Russland nutzt „Herr der Ringe“ für eigene Propaganda
Russlands Propaganda setzt vermehrt auf die Entmenschlichung der Ukraine und ihrer Bevölkerung. Der Krieg wird zum mythologischen Kampf gegen Gut und Böse stilisiert.
Moskau – Die Verluste Russlands im Ukraine-Krieg werden immer größer und die Sanktionen des Westens bedrohen die schwache Wirtschaft des Landes. Da die Behauptung, die ukrainische Regierung sei ein „Nazi-Regime“, angeführt von seinem jüdischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, nicht standzuhalten scheint, greifen die russischen Propagandisten des staatlichen Fernsehens auf den mythischen Kampf zwischen gut und böse zurück. Somit stellen sie sich selbst als moderne Kreuzritter und ihre Gegner als Dämonen und Satanisten dar.
In der Freitags-Sendung „Der Abend mit Wladimir Solowjow“, einer der beliebtesten politischen Talkshows in Russland, argumentierte Kira Sazonowa von der russischen Präsidentenakademie für Volkswirtschaft und öffentliche Verwaltung: „Ich habe viel über die aktuelle Situation in der Ukraine nachgedacht und darüber, was die moderne Ukraine nachgedacht und darüber, was die moderne Ukraine für den Westen bedeutet. Ich habe lange gebraucht, um das richtige Wort zu finden, aber ich glaube, ich habe es endlich gefunden. Es ist ‚Gollum‘. Die Ukraine ist Gollum.“
Ukraine-Krieg: Russische Staatsmedien bezeichnen Ukrainer als „die Unreinen“
Diese Anspielung auf eine fiktive, abscheuliche Kreatur aus dem Roman Herr der Ringe entspricht voll und ganz der neuesten Propagandastrategie der russischen Staatsmedien. In einem offensichtlichen Versuch, ihre Gegner zu entmenschlichen, bezeichnen die Experten und Moderatoren des staatlichen Fernsehens die Ukrainer als „die Unreinen“ – das gleiche Wort, das in russischen Märchen für Kobolde, Dämonen und Hexen reserviert ist.

„In der modernen Welt sind wir die Verkörperung der Kräfte des Guten. Dies ist ein metaphysischer Kampf zwischen den Kräften des Guten und des Bösen.... Wir sind auf der Seite des Guten gegen das absolute Böse, das von den ukrainischen nationalistischen Bataillonen vertreten wird … und der amerikanische Satanstempel in Salem hat seine Unterstützung für die Ukraine zum Ausdruck gebracht. Dies ist wahrhaftig ein Heiliger Krieg, ein Heiliger Krieg, den wir führen und den wir gewinnen müssen.“
Russischer Politologe: „Der ukrainische Gott ist der Teufel“
Der Politologe Sergej Michejew ging Anfang April in Solowjows Sendung sogar noch weiter und behauptete, „der ukrainische Gott ist der Teufel“. Er fügte hinzu: „Die Ukraine wird wie ein Schwein auf einem heidnischen Opferaltar aufgeschlitzt“. Dass Russland die Schuld für seine Massaker gegeben wird, bezeichnete der Politologe Alexej Marynow in der staatlichen Fernsehsendung 60 Minutes als „Satanismus“.
Währen die Ukrainer routinemäßig herabgewürdigt und als unheilige Nation dargestellt werden, die es nicht wert ist zu existieren, rufen die Propagandisten der russischen Staatsmedien und die Gesetzgeber die Russen dazu auf, ihre persönlichen Bedürfnisse zugunsten von Moskaus Kreuzzug aufzugeben. In seiner Freitagssendung predigte Solowjow seinen Zuhörern, wie wichtig es sei, die Moral dem Wohlstand vorzuziehen.
Dieser Ansatz kommt gerade zum rechten Zeitpunkt, um die Frustration zu mildern, die durch die westlichen Sanktionen als Reaktion auf den Einmarsch Russlands in der Ukraine entstanden sind. Wirtschaftswissenschaftler sagen voraus, dass die Russen bis Ende des Jahres mit einer Inflation von 20 Prozent oder mehr rechnen müssen.
Ukraine-Krieg: Russischer TV-Millionär ruft Russen zu mehr Sparsamkeit auf
Solowjow selbst ist ein frisch gebackener Anhänger der Sparsamkeit. Nachdem er kürzlich den Zugang zu seinen millionenschweren italienischen Villen verloren hat. In die Kamera sprechend, fragte er die Zuschauer zu Hause: „Was ist wichtiger: ein wohlhabendes Leben, wenn alles einfach ist, oder wenn man ins Ungewisse geht? Aber Sie glauben, und ihr Glaube schafft Wunder“.
Solowjow forderte die Russen auf, sich nicht um die Inflation zu sorgen, sondern sich auf die positiven Aspekte zu konzentrieren: „Es gibt keinen Bürgerkrieg, keine Intervention … und der Krieg findet nicht auf unserem Territorium statt“. Um die Sache noch zu versüßen, wies er darauf hin, wie viel besser Russland im Vergleich zur Ukraine dastehe: „Ich habe die Verluste, die die Ukraine zu verbergen hat, gar nicht erwähnt, aber ich fürchte, wir sprechen hier von mehr als 50.000 toten Ukrainern. Und an all dem ist ein gewisser Krimineller namens Selenskyj schuld.“
Die beunruhigende Zahl der angeblichen ukrainischen Opfer liegt in keiner Weise in der Nähe der offiziellen oder hochgerechneten Zahlen, was bedeutet, dass sie wahrscheinlich von Solowjow erfunden wurde.
