Nach dem Scholz-Machtwort: AKW-Streckbetrieb womöglich ein Flop – Grüne uneins

Im Oktober entschied Kanzler Scholz, dass die letzten Atomkraftwerke statt zum Jahreswechsel erst im April vom Netz gehen sollen. War das nötig?
Berlin – In wenigen Tagen ist es so weit: Die letzten Atomkraftwerke in Deutschland gehen am 15. April vom Netz. Erst letzten November wurde darüber entschieden, sie statt bis zum Jahreswechsel noch ein paar Monate weiterlaufen zu lassen. Dies war ein Schritt, um die Energiesicherheit im deutschen Winter zu sichern, Hintergrund der Entscheidung war der Ukraine-Krieg und die damit verbundene Unsicherheit, was die Energieversorgung anging. Stromdaten werfen nun die Frage auf, ob der Schritt überhaupt notwendig war.
AKW-Streckbetrieb laut Erkenntnissen möglicherweise nicht notwendig gewesen
Die Denkfabrik Agora Energiewende beobachtet und dokumentiert die Erzeugung und den Verbrauch des deutschen Stroms. Ihre Daten zeigen laut dem Tagesspiegel, dass seit Januar ziemlich kontinuierlich zwischen zwei und drei Gigawatt Atomstrom pro Tag ins deutsche Netz flossen. Der tägliche Verbrauch hingegen habe 60 bis 70 Gigawatt entsprochen – der Atomstrom machte demnach rund fünf Prozent aus.
Die Agora-Daten würden auch verdeutlichen, dass Deutschland bis auf wenige Tage im Januar und Februar sogar Strom in seine Nachbarländer exportiert hat. Nach Frankreich seien an Spitzentagen mehr als fünf Gigawatt Strom geliefert worden. Das Mittelmeer-Land gewinnt einen Großteil seiner Energie aus Atomkraft – vergangenes Jahr musste es allerdings einige Reaktoren vorübergehend vom Netz nehmen. Der Grund waren zuerst die niedrigen Pegelstände in vielen Flüssen, danach dann Risse in einigen Anlagen. Neben Frankreich bekamen vor allem Belgien, Österreich und die Schweiz deutschen Strom geliefert, dagegen wurde aus Dänemark und Norwegen regelmäßig Strom nach Deutschland importiert.
Weiterbetrieb der Atomkraftwerke war lange ein Streitthema in der Bundesregierung
Die Bundesregierung war in der Entscheidung, die AKW länger laufen zu lassen, keineswegs einig: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sprach im Oktober ein Machtwort im monatelangen Streit der Ampel-Koalition über den Weiterbetrieb der verbliebenen drei Atomkraftwerke aus. Scholz entschied, dass sie noch einen Winter länger in den Streckbetrieb gehen. Im November stimmte der Bundestag dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zu.
Jürgen Trittin, Grünen-Urgestein und früherer Umweltminister, stimmte im November bei der entsprechenden Abstimmung im Bundestag als einer von insgesamt neun Grünen-Abgeordneten gegen den Weiterbetrieb der deutschen Kraftwerke. Jetzt sagte er mit Blick auf die neuesten Zahlen: „Der Streckbetrieb war völlig unnötig. Zu Gürtel und Hosenträger haben wir noch einen weiteren Hosenträger in den Schrank gelegt.“ Dem Tagesspiegel erklärte er außerdem: „Für die Versorgungssicherheit waren die Atomkraftwerke nicht relevant.“
Wegen Weiterbetrieb der Atomkraftwerke: Windanlagen mussten teilweise abgeschaltet werden
Trittin widerspricht der FDP, dass die AKW in den Wintermonaten verhindert hätten, „dass wir noch mehr klimaschädliche Kohle oder teures Gas zur Stromerzeugung nutzen mussten.“ Trittin zufolge hat der Streckbetrieb der Atomkraftwerke die Erneuerbaren ausgebremst. „Ich vermute, dass wir wegen der Atomkraftwerke auch die ein oder andere Windkraftanlage zeitweise abstellen mussten“, sagte er mit Verweis auf einen sogenannten Redispatch. Dabei handelt es sich um einen Eingriff, um die Stromnetze vor einer Überlastung zu schützen, wenn zu viel Strom im Netz ist. Da Windanlagen einfacher abzuschalten sind als Atomkraftwerke, trifft das Phänomen vor allem häufig die Erneuerbaren Energien auf.
Laut Tagesspiegel bestätigte auch die Bundesnetzagentur, dass es dies im Winter gegeben habe. „Die Abregelung von Windenergieanlagen war auch im vergangenen Winter immer wieder erforderlich“, hieß es. Grund hierfür sei vor allem der fehlende Ausbau im deutschen Stromnetz. Allgemein war der Winter aus Sicht der Bundesnetzagentur aber eher ruhig. Die Herausforderungen im Stromnetzbetrieb seien nicht über das hinausgegangen, was auch in anderen Winterhalbjahren an der Tagesordnung war. „Die Bundesregierung hat umfassend Vorsorge für eine sichere Stromversorgung im vergangenen Winter getroffen“, so ein Sprecher. Die Übertragungsnetzbetreiber seien sehr gut auch auf schwierige Szenarien vorbereitet. „Vorsorgemaßnahmen lassen sich nicht danach beurteilen, ob das Risiko, dem vorgebeugt wird, tatsächlich eingetreten ist.“
Anders als Trittin: Grünen-Chef Nouripour findet, „Streckbetrieb war notwendig“ - und will am 15. April keine Party feiern
Trittins Parteikollege Omid Nouripour hat eine andere Meinung. „Der Streckbetrieb war notwendig, weil die Energieversorgung so unsicher ist, wie sie ist“, sagte der Grünen-Chef im Interview mit Deutschlandfunk. Daran gab er teilweise auch der CSU die Schuld: „Redispatch in Bayern, also der Widerstand quasi in den Stromnetzen – das ist jetzt laienhaft und falsch artikuliert – ist einfach nicht gewährleistet, weil die CSU die Trassen nicht gebaut hat und vieles andere mehr.“
Seiner Ankündigung vom letzten Jahr, eine Party zu veranstalten, wenn das letzte AKW abgeschaltet wird, will er nun keine Taten folgen lassen. „Wir werden am 15. April sicher keine Party feiern. Dafür ist einfach kein Grund zurzeit.“ Und weiter: „Die Energieversorgung war einfach zu sehr in der Krise in den letzten Monaten, als dass man jetzt irgendwie Partys feiern sollte und – das ist ein freudiger Tag. Ich werde den still und freudig genießen und wir werden alle hart daran arbeiten, dass wir die Erneuerbaren deutlich besser, schneller und weiter tatsächlich auch ausbauen können.“ (ale)