Russische Frauen in Argentinien: 13 000 Kilometer Flug zur Niederkunft

Tausende schwangere Russinnen sind seit Kriegsbeginn nach Argentinien geflogen, um dort zu gebären - denn eine Geburt in dem Land öffnet die Tür zu einem neuen Pass. Doch manchmal geht es wohl auch um Geldwäsche.
Einwanderung, Entbindung, Exkursionen“. Eine etwas eigenartige Mischung, die da auf der Internetseite „RuArgentina“ angeboten wird. Der Webauftritt von Kirill Makoveev, einem seit Jahren in Argentinien lebenden Russen, richtet sich an seine weiblichen Landsleute und werdende Eltern, die ihre Kinder in dem südamerikanischen Land zur Welt bringen wollen. Für 100 Dollar bietet seine Agentur telefonische Beratung an, um Fragen zum Verfahren zu stellen. Für satte 5500 US-Dollar gibt es ein „Economy Class“-Paket, das Gespräche mit Ärztinnen und Ärzten sowie einige Dokumente für das Kind umfasst.
Und die Nachfrage ist groß. Seit August sind Tausende schwangere Russinnen nach Buenos Aires gereist. Die einen auf eigene Faust mit ihren Männern, die anderen vermittelt von Agenturen wie der von Makoveev. Die Schönheit der argentinischen Hauptstadt ist als Reisegrund nur ein Nebenaspekt. Vielmehr zieht die werdenden Mütter das gute und preiswerte Gesundheitssystem und vor allem das liberale argentinische Einwanderungs- und Staatsbürgerschaftsrecht an. Das Land folgt dem „ius soli“, dem „Recht des Bodens“. Dieses Geburtsortprinzip gesteht jedem Kind die argentinische Staatsbürgerschaft zu, das in dem Land geboren wird. Und die ausländischen Eltern, deren Kind in Argentinien zur Welt kam, haben zudem das Recht, nach zwei Jahren die Staatsbürgerschaft zu beantragen, wenn sie einen ununterbrochenen Aufenthalt im Land nachweisen können.
Und der argentinische Pass ist attraktiv. Er ermöglicht die visafreie Einreise in 171 Länder, während der russische Pass schon vor dem 24. Februar 2022 nur die Türen in knapp über 80 Ländern öffnete. Unter anderem können argentinische Staatsbürger:innen ohne spezielles Visum in die Europäische Union, Großbritannien und nach Japan reisen. Darüber hinaus kann man mit der argentinischen Staatsangehörigkeit ein Visum für die Einreise in die USA für zehn Jahre erhalten, was für in Russland geborene Kinder derzeit unerreichbar ist.
Von Dezember bis Februar reisten fast 6000 hochschwangere Russinnen in Argentinien ein. Anfang Februar saßen in einem Flugzeug 33 Frauen, denen nur wenige Wochen bis zur Entbindung fehlten. Spätestens da wurde die argentinische Einwanderungsbehörde DNM hellhörig und stoppte kurzfristig die Einreise von schwangeren Russinnen. DNM-Direktorin Florencia Carignano vermutet hinter diesem massiven Zuzug kriminelle Organisationen. Das sei ein „Millionen-Geschäft, hinter dem Banden stecken“, die Männer und Frauen gezielt nach Argentinien einschleusten.
Aber ist für diese Geburtsmigration tatsächlich nur die Mafia verantwortlich? Oder fliehen auch viele vor allem gebildete russische Familien vor Wladimir Putin, in dessen Reich sie ihre Kinder nicht großziehen wollen? Nach Lage der Dinge ist es von beidem etwas. Auf Telegram jedenfalls gibt es Chatgruppen, die etwa „Giving birth in Argentina“ heißen und auf denen sich Frauen über Einreise, Geburt und Kinderbetreuung in dem südamerikanischen Land austauschen. Und unter den Neuankömmlingen sind viele gut gebildete Mittelklassefamilien, die im weitesten Sinne als „Digitale Nomaden“ arbeiten und auch aus Buenos Aires für das 13 000 Kilometer entfernte Moskau arbeiten können.
Infolge des Kriegs Russlands gegen die Ukraine haben viele Länder strenge Einreise- und Visaregeln für Russen und Russinnen erlassen, allen voran die Europäische Union. Argentinien hat das aber nicht getan, was auch an der traditionell freundschaftlichen Verbindung zu Moskau liegt. Noch kurz vor dem Überfall auf die Ukraine hatte sich Argentiniens Linkspräsident Alberto Fernández als künftigen Brückenkopf für russische Interessen in Lateinamerika angeboten. Und zu Zeiten der Pandemie versorgte Moskau seine südamerikanischen Freunde schnell mit dem eigenen Anti-Covid-Vakzin Sputnik V.
Edgardo Buscaglia, Experte für organisierte Kriminalität in Lateinamerika, hält es auch für wahrscheinlich, dass viele der Schwangeren als Strohfrauen dienten, um das russische Oligarchengeld zu transferieren. Im vergangenen Jahr seien mindestens 15 000 Russinnen und Russen so nach Argentinien gereist, um das in Europa und den USA sanktionierte Vermögen in Südamerika in Sicherheit zu bringen. „Es ist sehr wahrscheinlich, dass auch schwangere Frauen so den argentinischen Pass nutzen, um den Oligarchen die Türen zu öffnen.“ Auch wenn das nach „Science-Fiction“ klinge, sei das ein bei Geldwäschefahnder:innen bekannter Mechanismus, sagt Buscaglia im Gespräch.
Für die These des Experten mag auch sprechen, dass von den 2022 nach Argentinien gekommenen Schwangeren 7000 nach der Niederkunft wieder ausgereist seien, wie die Migrationsbehörde ermittelt hat. Zum Teil verließen sie mit ihren Kindern das Land, zum Teil übergeben sie den Nachwuchs Vormündern.
„Wir freuen uns über Menschen, die nach Argentinien kommen, um sich hier ein Leben aufzubauen“, sagt DNM-Direktorin Carignano. Das Problem sei, dass viele Russinnen Kinder bekommen, diese als Argentinier registrieren ließen, das Land wieder verlassen und zum Teil nie mehr zurückkommen. Dass da andere Beweggründe als die Flucht vor Putin eine Rolle spielten, steht für die Chefin der Einwanderungsbehörde außer Frage.
