Japan und Russland: Flammt der alte Streit um die Kurilen wieder auf?

Während Russland weiterhin mit dem Ukraine-Konflikt konfrontiert ist, beansprucht Japan die territorial umstrittenen Kurilen. Ein künftiger Unruheherd?
Tokio – Seit Jahrzehnten sind sich Russland und Japan über die Inselkette der Kurilen uneinig. Mit mehr als 30 großen und kleinen Inseln verbinden sie die russische Halbinsel Kamtschatka mit der japanischen Insel Hokkaido. Russland, beziehungsweise bis 1991 noch die Sowjetunion, verwaltet die ursprünglich japanischen Kurilen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Japaner:innen sprechen von einer illegalen Besetzung.
Anfang März bezeichnete Außenminister Yoshimasa Hayashi die Kurilen als „festen Bestandteil“ des Landes. Die territoriale Beanspruchung sei aber keineswegs eine Sache japanischer Nationalist:innen, sagte der Japan-Historiker Takuma Melber im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau. „Dass die Kurilen zu Japan gehören, wird im japanischen Schulunterricht gelehrt.“ Darüber hinaus „werden die Kurilen auf japanischen Weltkarten als japanisches Territorium ausgewiesen“, fügte Melber hinzu.
Nach Appeasement-Politik: Japan will Russland wieder „klare Kante zeigen“
Ein Friedensvertrag und eine Einigung zwischen den beiden Ländern, die formell noch immer im Krieg miteinander stehen, scheint derzeit unwahrscheinlicher als noch vor einigen Jahren. Unter dem früheren japanischen Premierminister Shinzō Abe etwa stand im Raum stand, dass Japan nur die zwei an Hokkaido angrenzenden Inseln zurückerhalten würde. Bereits 2001 hatte der damalige Regierungschef Yoshiro Mori während der ersten Amtszeit von Wladimir Putin einen ähnlichen, gesichtswahrenden Verstoß gewagt – ohne Erfolg.
„Angesichts der jüngsten Ereignisse gilt diese von japanischer Seite betriebene Appeasement-Politik gegenüber Russland als gescheitert“, erklärte Takuma Melber, der sich in seiner Forschung unter anderem mit japanischer Besetzungsgeschichte auseinandersetzt. Man gehe nun dazu zurück, Moskau „klare Kante zu zeigen“. Wie genau diese klare Kante künftig aussehen könnte, ist unklar. Schon im vergangenen Jahr kündigte Japans Premierminister Fumio Kishida an, den Verteidigungsetat erhöhen zu wollen – eine Folge des „immer aggressiveren, geopolitischen Auftretens der Volksrepublik China“ sowie der Raketentests aus Nordkorea, sagte Melber.

Russland erzeugt „militärische Drohkulisse“ auf den Kurilen: Wie reagiert Japan?
Doch besonders Russland, was in den vergangenen Jahren in die militärische Infrastruktur auf den Kurilen investiert hatte, wird von Japaner:innen kritisch betrachtet. Seit 2015 wurden laut Melber auf der Inselkette neue Militärbasen errichtet – inzwischen sind Kampfjets, Drohnen und Raketenabwehrsysteme stationiert. „Es wird hier von russischer Seite eine militärische Drohkulisse aufgebaut, so die japanische Wahrnehmung“, sagte Takuma Melber.
Durch die Nachkriegverfassung ist Japan – zumindest theoretisch – fest dem Pazifismus verschrieben, eine Verfassungsänderung und ein militärisches Aufrüsten hält der Historiker trotzdem für möglich. Eben aufgrund jener Bedrohungen aus den umliegenden Ländern sei die japanische Bevölkerung für die Pläne der Regierung zu begeistern. „Das bedeutet aber nicht, dass Japan danach strebt, von sich aus militärisch aktiv werden zu wollen. Japan möchte einfach im Ernstfall in der Lage sein, militärisch reagieren und sich verteidigen zu können.“
Ein solcher Ernstfall scheint aktuell unwahrscheinlich. Russland stößt nach wie vor auf erbitterten Widerstand im Ukraine-Krieg und dürfte eine weitere Kriegsfront mit allen Mitteln vermeiden wollen. Japan, welches als bisher einziges Land vom Abwurf von Atombomben betroffen war, fürchtet wie derzeit viele andere Länder einen Dritten Weltkrieg. Der Weg vom Pazifismus zur Konfrontation könnte für die Japaner:innen daher noch andauern. Melber zufolge steht aber fest, dass Japan aktuell eine „Zeitenwende“ vollzieht. (nak)