Kreml-Kritiker sicher: Putins Atomdrohungen „nicht nur Worte“

Putin droht im Ukraine-Krieg immer wieder mit dem Einsatz von Atomwaffen. Der russische Oppositionspolitiker Grigori Jawlinski nimmt die Worte ernst.
Moskau - Sind Wladimir Putins Atomwaffen-Drohungen im Ukraine-Krieg nur ein großer Bluff? Der Kreml-Kritiker und russische Oppositionspolitiker Grigori Jawlinski glaubt: Nein. Der Kreml und auch Putins Propagandisten im russischen Staatsfernsehen hatten gegenüber dem Westen immer wieder gedroht, nukleare Sprengkörper einzusetzen. Jawlinski nimmt das Säbelrasseln ernst. Dem US-Portal Newsweek sagte er: „Ich glaube, dass Putins Atomdrohungen eine echte Bedrohung sind.“
Oppositionspolitiker: Putins Ankündigung, im Ukraine-Krieg zu allen verfügbaren Mitteln zu bleiben ist „kein Bluff“
In seiner Rede zur Lage der Nation im Februar hatte Putin angekündigt, den Abrüstungsvertrag „New Start“ per Gesetz auszusetzen. Das Abkommen begrenzt die Atomwaffenarsenale Russland und der Vereinigten Staaten. Der Schritt, den Vertrag ruhen zu lassen, kann als weitere Provokation gegenüber den USA und der NATO gedeutet werden.
Doch steigt die Gefahr einer nuklearen Eskalation? Jawlinski glaubt, es sei „kein Bluff“ sei, dass Putin zu allen verfügbaren Mitteln greifen werde, wenn er die territoriale Integrität seines Landes bedroht sieht. So, wie es der Kreml-Chef im vergangenen Jahr angekündigt hatte. „Es sind nicht nur Worte“, betonte Jawlinski. „Diese Art von Waffen ist eine ernste Sache. Das ist ein realer Faktor, den man in der derzeitigen Situation berücksichtigen muss.“
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Kreml-Kritiker Jawlinski: Bereits Angriff auf die Ukraine wie ein „selbst verschuldeter Atomschlag“
Der 70-jährige Oppositionspolitiker sprach sich zugleich klar gegen Russlands Krieg in der Ukraine aus. Er hatte bereits den Angriff auf die Ukraine mit einem „selbst verschuldeten Atomschlag“ verglichen. Jawlinski, Gründer der liberalen Partei Jablonko und zweimal Gegenkandidat Putins bei Präsidentschaftswahlen, drängt aus Sorge vor einer nuklearen Eskalation auf einen Waffenstillstand „bevor Tausende und Abertausende Menschen getötet werden“.
Auch ein US-Geheimdienst warnte in einem Bericht, der auf seiner offiziellen Homepage einsehbar ist, das „Risiko einer Eskalation“ sei „erheblich“. Der Kreml setze zu Abschreckungszwecken weiter stark auf Nuklearsprengkörper. Atomwaffen sind für das russische Regime „der ultimative Garant“, heißt es in dem Geheimdienst-Papier weiter.
Russland unterhalte das größte und leistungsfähigste Atomwaffen-Arsenal, und arbeite daran, seine Kernwaffen-Kompetenzen zu erweitern und zu modernisieren. „Russland will wahrscheinlich keinen direkten militärischen Konflikt mit US- und NATO-Streitkräften, aber es gibt ein Potenzial dafür.“
Putins Atomdrohungen: Einige Experten geben Entwarnung
Ein ehemaliger russischer Geheimdienstler bewertet die Ernsthaftigkeit von Putins-Atomdrohungen allerdings anders. Der Ex-KGB-Agent Juri Schwez vermutet, dass Russland keine funktionierenden Atomwaffen mehr besitzt. Der Grund: Die Sprengköpfe müssten regelmäßig gewartet werden, das Plutonium alle zehn Jahre getauscht werden, wie Schwez in einem Interview mit dem ukrainischen Fernsehsender Pryami erklärte. Und waffenfähiges Plutonium werde in der russischen Föderation nicht mehr hergestellt.
Es gibt Experten, die Schwez‘ Ansicht teilen. „Das russische Atomwaffen-Arsenal könnte durch die falsche Wartung von Atomsprengköpfen und Trägerraketen unbrauchbar geworden sein“, erklärte der ukrainische Militärexperte Oleh Schdanow auf seinem YouTube-Kanal. Und die US-Denkfabrik Institute for the Study of War urteilte, die nuklearen Drohungen Russlands seien „Teil einer Informationsoperation“, „die die Ukraine und den Westen entmutigen soll, aber keine materielle russische Absicht darstellen, Atomwaffen einzusetzen.“ (kb)