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Zwischen Russland, China und dem Westen: Wohin steuern die Ex-Sowjetstaaten?

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Von: Anna-Katharina Ahnefeld

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Armeniens Premierminister Nikol Pashinyan, Alexander Lukaschenko (Belarus), Kassym-Jomart Tokajew (Kasachstan), Sadyr Japarow (Kirgisistan), Wladimir Putin (Russland), Emomali Rahmon (Tadschikistan), Serdar Berdimuhamedow aus Turkmenistan und Shavkat Mirziyoyev (L-R) aus Usbekistan nehmen in Moskau an einer Zeremonie am Grab des Unbekannten Soldaten teil.
Die Staatschefs von Armenien, Belarus, Kasachstan, Kirgisistan, Russland, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan (von links) nehmen im Mai am „Tag des Sieges“ in Moskau an einer Zeremonie am Grab des Unbekannten Soldaten teil. © IMAGO/Alexei Maishev

Wladimir Putins Invasion in der Ukraine zeigt die imperialen Bestrebungen Moskaus. Doch zunehmend blicken sich „postsowjetische“ Länder nach Alternativen zur wirtschaftlichen Abhängigkeit von Russland um.

Köln – Beginnen wir mit einer Richtigstellung: Der Begriff „postsowjetische Staaten“ ist irreführend. Zusammengefasst wird darunter ein regionaler Raum, konkreter: die Länder der einstigen Sowjetunion. Salopp ausgedrückt: Die EU-Mitgliedsstaaten Estland, Lettland, Litauen, sowie die Ukraine und Moldau, Moskaus Verbündeten Belarus oder das totalitäre Turkmenistan schert man über einen Kamm. Doch das ist zu simpel. „Die Varianz, die Unterschiede der Entwicklungswege der 15 Staaten nach Auflösung der Sowjetunion 1991, erfasst der Begriff ‚post-sowjetisch‘ nicht“, sagt Dr. Julia Langbein vom Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien der Frankfurter Rundschau von IPPEN.MEDIA.

Und tatsächlich haben sich die Staaten, die aus der UdSSR hervorgingen, sehr unterschiedlich entwickelt. Grob unterteilt, spricht man mittlerweile von Osteuropa, Zentralasien und dem Südkaukasus. Während die baltischen Staaten Lettland, Litauen und Estland 2004 Teil der Europäischen Union wurden und die Ukraine und Moldau 2022 unter dem Eindruck des russischen Angriffskriegs den EU-Beitrittskandidatenstatus erhalten haben, sind viele andere der „postsowjetischen“ Länder autoritäre und totalitäre Systeme – und befinden sich im Spannungsfeld zwischen Russland und China.

Russland: Für Wladimir Putin ist Zerfall der Sowjetunion „Tragödie“ – Länder gehen zunehmend auf Distanz

Der russische Machthaber Wladimir Putin bezeichnete vor langer Zeit – im Dezember 2001 – den Zusammenbruch der Sowjetunion als „Tragödie“. Als er mehr als zwei Jahrzehnte später den Angriff auf die Ukraine befahl, wurde diese Äußerung aus der Mottenkiste der Geschichte hervorgekramt. Doch seinen imperialen Vorstellungen zum Trotz wenden sich immer mehr der 15 „postsowjetischen“ Staaten vom Kreml-Chef ab, vielfach bereits lange vor Russlands Invasion in der Ukraine. Und das, obwohl Russland als sicherheitspolitische Macht das Militärbündnis „Organisation des Vertrags über die kollektive Sicherheit“ (OVKS) anführt, dessen weitere Mitglieder aktuell Armenien, Kasachstan, Belarus, Kirgistan und Tadschikistan sind.

Dass das Baltikum, die Ukraine und Moldau den entgegengesetzten Weg Russlands eingeschlagen haben, ist Fakt. Aber auch andere Länder gehen zunehmend auf Distanz. Das betrifft vor allem den Wirtschaftssektor, insbesondere die Eurasische Wirtschaftsunion, einen Binnenmarkt mit Zollunion, zu dem die Länder Armenien, Belarus, Kasachstan, Kirgisistan und Russland gehören. „Russlands Krieg gegen die Ukraine verändert die Dynamiken der regionalen Integration in Eurasien. Viele Länder stehen einer tieferen Integration im Rahmen der Eurasischen Wirtschaftsunion skeptisch gegenüber“, sagt Langbein. Und das, obwohl Russlands Wirtschaft sich bislang angesichts westlicher Sanktionen als resilienter erweist, als von vielen erwartet.

