Russland: Moskaus „Nowaja Gaseta“ macht ihre Lichter aus

Nach anderen liberalen Leitmedien in Russland stellt auch die letzte überregionale Oppositionszeitung ihre Arbeit ein. Chefredakteur und Friedensnobelpreisträger Dmitri Muratow hat dennoch Hoffnung.
Die Redaktion verabschiedete sich mit zwei knappen Sätzen. „Wir haben noch eine Verwarnung von Roskomnadsor erhalten“, schrieb das russische Blatt „Nowaja Gaseta“ am Montag auf seiner Internetseite. „Deshalb stellen wir die Herausgabe der Zeitung im Netz und auf Papier ein – bis zum Ende der ,Spezialoperation in der Ukraine‘.“
In den vergangenen Wochen hatten bereits der Kanal TV-Doschd und der Radiosender Echo Moskwy, die letzten zwei anderen überregionalen Oppositionsmedien Russlands, ihre Tätigkeit eingestellt. Grund dafür war ein Anfang März erlassenes Gesetz über „Fake-Aussagen gegen die russischen Streitkräfte“. Es droht Journalist:innen, die bei der Berichterstattung über die Kampfhandlungen in der Ukraine nicht offizielle oder gar ukrainische Quellen nutzen, mit bis zu 15 Jahren Gefängnis. Die „Nowaja Gaseta“ hatte versucht, den Zensurbestimmungen durch eine unpolitische und eingeschränkte Ukraine-Berichterstattung gerecht zu werden. Am Montag aber verwarnte sie die Zensurbehörde Roskomnadsor zum wiederholten Mal wegen der Nennung als „ausländischer Agenten“ eingestufter Organisationen, ohne diese als solche zu markieren. Zwei Verwarnungen in einem Jahr reichen für eine gerichtliche Schließung.
Hoffnung auf Rückkehr
„Die Redaktion will zunächst weiter arbeiten, aber nichts mehr veröffentlichten“, sagte Pawel Kanygin, Leiter des Internetressorts, gegenüber der Frankfurter Rundschau. „Bei einer Versammlung in den nächsten Tagen soll dann weiter entschieden werden.“ Aber da ein Ende der Feindseligkeiten in der Ukraine in den kommenden Monaten nicht absehbar sei, werde es problematisch, diese Zeit finanziell zu überbrücken. „Und Russland hat sich grundsätzlich verändert, ich glaube nicht, dass ich in diesem Land weiter arbeiten kann.“
Die Nowaja Gaseta war 1993 vom späteren Chefredakteur Muratow und anderen Journalist:innen der Zeitung„Komsomolskaja Prawda“ gegründet worden. Die Redaktion machte sich mit kritischen Sozial- und Enthüllungsreportagen schnell einen Namen. Aber fünf Mitarbeiter der Redaktion, darunter der stellvertretende Chefredakteur Juri Schtschekotschichin und die Tschetschenien-Reporterin Anna Politkowskaja, mussten ihren journalistischen Mut mit dem Leben bezahlen.
Im Oktober wurde Dmitri Muratow der Friedensnobelpreis zugesprochen. Die Auszeichnung galt auch als Anerkennung für die Arbeit der gesamten Redaktion. „Wir hoffen, irgendwann zurückzukehren“, sagte Muratow am Montag.