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Blauäugige Sicherheitspolitik: So lange braucht Europa, um wehrhaft zu werden

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Von: Anna-Katharina Ahnefeld

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Ein Soldat für Instandhaltung des Logistikbataillons 171 der Bundeswehr steht auf einem Plastikkanister und repariert das gepanzerte Transport-Kraftfahrzeug GTK Boxer.
Ein Soldat für Instandhaltung des Logistikbataillons 171 der Bundeswehr steht auf einem Plastikkanister und repariert das gepanzerte Transport-Kraftfahrzeug GTK Boxer.  © Ronny Hartmann/dpa

Seit Ausbruch des Ukraine-Kriegs ist klar: Europa muss wehrhaft werden. Die Zeit drängt: Auf die USA als Schutzmacht ist womöglich ab dem kommenden Jahr kein Verlass mehr.

Marburg/Köln – Die Europäische Union ist die Heimat verweichlichter und schwacher Menschen. Moralisch verdorben und indoktriniert von LGBTQ-Propaganda. Das behauptet zumindest der russische Machthaber Wladimir Putin. Umso überraschter dürfte er gewesen sein, wie schnell und geschlossen Brüssel auf Russlands Invasionskrieg gegen die Ukraine reagierte. Auch dank westlicher Waffenlieferungen schlug die erwartete schnelle Eroberung fehl. Stattdessen entwickelt sich das Geschehen in Richtung eines Abnutzungskriegs mit hohen russischen Verlusten.

Trotz der Entschiedenheit Europas im Angesicht des völkerrechtswidrigen Angriffs, gehört zur Wahrheit, dass die USA eine führende Rolle bei Waffenlieferungen und Nato-Verstärkung einnehmen. Wie eh und je ist es Amerika, das Europa in der Stunde der Not zur Hilfe eilt. Eine Abhängigkeit, die verletzlich macht. Europäische Politikerinnen und Politiker fordern daher, die Europäische Union so umzubauen, dass Europa auch ohne die USA wehrhaft ist. Der russische Überfall hat das dringend notwendig gemacht.

Russlands Krieg gegen die Ukraine: EU ist in der Sicherheitspolitik stark von den USA abhängig

Für Politikwissenschaftler Hubert Zimmermann, Experte für internationale Beziehungen von der Universität Marburg, ist eine Emanzipation von Uncle Sam aber noch in weiter Ferne. „Nach Jahrzehnten der Abrüstung muss Europa im Ukraine-Krieg auf territoriale Verteidigung setzen. Angesichts der Drohungen von Wladimir Putin spielt auf einmal wieder nukleare Abschreckung eine Rolle. Aber auf diesen Gebieten ist die EU stark von den USA abhängig“, sagt er der Frankfurter Rundschau von IPPEN.MEDIA. Militärisch, technologisch und bei der Einsatzfähigkeit ihres Militärs seien die US-Truppen gegenüber den europäischen Armeen weit überlegen. Seine Conclusio: „Die Abhängigkeit von Washington wird noch lange fortbestehen.“ Und zwar mindestens ein Jahrzehnt.

Das ist historisch bedingt. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges standen sich im Kalten Krieg zwei verfeindete Fronten gegenüber: die USA und die ehemalige Sowjetunion. Der sogenannte eiserne Vorhang trennte Europa in demokratische und kommunistische Länder. Das Bedrohungsszenario: Ein Angriff der einstigen Sowjetunion, möglicherweise mit Nuklear-Waffen. Zimmermann: „Europa setzte auf die USA als Schutzmacht.“ Selbst konzentrierte man sich auf das Wirtschaftswachstum und – später, nach dem Fall der Berliner Mauer – zunehmend auf Abrüstung und zivile Lösungen.

Allerspätestens am 24. Februar 2022, für viele Länder Osteuropas bereits Jahre zuvor, endete dieser Trend. Erstmals nach Jahrzehnten herrschte Krieg auf europäischem Boden. Und: „Europa wäre ohne die USA nicht in der Lage, sich zu verteidigen“, meint dazu Zimmermann. Eine bittere Erkenntnis. Aber auch eine, die zum Handeln motiviert.

Zeitenwende in der Sicherheitspolitik: Auf die USA als Verbündeten ist kein bedingungsloser Verlass mehr

So erhielt die Bundeswehr ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro, die europäischen Länder rüsten auf und Finnland und Schweden drängen in die Nato. Die Luftwaffe Skandinaviens arbeitet zunehmend mit den baltischen Ländern zusammen, die Präsenz der Nato-Truppen in den Grenzgebieten Osteuropas wurde deutlich erhöht und die Verteidigungsfähigkeit der EU zunehmend ausgebaut.

Denn die Europäerinnen und Europäer haben eine bittere Lektion gelernt: Die Gewissheit, dass die USA stets seine schützende Hand über sie hält, ist spätestens seit dem ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump gestorben. In den USA stehen kommendes Jahr Wahlen an – der Ausgang ist ungewiss. Und auch so haben die Staaten innenpolitisch ganz eigene Probleme. „Wenn Trump oder ein ähnlich gesinnter an die Macht kommt, kann man davon ausgehen, dass die USA sich stark von Europa entkoppeln. US-Präsident Joe Biden ist ein temporärer historischer Glücksfall. Das weiß Europa mittlerweile auch. Der Druck, in die eigene Landesverteidigung und europäische Zusammenarbeit zu investieren, ist groß“, sagt Zimmermann. Nicht zuletzt auch aufgrund des globalen Systemkonflikts zwischen Demokratie und Autokratie.

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