den die USA im Irak begannen, hat die Welt verändert. Spätestens 2008, mit dem Angriff Russlands in Georgien, war dann klar, dass Russland in eine andere Richtung ging.

2001 war sogar davon die Rede gewesen, Russland in die Nato aufzunehmen. Warum ist es dazu damals nicht gekommen?

Das traf vor allem auf den Widerstand der neuen Nato-Staaten. Nach der Auflösung des Warschauer Paktes 1991 gab es sogar die Überlegung, die Nato aufzulösen und durch eine neue europäische Friedensordnung mit Russland zu ersetzen. Heute, mit dem Einmarsch Russlands in der Ukraine, kann ich mir keine europäische Friedensordnung mehr vorstellen, die das Russland Wladimir Putins einbezieht.

Kann und darf man jetzt noch mit Putin verhandeln?

Es muss den Versuch geben, den Frieden zu bewerkstelligen. Notwendig ist ein Waffenstillstand, notwendig ist es, die Ukraine zu stärken, notwendig sind Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland. Ich würde mir ein stärkeres Engagement von UN-Generalsekretär Guterres wünschen. Die Ukraine hat das Recht, sich zu verteidigen. Dazu gehört auch, dass der Westen Waffen an die Ukraine liefert, aber auch zivile Hilfsgüter.

Sie sind als Juso-Bundesvorsitzende noch Pazifistin gewesen.

Ich glaube, ich hätte mich niemals als Pazifistin bezeichnet. Ich habe als Juso-Chefin ja auch politisch den bewaffneten Kampf von Befreiungsbewegungen unterstützt. Aber tatsächlich habe ich meine Position seit dem Bürgerkrieg 2001 in Sierra Leone geändert. Ich habe damals gelernt, dass es manchmal die militärische Aktion braucht, um Menschenrechte zu schützen.

Es gibt ja heute auch im Ukraine-Krieg die pazifistische Position, derzufolge jede Lieferung von Waffen den Krieg verlängert.

Wer das sagt, spricht eine direkte Einladung an Aggressoren aus. Es folgt dann der nächste Überfall auf ein Land. Mit Waffenlieferungen an die Ukraine senden wir ein direktes Signal an potenzielle Aggressoren überall in der Welt.

Für die SPD waren die Waffenlieferungen ein durchgreifender politischer Kurswechsel.

Ich habe als Bundesministerin dem Bundessicherheitsrat angehört, der ja über Waffenlieferungen entscheidet. Ich habe in all den Jahren so gut wie nie für Waffenlieferungen votiert. Es ist auch wichtig, dass die Bundesregierung den Kurs beibehält, keine Waffen etwa an Diktaturen wie Saudi-Arabien zu liefern. Die Situation der Ukraine ist eine Ausnahme. Sie braucht Waffenlieferungen, um sich zu verteidigen.

Bundeskanzler Scholz hat ja um diese Waffenlieferungen einen mächtigen Eiertanz aufgeführt.

Ich schätze es sehr, dass Bundeskanzler Olaf Scholz besonnen und überlegt reagiert. Ich habe den öffentlichen Druck, der da von manchen Grünen und manchen aus der FDP ausgeübt wurde, nicht verstanden. Im Übrigen: Die Vorlagen für Entscheidungen zu Waffenlieferungen an den Bundessicherheitsrat müssen vom Auswärtigen Amt und vom Bundeswirtschaftsministerium kommen.

Aber Scholz hat beim Thema Waffen doch immer gebremst.

Die Waffenlieferungen sind eine politische Gratwanderung. Deutschland und die Nato dürfen nicht Kriegspartei werden und uns muss leiten, einen Dritten Weltkrieg verhindern zu helfen. Scholz folgt nur seinem Amtseid, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden.

Darf es sein, dass Putin mit der Besetzung eines Teils der Ukraine durchkommt?

Nein, das darf nicht sein. Unser Ziel muss sein, dass die Ukraine diesen Krieg nicht verliert und Putin ihn nicht gewinnt und dass die Ukraine in ihrer territorialen Integrität bestehen bleibt.

Wie stellen Sie sich die Zeit nach dem Krieg vor?

Solange Wladimir Putin das Land Russland führt, kann es keine neue europäische Friedensordnung geben. Die OSZE ist in ihrer Handlungsfähigkeit stark eingeschränkt. In dieser Situation kommt der Europäischen Union eine entscheidende Rolle zu. Sie ist die einzige Organisationsstruktur, die Zusammenhalt sichert. Die EU muss die Entwicklung der Demokratie in Europa fördern. Sie muss jetzt die Länder des westlichen Balkans aufnehmen, die schon länger auf einer Warteliste stehen. Zugleich muss die EU eine Zusage für die Zukunft der Ukraine machen, ihr eine Perspektive geben. Enrico Letta, der Vorsitzende der Demokratischen Partei Italiens, hat dazu einen guten Vorschlag vorgelegt: Eine Europäische Föderation, der die 27-EU-Mitglieder angehören, die aber auch Länder wie die Ukraine einbezieht.

Der Krieg Russlands gegen die Ukraine dominiert derzeit das politische Handeln. Andere wichtige Themen geraten ins Hintertreffen.

Das ist auch meine Sorge. Die Welt darf den Kampf gegen die Armut, gegen Pandemien und gegen den Klimawandel nicht hintenanstellen. Die Zusagen des Westens gerade gegenüber den armen Ländern des globalen Südens müssen eingehalten werden. Dazu braucht es neue Geldquellen. Ich halte deshalb eine Übergewinnsteuer für notwendig. Sie sollte für die Unternehmen erhoben werden, die in den zurückliegenden Jahren besondere, exorbitante Gewinne gemacht haben. Außerdem sollte im Bundeshaushalt die Schuldenbremse, die 2021 und 2022 ausgesetzt wurde, auch für 2023 ausgesetzt bleiben.

Interview: Claus-Jürgen Göpfert

Auch interessant

Kommentare