Wahl in Schleswig-Holstein: „Die Kalkulation der CDU ist aufgegangen“
Politologe Wilhelm Knelangen spricht kurz vor der Wahl in Schleswig-Holstein über das Phänomen Daniel Günther und die Zeit nach Friedrich Merz.
Herr Knelangen, Ministerpräsident Daniel Günther hat sich für die CDU in Schleswig-Holstein als Selbstläufer erwiesen. Wie erklären Sie den Erfolg?
Es gibt zwei Hauptgründe dafür. Erstens hatte Daniel Günther schon vor dem Wahlkampf einen sehr großen Vorsprung bei den Persönlichkeitswerten und bei der Zufriedenheit, die er bei den Bürgerinnen und Bürgern im Vorfeld der Landtagswahl in Schleswig-Holstein genießt. Auf der Persönlichkeitsebene ist ihm keiner der beiden anderen Herausforder:innen gefährlich geworden. Der andere Punkt hängt damit zusammen: Dass die Persönlichkeit eine so große Rolle spielen konnte hat damit zu tun, dass wir im Wahlkampf keine ernsthafte, tiefgreifende Auseinandersetzung über politische Themen hatten.
Warum nicht? Es gab doch genügend Kandidat:innen.
Natürlich gibt es Unterschiede zwischen den Parteien, aber aufgrund der internationalen Lage – erst die Corona-Situation, dann vor allem der Ukraine-Krieg – rückte die Frage des persönlichen Vertrauens immer stärker in den Vordergrund: Wem traue ich zu, dieses Land gut zu führen? Dabei ist Günther zugute gekommen, dass eine Jamaika-Koalition wie er sie in Schleswig-Holstein geführt hat, ein lagerübergreifendes Angebot ist. Günther hatte durch die Beteiligung der Grünen von Anfang eine Situation, in welcher der Vorwurf, dass er eine einseitige oder zu rechte Politik machen würde, nicht aufkommen konnte. Insofern ist es der SPD sehr schwer gefallen, einen Ansatz für eine Auseinandersetzung zu finden. Damit hat sich der Fokus verschoben auf allgemeine Kompetenzwerte. Wir hatten einfach keine kontroverse Sachauseinandersetzung im Wahlkampf.

Wahl in Schleswig-Holstein: Daniel Günther punktet mit „schnörkelloser Sprache“
Mit dem von der Bundesregierung geplanten Flüssiggas-Terminal in Brunsbüttel rückt Schleswig-Holstein bundesweit in den Blick. Wäre das nicht ein Wahlkampfthema gewesen?
Nein, wir haben zu diesem Thema fast einen All-Parteien-Konsens – Jamaika und SPD sind dafür. Der Grünen-Landesparteitag hatte das Terminal zwar abgelehnt, Grünen-Spitzenkandidatin Heinold hat die Zustimmung dann aber durchgesetzt. Durch den Angriff Russlands auf die Ukraine ist die Energiepolitik aus dem kontroversen Bereich herausgerutscht. Die Devise ist nun: Das sind Dinge, die man jetzt machen muss. Das LNG-Terminal wäre ohne die Zuspitzung durch den Krieg allerdings nie so rasch möglich geworden.
Mit welchen Eigenschaften genau hat Günther bei den Persönlichkeitswerten gepunktet?
Mit seiner Form der Zugewandtheit und seiner relativ schnörkellosen Sprache, die heutzutage keineswegs alltäglich ist im politischen Geschäft – das ist eine Marke, die er vertreten hat. Der zweite Punkt ist, dass er durch seinen Führungsstil in der Jamaika-Koalition, wo es eher darum ging, Brücken zu bauen, Konsens zu schaffen, in keiner Weise Kante zeigen musste in den letzten fünf Jahren. Das ist nicht immer ein Vorteil, aber in der gegenwärtigen Situation mit Corona und dem Ukraine-Krieg konnte er sich gewissermaßen als Präsident von Schleswig-Holstein inszenieren, derjenige, der verschiedene Richtungen zulässt und versucht, das in eine konsistente Politik zu formen.
Daniel Günther - Ministerpräsident von Schleswig Holstein
Name | Daniel Günther |
Alter | 48 Jahre (geboren am 24. Juli 1973) |
Geburtsort | Kiel |
Partei | CDU |
Familienstand | verheiratet |
Amt | Ministerpräsident Schleswig-Holstein |
Wahl in Schleswig-Holstein: „Daniel Günther hat keine Fehler gemacht“
Einen Wahlkampf so sehr auf eine Person abzustimmen birgt doch die Gefahr, dass er zur Schlammschlacht wird. Warum blieb das hier aus?
Daniel Günther hat keine Fehler gemacht und keine Fehltritte begangen. Die Kalkulation der CDU ist aufgegangen.
Günther ist ein ähnlicher Polit-Typ wie Robert Habeck, beide sind auch aus dem Norden.
