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Russischer Angriff auf die Ukraine: „Imperiales Denken“

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Von: Bascha Mika

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Der Angriffskrieg Russlands hat begonnen. Im Interview spricht Friedensforscherin Martina Fischer über die Folgen der Ukraine-Invasion.

Frau Fischer, als wir vor zwei Wochen unser Gespräch führten, hofften Sie noch auf eine Entschärfung des Ost-West-Konflikts. Jetzt hat Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine gestartet. War es falsch, an eine friedliche Lösung zu glauben?

Ich denke, es war absolut richtig und wichtig, sich dafür einzusetzen, dass auf allen politischen Ebenen und über alle Kanäle miteinander gesprochen und verhandelt wird. Was dort im Einzelnen verhandelt wurde, ist nicht öffentlich und kann man daher auch nur schwer beurteilen. Offenbar will der russische Präsident Wladimir Putin seine sicherheitspolitischen und geostrategischen Interessen mit Waffengewalt verfolgen. Das ist völlig indiskutabel.

Ukrainische Soldaten in Lugansk bereiten sich darauf vor, einen Angriff abzuwehren.
Ukrainische Soldaten in Lugansk bereiten sich darauf vor, einen Angriff abzuwehren. © ANATOLII STEPANOV/AFP

Ukraine-Konflikt: Besteht noch Hoffnung, Russland zu stoppen?

Der Kriegsverbrecher Putin schert sich nicht um das Völkerrecht und das Leid, das er verursacht. Sehen Sie noch irgendwo Hoffnung, ihn zu stoppen?

Mit diesem militärischen Angriff auf die Ukraine wird das Völkerrecht in dramatischer Weise verletzt, ganz zu schweigen von den Menschenrechten, denn Krieg an sich bedeutet immer eine große Menschenrechtsverletzung. Man muss diesen Krieg verurteilen und einen sofortigen Waffenstillstand fordern. Gleichzeitig ist wichtig, auch in dieser eskalierten Situation weiterhin für das Gespräch offen zu sein.

Müssen sich jetzt alle, die der Nato-Osterweiterung kritisch gegenüber standen, durch Putins Aggression belehren lassen? Hätte die Nato nicht auf weniger, sondern auf mehr Erweiterung setzen müssen?

Beide Fragen würde ich mit einem eindeutigen „Nein“ beantworten. Dass die Nato bei ihrem Gipfel in Bukarest 2008 der Ukraine signalisierte, dass die Tür offen sei, hat selbst der langjährige Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz Wolfgang Ischinger als „Sündenfall der Nato“ bezeichnet. Ich denke weiterhin, dass es ein Fehler war, dass die Nato hier die Sicherheitsinteressen Russlands nicht ernst genommen hat. Aber das entschuldigt keinesfalls das jetzige Vorgehen des Kreml, diese militärische Eskalation und Kriegsentscheidung.

Ukraine-Konflikt: Welche humanitären Folgen der Krieg Russlands hat

Imperiales Großmachtsgehabe, wie Russland das jetzt vorführt, entstammt vergangenen Jahrhunderten. Wie lassen sich diese Vorstellungen überwinden?

Imperiales Denken taugt ganz sicher nicht, um die Probleme, vor denen die Menschheit steht zu lösen. Um die großen Krisen wie die Klimakrise, Pandemien und das Artensterben zu bewältigen braucht es multilaterale Zusammenarbeit. Wir haben gesehen, wohin es führt, wenn sich Großmächte aus dem multilateralen Handeln verabschieden, als Donald Trump die Vereinigten Staaten anführte. Jetzt erleben wir das mit anderen und noch dazu militärischen Vorzeichen seitens des Kreml.

Zur Person

Martina Fischer ist Politikwissenschaftlerin und arbeitet seit 2016 als Referentin für Frieden- und Konfliktbearbeitung bei Brot für die Welt. Davor war sie drei Jahrzehnte in der Friedens- und Konfliktforschung tätig, davon fast zwanzig Jahre bei der Berghof Foundation in Berlin.

Sie arbeiten bei Brot für die Welt. Welche humanitären Folgen wird dieser Krieg haben?

Brot für die Welt befürchtet eine humanitäre Notlage und Opfer unter der Zivilbevölkerung. Wir haben Partner in der Ukraine, aber auch in Russland und Belarus. Brot für die Welt fördert seit längerem zivilgesellschaftliche und kirchliche Organisationen in der Ukraine, die seit Beginn des Krieges im Jahr 2014 psychosoziale Beratung und Begleitung für betroffene Menschen leisten. Unsere ukrainischen Partner berichten, dass viele Menschen in Panik sind, dass sich an Tankstellen, Geschäften und Apotheken riesige Schlangen bilden, und dass Geschäfte leergekauft werden. Viele legen sich zusätzliche Vorräte an Wasser, Lebensmitteln, Medikamenten zu. Einige berichten auch, dass Fenster vor Explosionen erzittern.

Martina Fischer.
Martina Fischer. © Brot für die Welt / Hermann Bre

Was können Hilfsorganisationen für die Menschen tun?

Wir werden versuchen, alle Menschen, die unter diesem Krieg leiden, zu unterstützen und werben um Spenden, damit unsere Partner ihre wichtige Arbeit fortsetzen können. Wir treten dafür ein, dass Deutschland und die EU ihre Grenzen für Menschen, die aus der Ukraine flüchten, offen halten und diese bestmöglich versorgen. Und am Sonntag den 27. Februar werden wir uns an einer Kundgebung in der Berliner Innenstadt beteiligen, mit einem Bündnis aus Kirchen, Gewerkschaften und zivilgesellschaftlichen Organisationen, das sich für den Frieden in der Ukraine und in Europa einsetzt. (Interview: Bascha Mika) Alle News zum Ukraine-Konflikt finden Sie auf unserer Themenseite.

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