Experte: Bei der Krim-Frage könnte die Solidarität mit der Ukraine schwinden

Die Solidarität des Westens mit der Ukraine ist groß. Bei der Krim scheiden sich die Geister: Eine Rückeroberung könnte sogar kontraproduktiv sein.
Marburg/Köln – Russlands Invasionskrieg in der Ukraine löste eine beispiellose Solidarität aus. Vor allem die osteuropäischen Länder wie Polen nahmen zahlreiche Kriegs-Geflüchtete auf. Aber auch in Deutschland empfing man die Ukrainerinnen und Ukrainer mit offenen Armen. Westliche Waffenlieferungen verhalfen der ukrainischen Armee zudem zu einem entschiedenen Vorteil. Statt eines raschen Eroberungsfeldzugs von Wladimir Putin dauert der Krieg nun über ein Jahr an – mit hohen russischen Verlusten.
Trotz Inflation und Energiekrise zeigen Umfragen, dass die Mehrheit der Deutschen den Ukraine-Kurs der Europäischen Union unterstützt. In einer Eurobarometer-Umfrage im vergangenen Monat gaben 92 Prozent an, mit der Bereitstellung humanitärer Hilfe durch die EU einverstanden zu sein, 86 Prozent der Deutschen befürworten die Aufnahme von Geflüchteten in der EU. Und 74 Prozent unterstützen die Wirtschaftssanktionen gegen Russland. Die Solidarität mit der Ukraine scheint ungebrochen.
Russlands Krieg gegen die Ukraine: Ein Ende ist nicht in Sicht
Ein schnelles Ende des Ukraine-Kriegs ist jedoch nicht in Sicht. Beide Seiten sind weiter kampffähig, die Ukraine konnte sogar bereits okkupierte Gebiete wieder zurückerobern. Und zu sehr ist Putin selbst davon abhängig, seinen Feldzug als Sieg zu verbuchen, als dass er zu der Einsicht gelangen dürfte, dass es keinen Sinn mehr macht, diesen weiterzuführen.
„Das Problem ist, dass Putins eigenes politisches Schicksal viel zu stark damit verknüpft ist, den Krieg zu gewinnen. Aber das wird nicht geschehen. Putin kann daher politisch nur überleben, wenn er den Krieg am Laufen hält. Unter der Bedingung führt man keine Friedensverhandlung“, sagt dazu Prof. Thorsten Bonacker vom Zentrum für Konfliktforschung der Universität Marburg dem Münchner Merkur von IPPEN.MEDIA.
Angesichts dieser Zeitdimension – und der Aussicht eines möglicherweise noch Jahre andauernden Kriegs – stellt sich die Frage, ob die Solidarität mit der Ukraine irgendwann schwindet. Noch sieht es nicht danach aus. Denn auch die Energiekrise ging an Deutschland glimpflicher vorbei, als noch immer Sommer 2022 erwartet. Einzig bei Waffenlieferungen an die Ukraine, insbesondere von Kampfjets, sieht man in Umfragen eine schwindende Bereitschaft. Politikwissenschaftler Hubert Zimmermann, Experte für internationale Beziehungen von der Universität Marburg, ist optimistisch. Nur eine Variable könnte die Unterstützung schwächen.
Ukraine-Krieg: An der Krim-Frage könnte sich die Unterstützung spalten
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj und seine engen zivilen und militärischen Mitarbeiter haben ihr Kriegsziel stets klargemacht: eine Rückkehr zu den Grenzen von 2014, also vor der Annexion der Halbinsel Krim und den Kampfhandlungen im Donbass. „Wenn die Ukraine in ihren Kriegszielen über die Rückeroberung des Gebietes hinaus geht, das seit Februar 2022 verloren gegangen ist, könnte die Unterstützung jedoch geringer werden“, sagt dazu Zimmermann. Bei der Abspaltung der Krim sei die öffentliche Meinung gespaltener als bei den Gebieten, die seit 2022 von Russland annektiert wurden. „Ob der Westen einen Krieg um die Krim unterstützen würde, ist daher fraglich“, konstatiert er.
Das hat auch damit zu tun, dass 2014 die Annexion der Krim damals – abgesehen von Sanktionen – hingenommen wurde. Der öffentliche Aufschrei der Bevölkerung blieb aus. In den darauffolgenden Jahren habe man mehr oder weniger akzeptiert, dass die Krim zu Russland gehört, meint der Politikwissenschaftler. Aber vor allem eines dürfte abschreckend wirken: „Wladimir Putin könnte angesichts einer geplanten Rückeroberung der Krim und des Donbass noch mehr eskalieren.“