Ukraine-Krieg: „Haben das unglaubliche Glück (…) diese großen Ereignisse miterleben zu dürfen“
Was Russlands eigene Opfer angeht, so ist die im März veröffentlichte offizielle Zahl von 1.351 weit von den von Experten geschätzten Zahlen entfernt. Sie wurde seither nicht mehr aktualisiert. Der Antrag des Föderalen Sicherheitsdienstes (FSB) auf Aufstockung der Mittel für Truppenbestattungen und Grabsteine spricht Bände.
Während Solowjows Sendung am Freitag (15.04.2022) versuchte der Leiter des Verteidigungsausschusses der Staatsduma, Andrej Kartapolow, die Spannung zu steigern, indem er den Krieg Russlands gegen die Ukraine als eine spannende Herausforderung darstellte. Er sagte: „Wir treten in eine sehr interessante Periode in der Entwicklung der modernen Geschichte ein. Wir alle haben das unglaubliche Glück, diese großen Ereignisse miterleben zu dürfen.“
Russische Medien sehen sich in historischer Schlacht: „Historiker werde diese Zeit später studieren“
Kartapolow prophezeite großspurig: „Historiker werden diese Zeit später studieren, um über ihre Rolle, ihre Bedeutung als Wendepunkt zu sprechen, der die kommende Weltordnung für viele Jahre bestimmt hat. Und wir erleben es aus erster Hand! Mehr als das, wir nehmen daran teil! Allein darauf sollten wir stolz sein. Aber noch wichtiger ist, dass wir auf unseren Präsidenten und unsere Armee stolz sein müssen und sollten, weil sie diesen Wendepunkt geschaffen haben.“
Kartapolow verstieg sich zu frevelhaften Vergleichen von Wladimir Putins mordenden, plündernden und vergewaltigenden Truppen in der Ukraine mit Veteranen des Zweiten Weltkriegs (in Russland als „Großer Vaterländischer Krieg“ bekannt): „Jeden Tag verlieren wir Veteranen des Großen Vaterländischen Kriege.... Neue Veteranen und neue Helden sollten sie ersetzen, von denen wir viele haben.... Ich unterstütze die Idee, den Marsch des unsterblichen Regiments durchzuführen, aber ich bin zutiefst davon überzeugt, dass wir neben den Bildern der Veteranen des Großen Vaterländischen Krieges auch die Bilder unserer Jungs tagen sollten, die unsere Ziele in der Ukraine verwirklicht haben, alle von ihnen! Diejenigen, die dort umgekommen sind, aber auch diejenigen, die weiter dienen. Sie sind die wahren Helden, sie sind das Fundament für die Zukunft unseres Landes.“
Russischer Abgeordneter: Entnazifizierung wird „wahrscheinlich nicht mit der Ukraine enden“
Die Aufgabe, den gewöhnlichen Russen zu vermitteln, dass das bevorstehende Leiden sich gelohnt hat und die Ukraine es verdient hat, sickert in jeden staatlichen Fernsehkanal ein. Am Donnerstag (14.04.2022) beklagte sich der stellvertretende Vorsitzende der Duma, Pjotr Tolstoi, in der Sendung „Time Will Tell“ auf dem staatlich finanzierten Kanal Eins: „Die Erkenntnis, dass nichts mehr so ein wird, wie es war, kommt langsam und hart.... Dies ist ein Krieg für Gerechtigkeit. Dies ist ein Krieg für die Freiheit.... Das ist die nationale Ideologie Russlands.“
In derselben Sendung wies der Duma-Abgeordnete Oleg Morosow darauf hin, dass Moskaus Agenda wahrscheinlich nicht in der Ukraine enden werde: „Die heutige Welt ist sehr gefährlich für uns, aber auch für die Amerikaner, die Chinesen, die Europäer, die Polen und vor allem die Balten. Sie sollen sich daran erinnern, dass die Entnazifizierung ein langer, endloser Prozess ist und sehr wahrscheinlich nicht mit der Ukraine enden wird.“
Russlands neue (alte) Propaganda: „Niemand liebt uns“
Morozow räumte ein: „Diese neue Welt ist für uns äußerst unangenehm. Wir kennen noch nicht einmal alle Schwierigkeiten, auf die wir beim Aufbau dieser Welt stoßen werden.... Jeder einzelne wird auf diese Schwierigkeiten stoßen. Jemand wird seinen Arbeitsplatz verlieren.... Jemand wird ein Geschäft verlieren.“
Der Moderator Aryom Sheynin fragte den Schriftsteller Zakhar Prilepin, was er dem russischen Volk sagen wolle. Der verzweifelte Schriftsteller destillierte seine Botschaft zu einer kindlichen Vereinfachung: „Niemand liebt uns, und unsere Rettung liebt in unseren Händen.“ (lz)