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Scharfe Worte der Kanzlerin

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Von: Daniela Vates

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Kanzlerin Merkel im Fokus eines Kameramanns in der Berliner Bundespressekonferenz.
Kanzlerin Merkel im Fokus eines Kameramanns in der Berliner Bundespressekonferenz. © AFP

Monatelang hat Angela Merkel zum Thema Flüchtlinge und den rassisistischen Ausschreitungen in Deutschland geschwiegen. Bei einer Pressekonferenz in Berlin findet sie erstaunlich scharfe Worte und wirbt für mehr Verständnis.

Selten, sehr selten, gibt die Kanzlerin lange Pressekonferenzen und dann ist es so weit und einer der ersten Sätze, die Angela Merkel sagt, lautet. „Heute ist der 31. August.“ Na, das kann ja was werden. Als nächstes kommt der Kanzler-Wetterbericht: „Selbst meteorologisch ist noch Sommer.“ Tatsächlich: es ist heiß draußen in Berlin und auch im Pressekonferenzsaal. Wenn man möchte, kann man darüber staunen, wie die Kanzlerin es aushält in einem Jackett, ganz ohne roten Kopf. Das Jackett immerhin zumindest ist irgendwie rosarot. Aber für Modefragen kommt man eigentlich nicht zu einer Kanzler-Pressekonferenz, auch nicht für Datumserinnerungen.

Aber es wird dann doch noch was, zu erleben ist eine Kanzlerin mit selten scharfen Worten. Wochen-, nein monatelang hat Angela Merkel das Flüchtlingsthema weitgehend anderen überlassen. Hat abgewartet, so sieht es die Regierung. Hat sich weggeduckt, so wirkte es von außen. Die Debatte hat ohne sie an Fahrt gewonnen. Kenternde Boote auf dem Mittelmeer, überfüllte Flüchtlingsunterkünfte in Deutschland, Anschläge auf Wohnheime, rechtsextreme Demonstrationen. Merkel, so schien es, war dabei, die Kontrolle zu verlieren.

Es ist also kein Zufall, dass sie das Flüchtlingsthema an den Beginn der Pressekonferenz setzt. 20 Minuten spricht sie, es ist ein klarer Ton, einer der seltenen Momente in den bald zehn Jahren ihrer Kanzlerschaft, in der aus der Wartekanzlerin eine Basta-Kanzlerin wird, und in der die nüchterne Merkel auch einmal Emotionen zeigt.

„Wie können wir die Flüchtlingszahl einschränken?“ – das war das Leitmotiv, das bisher aus der Regierung zu hören war. Es ging um Quoten, Abschiebung und Bleiberecht, um Überforderung und Kosten. Die Kanzlerin setzt ein positives Leitmotiv dagegen: Es handele sich beim Flüchtlingszustrom um keine Naturkatastrophe. „Wenn so viele Menschen so viel auf sich nehmen, um zu uns zu kommen, stellt uns das nicht das schlechteste Zeugnis aus“, sagt sie. Sie spricht von guter Wirtschaftslage, robustem Arbeitsmarkt, Meinungsfreiheit – Stolz ist es, der da mitschwingt. Ein ganz anderer Stolz als der, der deutschlandfahnenschwingenden Demonstranten von Heidenau und anderswo. „Die Welt sieht Deutschland als Land der Hoffnung und Chancen“, fügt die Kanzlerin hinzu. „Das war nicht immer so.“

Es ist der Versuch eines Perspektivwechsels: Die Ansturm auf Deutschland als Erfolg einer Marke, über den man sich freuen kann. Sie zieht Parallelen zum Atomausstieg und zur Wiedervereinigung. Auch da habe es gegolten, nicht nur die Risiken zu sehen, sondern erst einmal die Chancen. Deutschland sei ein starkes Land. „Wir haben so vieles geschafft. Wir schaffen auch das“, sagt Merkel.

Und die Kanzlerin wirbt um Verständnis für das Schicksal der Flüchtlinge, die sie bezeichnet als „Menschen aus aller Herren Länder, die bei uns Zuflucht suchen“. Sie hätten oft Schlimmes erlebt. Viele Flüchtlinge müssten „Ängste aushalten, die uns schlichtweg zusammenbrechen ließen“. Ängste um das eigene Leben oder das der Angehörigen seien das oder auch nur die völlige Erschöpfung nach einer Flucht. In Deutschland lebe man gleichzeitig doch in sehr geordneten Verhältnissen, sagt Merkel. Flucht, Todesangst – „Die meisten von uns“, sagt Merkel „kennen das zum Glück nicht.“

Und dann kommt das Basta – es richtet sich an pöbelnde Demonstranten, an Brandstifter und andere Gewalttäter. Merkel wiederholt nicht den Begriff vom besorgten Bürger, für den man auch Verständnis haben müsste. Sie sagt: „Es gibt keine Toleranz gegenüber denen, die die Würde der anderen in Frage stellen.“ Es ist eine Selbstverständlichkeit, aber weil es viel an Relativierungen gab, kommt sie mit einiger Wucht daher. Merkel zitiert Asyl-Grundrecht und Menschenwürde. Und sie wiederholt den Aufruf aus ihrer Neujahrsansprache, die sich damals an die Pegida-Demonstranten richtete. Heute geht es um die Flüchtlingsbeschimpfer. „Folgen Sie denen nicht“, fordert sie, als wäre die Pressekonferenz eine Fernsehansprache. „Halten Sie Abstand!“ Vorurteile, Kälte und Hass finde sich „in deren Herzen“. Soviel Pathos gibt es bei Merkel selten.

Und selten ist auch, dass sie nichts relativiert. Für rechtsextreme Pöbeleien und Gewalttaten könne es keinerlei Entschuldigung geben, sagt sie. „Keine biographische Erfahrung, kein historisches Erlebnis, nichts rechtfertigt ein solches Vorgehen.“ Die Ost-West-Debatte über den Unterschied im Umgang mit Flüchtlingen will sie sich gar nicht erst einlassen. Und auf ein Gespräch etwa mit der Frau, die sie beim Besuch in Heidenau wüst beschimpft hat, sieht sie keinen Anlass. Sie sehe ihre Aufgabe eher darin, die zu bestärken, die helfen wollten.

Ein Gesetzespaket sei in Arbeit. Es geht um die schnelle Errichtung von Flüchtlingsunterkünften, um Brandschutzvorschriften und Geländerhöhen, um Baumöglichkeiten in Gewerbegebieten.

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