Nächster russischer Oligarch stirbt unter mysteriösen Umständen
Seit Jahresbeginn sind sieben Oligarchen „Mord-Suiziden“ zum Opfer gefallen. Viele vermuten dahinter Kreml-Morde.
Lloret de Mar/Moskau – In der luxuriösen Mietvilla des russischen Multimillionärs Sergei Protosenya an der Costa Brava finden spanische Polizisten am 19. April eine grausige Szenerie vor. Protosenyas 53-jährige Ehefrau Natalja und seine 18-jährige Tochter Maria liegen erstochen auf dem Boden. Protosenya, der ehemalige stellvertretende Vorsitzende des Erdgasunternehmens Novatek, wurde erhängt in seinem Garten aufgefunden. Neben ihm eine blutverschmierte Axt und ein Messer.
Protosenya hinterlässt keinen Abschiedsbrief. An seinem Körper befinden sich keine Blutspuren, berichtet El Punta Vui.

Russland: Gas-Oligarchen leben gefährlich
Einen Tag zuvor, ca. 3000 Kilometer entfernt, wird der ehemalige Kreml-Berater und Vizepräsident der Gazprombank, Vladislav Avayev, mit einer Schusswunde in seiner Moskauer Wohnung tot aufgefunden. Die staatliche Nachrichtenagentur Tass berichtet, er habe eine Pistole in der Hand gehabt. Seine Frau Jelena und seine Tochter Maria (13) werden ebenfalls tödlich verletzt.
Keiner der beiden, jeweils mehr als 400 Millionen Dollar besitzenden, Männer stand auf einer internationalen Sanktionsliste. Russische und spanische Medien spekulierten, dass es sich bei den beiden Tragödien um Mord mit anschließendem Selbstmord handelte.
Tode russischer Oligarchen: „Es wird aufgeräumt“
Experten außerhalb Russlands vermuten jedoch, es handele sich um Attentate, die wie häusliche Gewalt aussehen sollten. Vor allem Führungskräfte in der Gasindustrie seinen vermehrt die Ziele solcher Attentate.
„Es wird aufgeräumt, und es ist schwierig, eine einzelne Person zu bestimmen, die das tut“, sagt der schwedische Wirtschaftswissenschaftler und Autor von „Russia‘s Crony Capitalism“ Anders Aslund. „Aber für mich sieht das nach Kreml-Morden aus“, so Aslund in der New York Post.
Russland: Geheimdienst sucht nach Informanten in der Gasindustrie
Aslund will aus russischen Quellen erfahren haben, dass der russische Geheimdienst Ende 2021 und Anfang März zwei Listen mit den Namen von Führungskräften in der Energiebranche des Landes erstellt hat. Der Kreml habe den Verdacht, dass jemand in der Branche Informationen über die Finanzierung geheimer Operationen des russischen Auslandsgeheimdienstes – einschließlich der Invasion in die Ukraine – durchsickern lasse.
„Die Liste wurde Wladimir Putin vom FSB (russischer Inlandsgeheimdienst) vorgelegt, und Putin genehmigte die Liquidierung aller Personen auf der Liste, ohne sie auch nur anzusehen“, sagt Aslund. „Putin finanziert einen Großteil seiner Geschäfte über Gazprom und die Gazprombank, und die Führungskräfte, die dort arbeiten, wissen alles über diese geheime Finanzierung. Der Gassektor ist der korrupteste Sektor in Russland.“
2022: Sieben mysteriöse Tode russischer Oligarchen in einem Jahr
Bereits sieben russische Oligarchen sind in diesem Jahr tot aufgefunden worden – einige unter mysteriösen Umständen. Viele glauben, dass manche der jüngsten „Mord-Suizide“ an Führungskräften aus dem Energiesektor sowie die frühere Vergiftung hochrangiger Russen von Putin angeordnet wurden.
Wenn Putin hinter den Todesfällen steckt, so der Autor, dann folge er nur dem Josef Stalin-Playbook. Allerdings seien die inszenierten Selbstmorde seit der Zeit Stalins viel raffinierter geworden. „Bei all diesen Morden geht es um viel Geld. Stalin konnte von so viel Geld nur träumen.“
Selbstmordserie unter Oligarchen: „Bei all diesen Morden geht es um viel Geld“
Neben den jüngsten „Mord-Suiziden“ von Protosenya und Avayev wurde Leonid Shulama, ein 60-jähriger leitender Angestellter von Gazprom, am 30. Januar, einen Monat vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine, tot aufgefunden – durch Selbstmord.

Am 25. Februar, einen Tag nach dem Einmarsch, wurde der ehemalige Gazprom-Manager Alexander Tyulyakov, 61, erhängt in seinem Haus in der Nähe von St. Petersburg aufgefunden. Die Polizei fand auch einen Abschiedsbrief bei seiner Leiche.
Drei Tage später wurde der in der Ukraine geborene Gas- und Ölmagnat Michail Watford erhängt in der Garage seines Anwesens in Surrey, England gefunden. Die Behörden erklärten, die Umstände von Watfords Tod seien nicht verdächtig, nannten ihn aber dennoch „unerklärlich“.
Russische Oligarchen: Potentielle Morde könnten „die Spuren von Betrug (…) verwischen“
In einem kürzlich erschienenen Bericht der Denkfabrik Warschauer Institut wurde festgestellt, dass Sicherheitsbeamte von Gazprom am Tatort aller jüngsten Gazprom-Todesfälle aufgetaucht waren. Es wurde die Theorie aufgestellt, dass „möglicherweise einige hochrangige, mit dem Kreml verbundene Personen jetzt die Spuren von Betrug im staatlichen Unternehmen verwischen“.
Protosenyas Sohn: „Ich weiß, dass mein Vater ihnen nichts getan hat“
Protosenyas Sohn Fedor, der sich in den Osterferien im Haus der Familie in Frankreich aufhielt, gibt der Polizei den Hinweis. Er konnte seine Angehörigen per Telefon nicht erreichen und wurde misstrauisch, wie spanische Medien berichteten.
Noch misstrauischer ist er darüber, wie sie gestorben sind. „Er liebte meine Mutter und besonders Maria, meine Schwester“, sagte Fedor über seinen Vater. „Sie war seine Prinzessin. Er hätte ihnen nie etwas antun können. Ich weiß nicht, was in dieser Nacht passiert ist, aber ich weiß, dass mein Vater ihnen nichts getan hat.“ (Lukas Zigo)