Fake Dates locken Schwule in Russland in die Falle: „Putin nutzt Minderheit als Feindbild“
Immer mehr Homosexuelle in Russland werden bei „Fake Dates“ angegriffen und erniedrigt. Der Staat schaut zu - und Putin schürt laut einem Experten den Hass.
Moskau – Offen homosexuell zu leben ist in Russland gefährlich: Gleichgeschlechtliche Liebe wird vom Staat kriminalisiert und es gibt immer mehr brutale Übergriffe. Erst recht, seitdem Russlands Präsident Wladimir Putin das Gesetz gegen die „Propaganda nicht-traditioneller sexueller Beziehungen“ radikal verschärft hat. Jedem, der Liebe zu einem gleichgeschlechtlichen Partner öffentlich als etwas Positives darstellt, drohen seither Geldstrafen von bis zu 65.000 Euro.
Laut Russland-Experte Peter Franck von Amnesty Deutschland ist das Schüren von Hass gegen Homosexualität eines der vielen Instrumente von Putin im Ukraine-Konflikt. „Russland inszeniert sich auch hier als Verteidiger der traditionellen Werte“, so Franck im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau von IPPEN.MEDIA. „Der Kreml nutzt jede Möglichkeit, den angeblichen dekadenten Westen als Feind zu inszenieren. Mit dem Ziel, das Land im Inneren zusammenzuhalten.“
Zu beobachten war die auch bei Putins Rede zu Lage der Nation am 22. Februar: Putin behauptete, im Westen gelte Pädophilie als etwas Normales und Priester würden gezwungen, homosexuelle Paare zu segnen - Aussagen, die schlicht falsch sind.

Homosexuelle in Russland werden zu „Fake Dates“ gelockt, attackiert und erniedrigt
Eine perfide Strategie, um Schwule in Russland zu attackieren, sind laut Franck sogenannte Fake Dates: Homophobe Banden locken dabei schwule, bisexuelle oder Trans-Männer zu einem angeblichen Date. Dort werden sie geschlagen, gequält und zu einem Outing erpresst - oft vor laufender Kamera.
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hat zahlreiche derartige Übergriffe dokumentiert. In Russlands sozialen Medien existieren hunderter schockierende Videos, die Gewalt gegen Schwule offen zeigen. „Sie filmen alles, posten es auf sozialen Netzwerken und auf YouTube, um die Opfer noch mehr zu erniedrigen“, so Russland-Expertin Tanya Cooper in einem Bericht von Human Rights Watch. Dies würde „unter völliger Straflosigkeit geschehen“, schildert sie. Die Täter müssten nicht einmal heimlich vorgehen.
Russland-Experte: Kreml rückt Homosexualität bewusst in Nähe von Pädophilie
Besonders brutal geht laut Human Rights Watch eine Gruppe namens „Occupy Pedophilia“ vor, die den angeblichen Schutz vor Kindesmissbrauch als Vorwand nutzt, um Homosexuelle zu belästigen, zu attackieren und vor laufender Kamera zu erniedrigen. Dass Homosexualität in die Nähe von Pädophilie gerückt werde, sei in Russland gängig, so Amnesty-Experte Franck und werde auch vom Kreml praktiziert. „Dasselbe Gesetz, das die Propaganda nicht- traditioneller Beziehungen kriminalisiert, stellt auch die Propagierung von Pädophilie unter Strafe“, nennt er als Beispiel.
Der grausamste Fall, den Human Rights Watch dokumentierte, war der eines Usbeken, der von einer Gruppe zu einem Fake Date gelockt wurde. Dort verbrannten die Täter seine Kleidung, hielten ihm eine Waffe an den Kopf und zwangen ihn, zu sagen, er bereue es, schwul zu sein. Anschließend wurde der Mann gefesselt und gezwungen, sich mit einer Glasflasche selbst zu vergewaltigen. Von all dem existierten unerträgliche öffentliche Aufnahme im Internet.

