Freiwillig für Putins „Spezialoperation“?

In Russland sollen Regionalbehörden offenbar 400 000 neue Berufssoldaten rekrutieren – sogar Werbegeld wird gezahlt. Doch das Misstrauen ist groß.
Dass die für Einberufungen zuständigen Kriegskommissariate Vorladungen verschickten, sei reine Routine, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Mittwoch. „Eine neue Mobilisierung wird bei uns nicht diskutiert.“ Trotzdem braucht Russland offenbar wieder Soldaten. Wie diverse Medien berichten, will das Verteidigungsministerium von Anfang April bis zum Jahresende 400 000 neue Berufssoldaten rekrutieren.
Laut der staatsnahen Internetzeitung „ura.ru“ wurden den Behörden der Uralregionen Tscheljabinsk und Swerdlowsk bereits Quoten von jeweils etwa 10 000 neuen Dienstverträgen zugewiesen. Das ebenfalls linientreue Portal „news.ru“ sprach von 800 Mann, die in einer Großstadt in der Wolgaregion Saratow unter Vertrag genommen werden sollen.
Russlands Rekruten: „Sie können ohne Sanktionen ablehnen“
Die Staatsorgane anderer Regionen bestätigten der unabhängigen Online-Redaktion „verstka.media“ die bevorstehende Kampagne. Kriegskommissariate im Gebiet Woronesch hätten bereits begonnen, Vorladungen „vor allem an die Wohnorte der Bürger und an ihre Arbeitsplätze“ zu verschicken. In den Kommissariaten werde man den Männern vorschlagen, sich für die „Spezialoperation“ in der Ukraine zu verpflichten, sagte ein Beamter „verstka.media“ anonym. Aber die Entscheidung sei freiwillig. „Sie können ohne Sanktionen ablehnen.“ Das bestätigte auch eine Behördenquelle aus einer sibirischen Regionalverwaltung.
Laut „ura.ru“ beginnt die Kampagne parallel mit der Frühlingsrekrutierung im Rahmen der allgemeinen Wehrpflicht und wird von Putins Intimus Dmitri Medwedew, dem stellvertretenden Vorsitzenden des russischen Sicherheitsrates, geleitet.
Russland: Für den Einsatz an der Front
Im Dezember hatte Verteidigungsminister Sergej Schoigu angekündigt, man wolle die Streitkräfte von 1,15 auf 1,5 Millionen Soldaten vermehren. Dafür gelte es, die Zahl der Berufssoldaten schon bis Ende 2023 von 405 000 auf 521 000 zu steigern.
Viele Beobachter:innen betrachten die neue Kampagne aber vor dem Hintergrund der verlustreichen Dauerschlachten in der Ukraine. Schon im Mai 2022 hatte die Staatsduma die Altersbeschränkung für russische Vertragssoldaten von 40 Jahren ersatzlos gestrichen. Jetzt berät sie eine Heraufsetzung des Wehrpflichtalters von bisher 27 auf 30 Jahre. Das US-amerikanische Institut für Kriegsstudien ISW sieht dahinter das Bemühen, dem Bedarf an kämpfenden Personal in der Ukraine nachzukommen. „Die Einberufung per Kontrakt bedeutet zurzeit nichts anderes als den Einsatz an der Front“, bestätigte der Militärexperte Alexander Gluschtschenko „news.ru“. Er vermutet, schon in den Kämpfen zwischen Februar und September hätten sich die „Reserven an freiwilligen Vertragssoldaten“ erschöpft“, sonst wäre die Teilmobilisierung im September und Oktober überflüssig gewesen. Auch angesichts der wenig siegreichen Frontlage glaubt Gluschtschenko nicht, die eingeplanten 400 000 neuen Berufssoldaten würden sich bis Ende des Jahres melden. „Wer wollte, der hat schon einen Vertrag unterschrieben.“
Russland: Traditionelles Misstrauen
Ein Beamter der Autonomen Jamalo-Nenezker-Region erklärte „ura.ru“, man denke daran, den Frontdienst durch Werbegeld von 300 000 Rubel (gut 3700 Euro) attraktiver zu machen. Zurzeit erhalten einfache Vertragssoldaten im Kampfeinsatz ebenso wie die im Herbst eingezogenen Reservisten einen offiziellen Mindestsold von 195 000 Rubel (2400 Euro) im Monat.
„Es ist schwer zu sagen, für welche Summe sich ein Russe freiwillig meldet“, sagt Lew Gudkow, Soziologe des Lewada-Meinungsforschungszentrums der Frankfurter Rundschau. „195 000 Rubel sind das Vierfache des russischen Durchschnittslohns. In den ärmeren Orten Zentralrusslands oder Ostsibiriens ist das eine enorme Summe.“ Andererseits misstrauten die Leute traditionell staatlichen Geldversprechen.
Laut Gudkow bedarf es zudem Propaganda und persönlichen Drucks, um jemanden zum Frontdienst zu bewegen. „Die Leute gehen kämpfen, wenn die Obrigkeit ihnen das Gefühl gibt, sie hätten keine andere Wahl.“ Aber es werde schwer, 400 000 Freiwillige auf die Beine zu bekommen. „Sonst wäre es kaum nötig gewesen“, so Gudkow, „Strafgefangene aus den Haftanstalten einzuziehen.“