Abstandsbemühungen zu Putins Russland

Selbst im sicherheitspolitischen und militärischen Bereich, in dem Russland in vielen Ländern wie Armenien einen starken Einfluss ausgeübt hat, merke man Tendenzen, unabhängiger von Moskau werden zu wollen, sagt Langbein. Im Bergkarabach-Konflikt mit Aserbaidschan etwa sei Armenien enttäuscht von der Rolle Russlands, so die Expertin. Dort blicke man mittlerweile stärker zu den USA und zur EU.

Und auch Georgien nimmt eine Sonderrolle ein. Das Land hat eine turbulente Zeit hinter sich, mit Demokratisierung und nun wieder autoritäreren Tendenzen. Russland besetzte 2008 autonome Gebiete im Norden des Landes. Darauf reagierte im Westen damals kaum ein Staat mit ernsthaften Konsequenzen für Moskau. „Georgiens Verhältnis zur EU ist ambivalent. Ein Großteil der Bevölkerung spricht sich für die Integration in die EU aus. Aber die aktuelle Regierung fährt einen zunehmend autoritären Kurs und unterstützt nicht die westlichen Sanktionen gegen Russland“, sagt Julia Langbein. Doch auch, wenn es richtig sei, Georgien aktuell keinen Beitrittskandidatenstatus anzubieten, müsse die EU reformorientierte Kräfte und zivilgesellschaftliche Strömungen vor Ort unterstützen. „Denn das sind die Menschen, die auf die Straße gehen und Richtung EU wollen“, sagt Langbein – und ergänzt: „Ohne reformorientierte Kräfte im Inneren ist eine Unterstützung für mehr politischen und wirtschaftlichen Wettbewerb nicht möglich.“

Ein spezieller Fall ist wiederum Belarus. Minsk ist stark abhängig von Russland und zentraler Verbündeter beim Angriff auf die Ukraine. Kürzlich verkündete Moskau sogar, Atomwaffen in dem Nachbarstaat zu stationieren.

Rolle der EU: „Mehr als an der Zeit, dass der Westen signalisiert: Wir sind da“

Russland hinterlässt also in immer mehr Ländern eine Leerstelle. Wer kann sie besetzen? In Moldau oder der Ukraine wurde diese bereits seit Langem durch eine starke Orientierung in Richtung EU gefüllt. Hier steht Brüssel vor der Herausforderung, die Beitrittsprozesse zu begleiten und sich institutionell so zu reformieren, dass die Erweiterungsrunde geschafft werden kann – ohne handlungsunfähig zu werden. Stichwort: Mehrheitsentscheidungen.

Im Südkaukasus wiederum sieht man laut Julia Langbein, wie wichtig es ist, dass sich die EU und USA als sicherheitspolitische Alternative zu Russland positioniert. Es sei, so Langbein, „mehr als an der Zeit, dass der Westen signalisiert: Wir sind da.“

Zentralasien: Der starke Sog Chinas

Komplexer ist die Lage in Zentralasien. Zwar leidet auch dort der Ruf Moskaus als stabiler Partner in Wirtschaft und Sicherheitspolitik. So warf etwa laut Deutscher Presse-Agentur der Präsident Tadschikistans, Emomali Rachmon, Putin vergangenen Oktober vor, kleinere Länder wie bereits zu sowjetischen Zeiten zu übergehen. Und auch Kasachstan geht im Ukraine-Krieg auf Distanz. Langbein: „Einerseits ist in Ländern Zentralasiens wie Kasachstan die Sorge vor einer zu starken ökonomischen Abhängigkeit von Russland gestiegen, andererseits ist der Westen nicht unbedingt ein alternativer Partner für solch autoritäre Regime.“

Dadurch gewinnt China als Handelspartner und Motor für alternative regionale Integrationsbestrebungen in den geopolitisch bedeutenden und rohstoffreichen Regionen an Bedeutung. Startschuss für ein innigeres Verhältnis dürfte das anstehende Gipfeltreffen „Zentralasien – China“ am Donnerstag und Freitag im chinesischen Xi’an sein. Gewinner des erodierenden Einflusses Russlands könnte somit das mächtige China sein – als neue Ordnungsmacht in Zentralasien.

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