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„Schlange“ auf der Anklagebank

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Von: Thomas Roser

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Im Kosovo ist das Medieninteresse an dem Prozess groß: Plakatwand mit Thacis Konterfei in der Hauptstadt Pristina. a. nimani/Afp
Im Kosovo ist das Medieninteresse an dem Prozess groß: Plakatwand mit Thacis Konterfei in der Hauptstadt Pristina. © A. Nimani/afp

In Den Haag beginnt der Prozess gegen Hashim Thaci, den Ex-Präsidenten des Kosovo.

Ob als Premier, Präsident, Außenminister oder Parteichef: Kaum ein anderer Politiker hat die Geschicke des seit 2008 unabhängigen Kosovo so geprägt wie Hashim Thaci. Auf der Anklagebank wird der frühere Kommandant der Befreiungsarmee UCK mehr als 24 Jahre nach Ausbruch des Kosovokrieges nun noch einmal im Blickpunkt der Öffentlichkeit stehen.

Mehr als zwei Jahre nach seiner Inhaftierung wird vor dem Kosovo-Sondergerichtshof am heutigen Montag der Prozess gegen Thaci und drei weitere UCK-Kommandanten eröffnet. Die Anklage wirft ihnen die Verantwortung für schwere Kriegsverbrechen an Zivilist:innen und politischen Rivalen vor. Mit ihrem Wissen sollen Angehörige der serbischen Minderheit sowie Roma und Albaner in geheimen UCK-Lagern im Kosovo und in Nordalbanien vom März 1998 bis September 1999 verschleppt, gefoltert und getötet worden sein.

„Die Schlange“ war zu Kriegszeiten der Kampfname des langjährigen Günstlings des Westens. Wie Thaci waren auch seine Mitangeklagten – der frühere Parlamentsvorsitzende Kadri Vesili (PDK), der einstige NISMA-Chef Jakup Krasniqi und der frühere Vetevendosje-Fraktionschef Rexhep Selimi – ranghohe Politiker, als sie sich Ende 2020 dem Sondergerichtshof stellten. Das Medieninteresse im Kosovo an dem Prozess ist groß, das Verständnis für die Anklagen allerdings gering: Viele empfinden den Sondergerichtshof als einseitig gegen die UCK gerichtet.

Tatsächlich hatte die juristische Aufarbeitung mutmaßlicher Kriegsverbrechen der UCK lange unter dem mangelhaften Zeugenschutz gelitten. So wurde der frühere UCK-Kommandant und Ex-Premier Ramush Haradinaj vor dem UN-Tribunal 2012 auch in zweiter Instanz freigesprochen, nachdem mehrere Zeugen unter merkwürdigen Umständen verstarben oder ihre Aussagen zurückgezogen hatten. Vor der Eröffnung des Prozesses gegen den früheren UCK-Kommandanten Fitmir Limaj vor einem heimischen Gericht wurde der geschützte „Zeuge X“ 2015 in einem Duisburger Park erhängt aufgefunden – angeblich ein Suizid.

2010 hatte der damalige Europarat-Berichterstatter Dick Marty einen Report veröffentlicht, der Thaci und der UCK zahlreiche Kriegsverbrechen vorwarf. Der heute 54-jährige Thaci war Außenminister und Vizepremier, als das kosovarische Parlament 2015 auf Druck des Westens die Einrichtung des Sondergerichtshofs außerhalb der Landesgrenzen in Den Haag beschloss. 2017 nahm das Gericht seine Arbeit auf. Im November 2020 wurden die ersten Anklagen erhoben – auch gegen den damals amtierenden Staatschef Thaci.

Doch erst zwei Jahre später verkündete der Sondergerichtshof sein erstes Kriegsverbrecherurteil: Im Dezember wurde der frühere UCK-Kommandant Salih Mustafa wegen der ihm zu Last gelegten Folterung und Ermordung von Kosovo-Albanern in erster Instanz zu einer Haftstrafe von 26 Jahren verurteilt.

Auch die Sorge um die Sicherheit der Zeugen hatte den ursprünglich im Frühjahr 2021 geplanten Auftakt der nun beginnenden Prozesse immer wieder verzögert. In deren langen Vorbereitung sehen die Verteidiger von Thaci allerdings auch ein Indiz, dass die Anklage auf tönernen Füßen stehe. Die Argumentation der Verteidigung für den geforderten Freispruch: In der „Graswurzel“-Armee der UCK habe es keine klare hierarchische Kommandokette gegeben. Als deren politischer Führer könne Thaci, der sich bis März 1999 meist gar nicht im Kosovo aufgehalten habe, kaum für etwaige Kriegsverbrechen einzelner UKC-Kämpfer verantwortlich gemacht werden.

Angesichts der Vielzahl der von Anklage und Verteidigung aufgebotenen Zeugen wird in den Haag mit einem jahrelangen Prozess gerechnet. Gleichzeitig hat der Sondergerichtshof einen Generationswechsel auf Kosovos Politparkett bewirkt: Nicht mehr die UCK-Legenden, sondern eine jüngere Politikergeneration bestimmt nun das Geschehen.

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