LGBTQ-Gesetz in Russland gilt nun auch für Erwachsene - „Minderheit wird vom Staat benutzt“
Laut Russland-Experte Franck stammt das erste russische Gesetz, das die Propagierung von Homosexualität verbietet, aus dem Jahr 2013 und wurde jetzt entscheidend verschärft: Bisher bestrafte das Gesetz die „Propaganda nicht-traditioneller sexueller Beziehungen“, nur gegenüber Jugendlichen, jetzt auch gegenüber Erwachsenen.
„Das Gesetz fungiert als ein Zeichen in die Gesellschaft, was gewünscht ist und was nicht. Eine Minderheit wird hier von Putin benutzt, um im Ukraine-Krieg ein Feindbild nach innen zu schaffen, gegen das man sich verteidigen muss“, schildert Franck.
Dass der Kreml Homosexualität bewusst als etwas Abnormales darstellt, zeige Wirkung: Schon seit der Verabschiedung des Anti-LGBTQ-Gesetzes im Jahr 2013 habe die Zahl der Übergriffe gegen Homosexuelle in Russland zugenommen, so der Amnesty-Mitarbeiter. Und seit Putins Verschärfung vom Dezember ist der Anstieg noch einmal mehr spürbar.

In Russland gebe es ein „Totalversagen“ bei der Strafverfolgung von Gewalt gegen Schwule
Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch fordern seit langem, dass der russische Staat sein Propagandaverbot abschafft, da es die Gewalt gegen Homosexuelle weiter schüre. „Es sagt der Bevölkerung, dass Homosexuelle Bürger zweiter Klasse sind, dass Gewalt gegen sie ganz normal ist“, so Menschenrechtsaktivistin Cooper. Während Polizisten und Behörden zwar immer wieder hart gegen LGBTQ-Aktivisten vorgingen, zum Beispiel bei Demonstrationen, gebe es bei der Strafverfolgung von Gewalt gegen Schwule ein „Totalversagen der russischen Behörden“.
Neues Gesetz gegen LGBTQ-Propaganda verbietet auch Bücher und Filme
Putin unterschrieb vor rund drei Monaten außerdem ein weiteres Gesetz, das gleichgeschlechtliche Liebe zusätzlich kriminalisiert. Es verbietet die Verbreitung von Werbung, Filmen, Büchern oder anderen Materialien, die „nicht-traditionelle sexuelle Beziehungen oder Vorlieben fördern“.
Franck weiß von einem Moskauer Verlag, gegen den nun ermittelt wird, weil er ein Werk verlegte, in dem Homosexuelle vorkommen. Auf dem Buchcover sei außerdem ein Artikel der russischen Verfassung abgedruckt gewesen. „Das wird als Kritik gegen den Staat verstanden, und es gibt jetzt ein Ermittlungsverfahren“, so der Russland-Experte.
Propaganda in Russland: Vage Gesetze schaffen Paranoia im Volk
Laut einem Bericht der Deutschen Welle werden Werbung, Filme, Bücher und Medien, die gegen das Verbot von LGBTQ-Propaganda verstoßen, künftig in einem Register erfasst und für die Öffentlichkeit unzugänglich gemacht. Wer dagegen verstoße, mache sich strafbar.
Eine erste Auflistung von Filmen, die nicht mehr verbreitet werden dürften, sei bereits erstellt und an Streaming-Dienste verschickt, heißt es, unter anderem enthalte es den Hollywood-Streifen „Brokeback Mountain“. Auf dem russischen Büchermarkt seien 50 Prozent aller Buchtitel gefährdet. Auch wegen der vagen Formulierung des Gesetzes und der Unsicherheit, was genau überhaupt verboten ist und erlaubt - eine Taktik, die der Kreml auch bei anderen Vorschriften anwendet, um kritische Russen mundtot zu machen. (smu)