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Russland rüstet digital auf

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Von: Stefan Scholl

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Der Kreml legt ein Gesetz vor für elektronische Gestellungsbefehle vor. Bei Nichtbefolgung hagelt es so viele Strafen, dass nur Dienen oder Desertieren die Alternative sind.

Russland digitalisiert den Kriegsdienst. Ein unlängst von der Staatsduma und dem Föderationsrat verabschiedetes Gesetz sieht die Einführung eines Zentralregisters aller Wehrpflichtigen und ihrer persönlichen Daten vor, außerdem die Zustellung von Gestellungsbefehlen per Einschreiben oder Internet über das staatliche Serviceportal „Gosuslugi“.

Für alle Fälle landen die Vorladungen in die Militärkommissariate auch im neuen elektronischen Einheitsregister. Nach sieben Tagen dort gelten sie als ausgehändigt. Und jeder, der bis dahin nicht persönlich im Kommissariat vorstellig geworden ist, wird bestraft: Die Ausreise wird verboten, Autofahren ist nicht länger erlaubt, Bankkredite werden abgelehnt, Gewerbe kann man nicht mehr anmelden oder Immobilien verkaufen, beziehungsweise vermieten. „Das sind im Grunde auch Sanktionen gegen Leute, die schon ausgereist sind“, urteilt der Politologe Konstantin Kalatschjow.

Das Projekt solle das „Chaos“ beseitigen, das zu Beginn der „militärischen Spezialoperation“ im Frühjahr 2022 in den Militärkommissariaten geherrscht habe, erläuterte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Mittwoch. Diese Behörden sollten „moderner und bequemer“ werden. Kritischere Geister glauben, damit solle es vor allem leichter werden, menschlichen Nachschub für die „Spezialoperation“ zu sichern. Schon vergangenen September hatte der Staat 300 000 Männer „teilmobilisiert“. Und eine andere Neuerung erlaubt es Wehrpflichtigen künftig, schon vom 18. Lebensjahr an Berufssoldaten zu werden – auch ohne die bisher obligatorische Berufsausbildung oder drei Monate Grundwehrdienst. „Das Verteidigungsministerium braucht wohl ein neues Instrument, um die Armee mit Soldaten aufzufüllen“, kommentiert die BBC. Der Bürgerrechtler Maxim Grebenjuk meint, Rekruten seien durch moralischen Druck und Drohungen besonders leicht zu beeinflussen.

Die elektronische Einberufung könnte allerdings auch den ganzen Charakter des Militärdienstes umkrempeln: Neue, spektakuläre Mobilisierungsaktionen würden dann nicht mehr stattfinden, schreibt der Exilpublizist Ilja Krasilschtschik auf Facebook. „Es gibt ewigen Krieg und ewige Mobilisierung.“

Der Staat erteilt also seine Gestellungsbefehle digital und die Wehrpflichtigen müssen sie im Internet suchen. In der Jurisprudenz ist man sich derweil uneins, ob Strafen ohne richterlichen Beschluss gegen die Verfassung verstoßen. Auf jeden Fall liefern die Behörden persönliche Daten an das neue Wehrzentralregister – ohne Zustimmung der Betreffenden.

Wladimir Putin hatte bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe die Neuerung noch nicht abgesegnet. Aber seine Unterschrift gilt als sicher.

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