„Jetzt werden die Letzten mundtot gemacht“: Gericht verbietet älteste russische Menschenrechtsgruppe
In Russland wird die älteste Menschenrechts-Organisation, die Moskauer Helsinki-Gruppe, verboten. Russland-Experte Peter Franck sieht in der Entscheidung eine Farce.
Moskau - In Russland geht die Repression der letzten regierungskritischen Stimmen im Land weiter: Ein Gericht ordnete am Mittwoch (26. Januar) die Auflösung der Moskauer Helsinki-Gruppe an, der ältesten Menschenrechtsorganisation in Russland. Es habe „die Bitte des russischen Justizministeriums erfüllt“ und die „Auflösung“ dieser Nichtregierungsorganisation angeordnet, erklärte das Moskauer Gericht auf Telegram.
Peter Franck, Russland-Experte der Menschenrechtsorganisation „Amnesty Deutschland“, sagt dazu auf Anfrage unterer Redaktion: „Jetzt werden auch noch die Letzten mundtot gemacht.“ Die Helsinki-Gruppe sei schon in den 70er-Jahren gegründet worden und die älteste und traditionellste Bürgerrechtsbewegung in Russland.

Russland-Experte: Helsinki-Gruppe hat Staat in keiner Weise bedroht
„Diese Organisation hat in keiner Weise den Staat bedroht“, so Franck. Kurz nach Beginn des Ukraine-Kriegs verschärfte Putin das Gesetz gegen „ausländische Agenten“, das NGOs die Arbeit erheblich erschwerte. Danach sei die Helsinki-Gruppe sogar einer der Organisationen gewesen, die sich konform verhielt und keine ausländischen Gelder mehr zu ihrer Finanzierung annahm.
„Dass die Helsinki-Gruppe jetzt verboten wird, zeigt, dass der russische Staat keinerlei Initiativen, die nicht von ihr gegründet worden sind und staatlich kontrolliert werden, mehr duldet“, so Franck. Das sei eine Entwicklung, die in Russland schon länger zu beobachten sei, seit dem Ukraine-Krieg aber drastisch zunehme.

Russland-Experte: Begründung für Verbot der Helsinki-Gruppe ist eine Farce
Die Begründung des Verbots sei ein Vorwand, so Franck. Der Nichtregierungsorganisation wird vorgeworfen, ihren regionalen Status verletzt zu haben, indem sie außerhalb von Moskau agierte. „Die russischen Behörden haben in jüngster Zeit wiederholt Entscheidungen derartig begründet: Es wird genau geschaut, wie Organisationen heißen und wie sie arbeiten. Man nutzt angebliche Diskrepanzen dann, um politisch Missliebige mundtot zu machen.“
Vertreter der Helsinki-Gruppe kündigten an, die Entscheidung anfechten und weiter für die Verteidigung der Menschenrechte arbeiten zu wollen. „Die Arbeit zur Verteidigung der Menschenrechte und die Bewegung selbst werden natürlich nicht aufhören“, erklärte Roman Kiseljow, Leiter der Rechtsprogramme der Helsinki-Gruppe in Moskau, zu AFP. Da jedoch mit der nun beschlossenen Auflösung alle Aktivitäten der NGO in Russland verboten würden, werde man „eine Entscheidung über ihre Zukunft treffen müssen“
Die Moskauer Helsinki-Gruppe
Die Moskauer Helsinki-Gruppe wurde 1976 zu Sowjetzeiten gegründet und war bisher die älteste noch aktive Menschenrechtsorganisation in Russland. Über Jahrzehnte wurde sie von der Dissidentin Ljudmilla Alexejewa geleitet, die zu einem Symbol der Widerstands im modernen Russland wurde. Sie starb 2018.
Der Name der Helsinki-Gruppe bezog sich auf die sogenannte Schlussakte von Helsinki der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit (KSZE) aus dem Jahr 1975. Mit ihrer Unterzeichnung bekannte sich die Regierung der Sowjetunion zur Achtung grundlegender Menschenrechte. Die Helsinki-Gruppe setzte sich zum Ziel, auf die Einhaltung dieses Versprechens zu pochen.
Die Mitglieder der Gruppe wurden jedoch inhaftiert, schikaniert und des Landes verwiesen - und von den sowjetischen Behörden derart unter Druck gesetzt, dass die Moskauer Helsinki-Gruppe ihre Tätigkeit 1982 zunächst einstellte und sie erst 1989, zur Zeit der Perestrojka-Reformen unter dem sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow, wieder aufnahm.
Repressionen in Russland: Verbot der Helsinki-Gruppe erinnert an Vorgehen gegen „Memorial“
Das Vorgehen gegen die Helsinki-Gruppe erinnert an die Auflösung der Organisation Memorial im Dezember 2021. Memorial setzte sich für die Aufarbeitung der politischen Verfolgung und des stalinistischen Terrors in der Sowjetunion, aber auch für die Wahrung der Menschen- und Bürgerrechte im heutigen Russland ein. Nach der Auflösung wurde Memorial im Herbst 2022 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. (smu/dpa)