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Angst vor Gegenoffensive der Ukraine? Siegestag-Event in Moskau gestrichen

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Von: Bettina Menzel

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Der russische Präsident Wladimir Putin am 9. Mai 2022 bei einer Militärparade am Roten Platz in Moskau. © IMAGO/Mikhail Metzel/ ITAR-TASS

Russland sagt eine Vielzahl seiner Militärparaden und Märsche im Mai ab. Sicherheitsprobleme sind der offizielle Grund, doch laut Fachleuten steckt mehr dahinter.

Moskau - Russland sagt wichtige Militärparaden und Märsche im Mai ab – etwa den Gedenkmarsch am „Tag des Sieges“. Laut Fachleuten stecken andere Gründe dahinter, als der Kreml offiziell meldet. Zum einen sei da die Angst vor der geplanten ukrainischen Gegenoffensive, zum anderen die Befürchtung, dass Angehörige im Ukraine-Krieg gefallener Soldaten die Veranstaltungen für Trauerbekundungen nutzen könnten. Für die Militärparaden könnten indes schlicht die Panzer fehlen.

Gedenkmarsch mit Beteiligung von zehn Millionen Menschen abgesagt

Am 9. Mai, dem„Tag des Sieges“ über Nazi-Deutschland, findet in Russland traditionellerweise der Gedenkmarsch „Unsterbliches Regiment“ statt, an dem Menschen im ganzen Land an die im Zweiten Weltkrieg gefallenen Soldaten erinnern. Vor der Corona-Pandemie nahmen russischen Angaben zufolge zehn Millionen Menschen teil, den diesjährigen Marsch sagte der Kreml jedoch ab.

Die Menschen sollen sich die Fotos ihrer toten Angehörigen in diesem Jahr an die Kleidung heften, ans Autofenster kleben oder in sozialen Medien teilen, so die russische Staatsagentur Tass am Dienstag (18. April). Damit werde den gefallenen Soldaten den ganzen Tag gedacht, statt nur weniger Stunden – das Gedenken an die Veteranen werde damit „erweitert“, hieß es als offizielle Begründung. In der Vergangenheit war auch Kremlchef Wladimir Putin persönlich beim Gedenkmarsch dabei. Er könne noch nicht sagen, ob der Präsident an alternativen Formaten teilnehme, hieß es vonseiten des Kremlsprechers Dmitri Peskow.

Auch die geplanten Veranstaltungen der größten russischen Gewerkschaft zum wichtigen russischen Feiertag „Tag der Arbeit“ am 1. Mai finden in diesem Jahr nicht statt. Die Entscheidung sei auf „das gestiegene Niveau der terroristischen Bedrohung“ zurückzuführen – auch in Regionen, „die weit von den Orten der militärischen Spezialoperation entfernt sind“, sagte der Gewerkschaftsvertreter, Alexander Scherschukow, am Freitag. Anfang April war in St. Petersburg ein berühmter russischer Kriegsblogger bei einem Anschlag gestorben, der Kreml machte die Ukraine und die russische Opposition dafür verantwortlich.

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Soldaten auf einem BMD-4M-Schützenpanzer während der Militärparade am 9. Mai 2022 auf dem Roten Platz in Moskau (Archivbild). © IMAGO/Sergei Bobylev / ITAR-TASS

Kommunikationsprobleme des Kreml: Absage der Paraden könnte gegenteiligen Effekt haben

Putin stelle die „spezielle Militäroperation“ in den Kontext der sowjetischen Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg, hieß es in einem Bericht des britischen Verteidigungsministeriums vom Donnerstag. Die Ehrung der Gefallenen früherer Generationen könnte leicht dazu führen, dass das Ausmaß der jüngsten Verluste in der Ukraine, die der Kreml zu vertuschen versuche, offenkundig werde, hieß es weiter. Die Absage der Militärparaden sieht London demnach als Indiz für zunehmende Kommunikationsprobleme des Kreml.

Womöglich seien Bedenken über nicht autorisierte Trauerkundgebungen für im Ukraine-Krieg gefallene Soldaten der Hintergrund für die Absage des traditionellen Marsches, glaubt auch Dmitry Gorenburg vom Center for Naval Analyses. Die russische Führung sei äußerst besorgt über jede sichtbare Opposition gegen den Krieg, teilte er dem US-Magazin Newsweek per E-Mail mit. Selbst, wenn es keine direkten Äußerungen gebe, sondern nur erhöhte Aufmerksamkeit für die Gefallenen.

Die Maßnahmen könnten sogar den gegenteiligen Effekt haben, glaubt Arkady Moshes, vom Finnish Institute of International Affairs. „Eine Absage oder sogar eine erhebliche Verkleinerung [des Tags des Sieges] würde der breiten Bevölkerung zeigen, dass die Situation im Allgemeinen und an der Front im Besonderen problematischer ist, als die Behörden zugeben wollen“, vermutete der Experte gegenüber Newsweek.

Militärparaden in Kursk, Belgorod und auf der Krim abgesagt: Fehlen schlicht Panzer?

Auch die Militärparaden am 9. Mai in den grenznahen Regionen Kursk, Belgorod und der von Moskau völkerrechtswidrig annektierten Halbinsel Krim finden in diesem Jahr nicht statt. Der von Moskau eingesetzte Regierungschef der Krim, Sergej Aksjonow, nannte „Sicherheitsprobleme“ als Grund. Eine Reihe von Regionen hätten sich bereits wegen der Bedrohung geweigert, [insbesondere] die Republik Krim, so die russische Staatsduma-Abgeordnete Elena Tsunaeva zur Nachrichtenagentur Tass. Die Ukraine könnte je nach Wetterlage im April oder Mai ihre geplante Gegenoffensive starten, hatte der ukrainische Verteidigungsminister Oleksij Resnikow unlängst bestätigt.

Laut Beobachtern könnte neben der Angst vor der ukrainischen Gegenoffensive auch schlicht der Mangel an Panzern ein Grund für die Absage der Paraden sein. Aktuellen Schätzungen zufolge könnte Russland seit Beginn der Invasion die Hälfte seiner Panzer verloren haben. Die Denkfabrik International Institute for Strategic Studies ging im Februar von 2.000 bis 2.300 zerstörten russischen Panzern aus.

Über eine Absage der traditionellen Militärparade in Moskau zum 9. Mai wurden zunächst keine Meldungen bekannt. Im vergangenen Jahr waren bei der Parade etwa 11.000 Soldaten über den Roten Platz in Moskau marschiert, flankiert von Panzern und Raketen, Zehntausende Menschen sahen zu. „Selbst wenn die Hauptparade in Moskau stattfindet, vermute ich, dass die lokalen Paraden deshalb abgesagt wurden“, so Dmitry Gorenburg im Hinblick auf den mutmaßlichen Panzermangel Russlands. Die Ausrüstung werde im Krieg eingesetzt, daher gebe es nicht genügend für alle üblicherweise stattfindenden Paraden (bme).

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