Ich sehe da Parallelen, aber einen Unterschied würde ich machen: Robert Habeck steht sehr klar für ein politisches Ziel, nämlich für den Kampf gegen den Klimawandel. Er hat jetzt die neue Herausforderung, die Energiesicherheit zu gewährleisten, auch aufgenommen – aber bei Günther konnte man sich teilweise schon fragen: Was ist eigentlich sein politisches Ziel? Günther ist nicht aufgefallen durch inhaltliche Festlegungen. Er war eine wandelnde Kompromissmaschine – auch weil er in seiner Koalition darauf angewiesen war, sehr unterschiedliche Parteien auf einen gemeinsamen Kurs hin zu entwickeln. Das ist auch die tiefere Ursache dafür, warum Günther, der vor Jamaika nicht als besonders liberal oder vermittelnd aufgetreten ist, nun auch in der Bundespolitik sehr häufig liberale Positionen innerhalb der CDU vertreten hat. Das waren genau die Positionen, die auch hier im Land vermittelbar waren gegenüber seinen Koalitionspartnern. Er wäre ja sonst auch unglaubwürdig geworden.

Wahl in Schleswig-Holstein: „AfD hat trotz liberaler CDU nicht gewonnen“
Die CDU fragte sich lange, ob sie sich weiter rechts positionieren muss, auch um die AfD abzudrängen. Ist Günther das Gegenmodell zu dieser Strategie?
Die CDU wird nicht profitieren, wenn sie versucht, die AfD zu kopieren oder deren Terrain mit zu bedienen. Und Schleswig-Holstein zeigt, dass die AfD trotz dieser liberaleren CDU nicht gewonnen hat. Die Regierung hat mit Unterstützung der SPD eine migrationsfreundliche Politik vertreten. Das hat weder der Jamaika-Koalition geschadet noch hat es der AfD genutzt.
Kann Günther ohne die Grünen regieren? Und wird er das tun?
Darin steckt bundespolitische Musik. Aufgrund der inhaltlichen Positionen würde es ihm leichter fallen, allein mit der FDP zu regieren. Mit den Grünen wäre das viel schwieriger, weil die Parteien vor allem in der Agrarpolitik weit auseinander sind. Wenn Günther ein herkömmliches CDU/FDP-Bündnis schmieden würde, hätte das eine gewisse Strahlkraft in Richtung Berlin. Aber wenn er es mit den Grünen versucht, dann wäre er in der Bundes-CDU derjenige, der am deutlichsten macht: Wir brauchen jetzt eine Nähe, wir müssen weiter lagerübergreifend agieren. Günther steht für den liberalen Flügel der CDU, und diesen Nimbus könnte er mit einer schwarz-grünen Koalition ausbauen.
Wahl in Schleswig-Holstein: Kaum noch Chancen auf Fortsetzung der Jamaika-Koalition
Kritiker sehen in Günthers Ansatz auch eine Entpolitisierung der Politik. Wie sehen Sie das?
Ich finde den Begriff nicht glücklich, weil auch in einem Umfeld ohne öffentliche Kontroversen Politik gemacht wird – und sei es dadurch, dass Entscheidungen ausbleiben und schwierige Fragen umschifft werden. Und genau das zeichnet den Führungsstil von Günther aus, das steckt hinter der Inszenierung vom Brückenbauen und von pragmatischen Lösungen. Der öffentliche Kampf um Themen gehört nicht dazu. Wo es geht, werden soziale Milieus zusammengeführt und Kompromisse geschmiedet. Wo es nicht geht, bleibt es beim status quo.
Wie wahrscheinlich ist es, dass Jamaika bleibt?
Die Grünen wollen es nicht, und die FDP will es auch nicht – immer unter der Voraussetzung, dass eine Regierung auch mit zwei Parteien möglich wäre. Eine Koalition, die mehr Parteien umfasst, als sie tatsächlich im Landtag braucht, sehe ich nicht. Auch weil die Parteien, die nicht gebraucht werden, im Zweifel die ersten sind, die aus der Regierung aussteigen.
Daniel Günther: Ein Mann für die Zeit nach Friedrich Merz?
Welche Rolle sehen Sie für Günther auf der Bundesebene?
Mit dem Wahlsieg in Schleswig-Holstein ist er zwangsläufig einer derjenigen, die gehandelt werden, wenn es um die Zeit nach dem CDU-Bundesvorsitzenden Friedrich Merz geht. Fällt das Wahlergebnis wie vorausgesagt aus, wird der Blick ganz klar nach Kiel gehen, wenn es um die Frage geht, wer die CDU in die Zukunft führen wird. Ich würde nur einschränken, dass Günther die Bundespolitik bisher immer von der Kieler Förde aus mitbedient hat. Eine wirkliche Führungsrolle in der Bundes-CDU hat er bisher nicht gehabt. Wenn das also so auf ihn zulaufen würde, müsste er sich neu bewähren. (Interview: Tatjana Coerschulte)