Ex-Sowjetrepubliken: „Russland ist heute zurückhaltender“

Bei einer Diskussion sind sich die Beteiligten einig: Der Einfluss Moskaus in den benachbarten Ex-Sowjetrepubliken stagniert.
Die Annexion der Krim, Truppenaufmärsche nahe der ukrainischen Grenze, finanzielle Unterstützung des Lukaschenko-Regimes in Belarus – Russland übt in den heute eigenständigen ehemaligen Sowjetrepubliken mit Ausnahme der baltischen Staaten weiterhin viel Einfluss aus. Doch ganz so im Saft, wie man von Deutschland aus denken mag, stehe Russland in seinem ureigensten Einflussgebiet nicht mehr – diese These vertritt am Dienstagabend bei einem Podiumsgespräch der Heinrich-Böll-Stiftung Hessen Vera Rogova, die bei der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) zur Innen- und Außenpolitik Russlands forscht.
„Es gibt mehr Zurückhaltung in den letzten Jahren aus Moskau“, sagt Rogova. Das sehe man etwa daran, dass Russland bei dem Krieg um die Region Berg-Karabach im Kaukasus im vergangenen Jahr „keine prägende Rolle“ gespielt habe – im Gegensatz zur Türkei, die Aserbaidschan militärisch unterstützt hatte. In Armenien habe das zur Erkenntnis geführt, dass man „nicht mit ernstzunehmender Unterstützung aus Moskau rechnen kann“, sagt Rogova.
„Der Weg nach Westen ist für Lukaschenko verschlossen“
Gründe für die Zurückhaltung seien innenpolitische und wirtschaftliche Probleme sowie die Pandemie. Russland sei gerade genug mit sich selbst beschäftigt – obwohl Außenpolitik natürlich immer gut von Problemen im Innern ablenken kann. Zustimmung erhält Rogova von ihrem HSFK-Kollegen Mikhail Polianskii. Moskau fehlten heute – anders als noch vor einigen Jahren – die Ressourcen. Russlands Position sei daher „deutlich pragmatischer geworden“, sagt er.
Siehe Moldau, wo mit Maia Sandu 2020 eine dezidiert pro-europäische Politikerin zur Präsidentin gewählt wurde. „Sie ist prowestlich und Moskau behält trotzdem seine Kooperationsbereitschaft bei“, bemerkt Polianskii. Gut laufe es allerdings in Belarus: „Russland hat von der Protestwelle gegen Lukaschenko massiv profitiert.“ Denn „der Weg nach Westen“ sei für Lukaschenko „jetzt verschlossen“.
Die EU solle aktiver werden
Welche geostrategischen Kapazitäten Russland derzeit habe, werde man auch an Afghanistan sehen, sagt Polianskii. Wird Moskau in die Lücke stoßen, die westliche Mächte dort hinterlassen? Auch, um Verbündete aus der Region wie Kirgistan abzusichern? Polianskii glaubt nicht daran: Man werde sehen, dass Russland das Vakuum „nicht füllen kann“.
Und Europa? Die USA? Welche Rolle sollten sie bei den Konflikten an Russlands Rändern einnehmen? Das fragt der Moderator und Leiter der FR-Meinungsredaktion, Andreas Schwarzkopf.
Von einer „Enttäuschung“ bezüglich der Rolle westlicher Demokratien im postsowjetischen Raum spricht Politikwissenschaftler Azer Babayev, der der Runde aus Aserbaidschan zugeschaltet ist. „Es gibt hier kein ernsthaftes Engagement der westlichen Mächte“, konstatiert er mit Blick auf die Konflikte im Kaukasus.
Rückzug aus Zentralasien
Vera Rogova sagt, die EU könne bei keinem genannten Konflikt eine „Rundumlösung“ erreichen – und müsse deshalb auf eine „Strategie der kleinen Schritte“ setzen. Mehr Bildungszusammenarbeit, Demokratieförderung, Austausch mit den Zivilgesellschaften. Doch stattdessen ziehe man sich aus manchen Ländern sogar zurück. Der Bund etwa spare seine Programme in Zentralasien zusammen. Nur Usbekistan bliebe als Kooperationsland. „Das ist ein totaler Fehler, die EU sollte da viel aktiver werden“, sagt Rogova.
China indes sei wirtschaftlich „überall“, sagt Rogova. Etwa durch die Entwicklung der „neuen Seidenstraße“, die Investitionen anlockt. Russland schaue zu. Wobei Belarus von Russland Geld erhalte, um chinesische Kredite zu bedienen, sagt Polianskii. So hängt alles zusammen.
Das nächste Gespräch der Reihe „Welt im Umbruch“ von Böll-Stiftung & HSFK findet am 13. Juli, 19 Uhr unter folgendem Titel statt: „Rechter Rand oder Radikalisierung der Mitte?“